Kürzlich war ich zum ersten Mal in einem Repair-Café. Eine Freundin hatte mich dorthin begleitet. Da Maskenpflicht war, wurde man freundlich begrüßt, angehalten, sich in eine Liste einzutragen und an einem großen Tisch draußen im Garten Platz zu nehmen.
Es war noch Sommer, es ist noch gar nicht so lange her, bis schlagartig sehr viel kühleres Wetter einsetzte und blieb. Es gab einige, die Rat und Hilfe suchten, ich mochte die Atmosphäre. Nach nicht langer Zeit wurde mir ein Platz in dem großen Innenraum zugewiesen, und „mein Ratgeber“, mein „Fachmann“ – ich nenne sie hier so, weil ich deren Namen vergessen habe – setzte sich gegenüber. Ich hatte meinen Laptop mitgebracht, weil ich nicht mehr weiterwusste bei einem bestimmten Problem. Mir wurde etwas erklärt, gezeigt und dann forderte man mich auf, das selber auszuprobieren. Aha, dachte ich, hier ist Hilfe zur Selbsthilfe angesagt. Der Umgangston war ausgesprochen zugewandt, freundlich, einfühlsam. Nach einer Weile musste „mein“ Fachmann gehen, und ich habe einen zweiten zurate gezogen, weil ich nicht weiterkam. Der hatte eine andere Meinung als der erste. Ich lernte, auch das ist normal, selten werden zwei Ärzte, zwei Baumeister, zwei Therapeutinnen völlig der gleichen Meinung sein. Wir wurden wieder zurückgeleitet, damit andere, in angemessenem Abstand voneinander, wegen Corona, ihre Probleme vorbringen konnten. Auf dem Weg wurde mir bedeutet, eine Spende zu hinterlassen. Ich war echt beeindruckt. Menschen mit kaputten Geräten konnten kommen und lernten, wenn sie wollten, selber dazu, Jung und Alt gemischt. Wer nur eine kleine Rente bekommt, sucht solche Orte auch auf.
Wir reparieren nicht mehr und lassen weniger reparieren, als das früher noch üblich war. Meine Mutter hat, wahrscheinlich wie alle Mütter und Frauen, noch alte Pullover aufgetrennt, um die Wolle auf Knäuel zu wickeln und sie wieder verarbeiten zu können. Was für ein schöner, respektvoller Brauch. Ich durfte mithelfen, denn es war gar nicht so einfach, die wellige Wolle in etwas Ordentliches zu verwandeln, man brauchte zwei Menschen dafür. Meine Mutter strickte auch noch Bündchen an zu kurz gewordene Pullover und Ärmel. Wie fürsorglich! Ich mochte und mag bis heute den Anblick von gestopften Socken und beherrsche diese Kunst einigermaßen gut.
Kürzlich las ich von meinem Lieblingstherapeuten und Schriftsteller Wolfgang Schmidbauer das Buch über das Reparieren von Beziehungen, auch von Liebesbeziehungen. Letzteres ist ja sein Hauptthema. Es hat mich begeistert. Man möge mir verzeihen, dass ich den genauen Titel nicht weiß; ich finde, man kann selber nachschauen, wie das Buch genau heißt, wenn es einen interessiert. Auf jeden Fall geht es darum, dass wir uns insgesamt wieder um die Künste des Reparierens kümmern, was ja nicht nur mit Sachkenntnis, sondern auch mit Zeitinvestition zu tun hat. Es scheint oft wirklich schneller zu gehen, den Wasserkocher, das Fahrrad, die kaputte Tasse durch neue zu ersetzen.
Ich finde, dass uns der Glaube an den Wert des Reparierens verloren gegangen ist. Kinder lernen diesen Wert, weil er vorgelebt wird. Mit meinem ehemaligen Mann führte ich regelmäßig Zwiegespräche nach Michael Lukas Möller, und wir pflegten in unserer besten Zeit einen Haushalt mit regelmäßigen Einladungen zum Meditieren, Sichaussprechen und dann gemeinsamen Essen. Ich finde, das war unsere beste Zeit, weil wir unsere große Wohnung und die große Küche teilten. Ich versuche, denselben Geist, aber ohne gemeinsam zu kochen, dafür ist meine Küche einfach zu klein, in mein neues Leben alleine unterm Dach einzubringen. Wir bauen an einer Meditationsgruppe, die nicht nur miteinander in Stille sitzt und an relevanten Themen arbeitet, sondern die auch ihren Alltag bespricht, ihre Sorgen und Freuden teilt. Auch wenn wir teilweise extrem anders leben, uns in anderen Lebensaltern auf der Reise durch den Lebenskreis bewegen. Mich erfüllt das sehr. In der Pandemie kommen wir mit diesem Modell des Sich-regelmäßig-am-Bildschirm-Treffens und per WhatsApp oder E-Mail oder Telefon Nachrichten austauschend, ganz gut zurecht. Selber meditiere ich noch regelmäßig bei einem jüdischen Zen-Priester und seinem Team in Amerika. So eine jüdische buddhistische Gemeinde, die interreligiös ist, was mir das Herz öffnet, kann man hier lange suchen. Wenn du von einer weißt, sag mir bitte Bescheid. Ich verdanke es der Pandemie, dass ich an dem Gemeinwesen dieser Gruppe teilnehmen kann und darf.
Es geht doch darum, den Glauben ganz praktisch aufrechtzuerhalten UND ihn wirksam werden zu lassen, dass diese Welt zu reparieren ist. Dass unsere Beziehungen, die zu uns selber und zu anderen, zu reparieren sind. Damit schließe ich die Beziehung zu dem, was wir oder unsere Freunde G‘tt nennen, mit ein. Ich habe so viele Briefe im Laufe meiner Langzeitprojekte schreiben lassen: Briefe der Klage und Anklage, Bitt- und Beschwerdebriefe, Dank- und Liebesbriefe, Briefe des Verzeihens und Briefe an das Leben, an Gott, an Hitler. Briefe an Verflossene, an Arbeitgeber, an Politiker, und viele wurden an die Eltern, getrennt oder zusammen (Mutter und Vater), geschrieben. Diese Beziehungen wurden in diesen Briefen, die dann vorgelesen wurden, lebendig. Sie wurden durch das offene Aussprechen zum Teil vergangener und in uns selber unterdrückter Stimmen und Stimmungslagen lebendig und heil. Wir heilen uns selber dabei und unsere Beziehungen, die Systeme, in denen wir leben.
Es bedarf dazu dieses kleinen Schrittes der entschlossenen Mühe. Zu versuchen, nichts Wesentliches ungesagt zu lassen, wie am Sterbebett eines geliebten Freundes, einer Freundin. Man geht nicht mit offenen Rechnungen voneinander. Das wusste man früher. Man begleicht seine Schulden, dankt, verzeiht, bittet um Verzeihung, bis die Liebe durch den Ausgleich wieder fließen kann. Auch Abschiede können in Liebe vollzogen werden. Man lässt sich und den anderen, die andere frei. Wie wir unsere Kinder frei geben müssen. Ohne Rechnungen, mit Kindern ist das anders, denn unsere Kinder schulden uns gar nichts.
Wir können uns definitiv ändern und unser Leben. Davon erzählen uns die Heilungsgeschichten so vieler. Wenn wir uns aber ändern, unsere inneren Feinde lieben lernen, sind wir auch den äußeren Feinden gegenüber aufgeschlossener. Vielleicht kann ich ja etwas lernen von XY, mir eine Scheibe abschneiden, oder vielleicht kann ich mich in Demut verbeugen vor einem Schicksal, das mir – bislang jedenfalls – erspart worden ist. Wer weiß das schon, was noch auf uns zukommen wird. Bewährungsproben des Herzens.
Und so gewinnt die Vision des Reparierens der kleinen und großen Welt wieder an Wert. In Cafés und überall. Lassen Sie uns vorangehen.
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