Ayurveda ist zu einem großen Teil auch Medikamentenmedizin. Welche der gut 8000 verwendeten Heilmittel, davon unzählige Mineralien, Erze, Metalle und tierische Produkte, tatsächlich zu ayurvedischen Rezepturen zusammengemischt werden, weiß im Westen kaum jemand.
Mit dem Ayurveda entstand erstmalig eine systematische Heilkunde, die das Ziel hatte, die Ursachen von Krankheiten zu ergründen und mit rationalen Mitteln zu behandeln. Daraus kann man bereits auf das hohe Niveau des Ayurveda schließen, der über Jahrtausende das Gesundheitssystem Indiens darstellte. Dementsprechend breit gefächert sind die Therapien, die von chirurgischen Eingriffen, der Verabreichung von Medikamenten, Ernährungsberatung, entgiftenden Verfahren und physikalischen Anwendungen über Aroma- und Klangtherapie bis hin zu Yoga und Meditation reichen.
Eine ähnliche Entwicklung wie in Indien sehen wir in anderen Hochkulturen. Interessant ist dabei der Vergleich mit Griechenland zur Zeit des Hippokrates, denn die Grundlagen des Ayurveda und der ‚Traditionellen Europäischen Medizin' (TEM) erscheinen in weiten Bereichen fast identisch. So betonen beide Heilkunden den großen Stellenwert der Vorbeugung. Gesundheit wird als ein dynamisches Gleichgewicht grundlegender Naturkräfte verstanden. Bei der Beschreibung dieser Naturkräfte bedienen sich Ayurveda und TEM der Lehre von den Elementen. Eine unterschiedliche Gewichtung der Elemente in jedem Menschen führt zu unterschiedlichen Konstitutionstypen mit charakteristischen Stärken und Schwächen. In Europa sind es der Melancholiker, der Phlegmatiker, der Choleriker und der Sanguiniker, die auf die Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft zurückgehen. Die Übereinstimmung mit den ayurvedischen Konstitutionstypen ist dabei erstaunlich.
Eine ähnliche Kongruenz findet sich bei den Therapien. Wichtigste Säule ist dabei eine differenzierte Pflanzenheilkunde. Beiden Heilweisen ist es gelungen, Nahrungsmittel, Gewürze und Heilpflanzen nach den gleichen Gesichtspunkten zu klassifizieren. Ernährung und Gewürze können dadurch hervorragend in die Therapie integriert werden. Von Hippokrates gibt es dazu den berühmten Ausspruch: Lasst Nahrung eure Medizin und Medizin eure Nahrung sein. Parallel dazu heißt es in einem Wortspiel des Ayurveda: Wer richtig isst, braucht keine Medizin (weil er nicht krank wird). Wer falsch isst, braucht keine Medizin (weil sie nicht wirkt).
Eine Stärke der ayurvedischen Pflanzenheilkunde liegt in der ununterbrochenen Erfahrung mehrerer Jahrtausende, während in Europa dagegen dieses Erfahrungswissen immer wieder durch Umbrüche verloren gegangen ist. In der Beurteilung und Klassifizierung der Heilpflanzen werden alle Sinne eingesetzt. Dabei ist nicht nur die spezifische Heilwirkung interessant. Vielmehr wird auch die allgemeine Wirkung auf den Organismus betrachtet. Shatavari und Ashvaganda zum Beispiel sind zwei ausgezeichnete Pflanzen, die den gesamten Organismus zusammen mit dem Hormonsystem tonisieren. Gleichzeitig beruhigen und stärken sie das Nervensystem. Shatavari wirkt jedoch ‚kühlend', Ashvaganda ist ‚erwärmend'. Die kühlende Potenz wirkt auf den Organismus allgemein aufbauend und stärkend. Die erwärmende Potenz dagegen stärkt den Stoffwechsel und die innere Verbrennung.
Liest man in alten europäischen Kräuterheilbüchern, ist man über die fast gleichlautende Beschreibung von Heilpflanzen erstaunt. Die Kalmuswurzel, ein wichtiges Stärkungsmittel, gilt im Ayurveda als erwärmend, leicht, subtil und scharf. Im Kräuterbuch des Tabernaemontanus heißt es: Der wohlriechende Calamus hat eine Kraft und Eygen schafft zu erwärmen mit einer Zusammenziehung/ dünn subtil zu machen/ zu eröffnen und zu stärken.
In der langen Zeit seines Bestehens hat der Ayurveda ein großes Know-how über die Zubereitung und Kombination von Pflanzen entwickelt. Erst dadurch wird aus einer Pflanze ein Heilmittel.
Eine der einfachsten Darreichungsformen ist der frisch gepresste Pflanzensaft. Das ist auch in Indien nur noch in ländlichen Regionen gebräuchlich, wo man die Pflanzen frisch ernten und verwenden kann.
Für die Lagerung und weitere Verarbeitung werden die Pflanzen getrocknet und unterschiedlich fein pulverisiert. Der Fachbegriff hierfür ist Churna. Einer der bekanntesten Churnas ist das Triphala. Es ist eine Mischung aus drei getrockneten Wildfrüchten, die den gesamten Organismus balancieren, die Schleimhäute reinigen und die Haut unterstützen. Verschiedene Churnas können mit einem ‚Kleber' wie Honig oder Butterfett vermischt und zu Pillen gedreht werden.
Churnas sind auch die Grundlage von Kräuterabkochungen. Das Verfahren ist aufwendig. Ein Teil der getrockneten Kräuter wird mit der 16-fachen Menge an Wasser aufgesetzt und so lange gekocht, bis ¾ des Wassers verdampft sind. Dieses Verfahren kommt vor allem bei Wurzeln, Rinden, verholzten Pflanzen oder Früchten zum Einsatz. Bei Kräutern oder Blüten dagegen reicht häufig der Aufguss mit heißem oder kaltem Wasser.
Eine Spezialität des Ayurveda sind sogenannte Avalehas. Meist wird eine größere Anzahl verschiedener Kräuter mit Ghee, Honig oder Zuckerrohrsaft gemischt, sodass eine haltbare Paste entsteht. Für die Avalehas werden in der Regel aufbauende und tonisierende Kräuter verwendet.
Eine andere Zubereitungsform sind Kräuterweine. Die Pflanzen werden mit Wasser, Zuckerrohrsaft und einem Fermentierungsmittel gemischt. Die Gärung läuft langsam ab. Die Inhaltsstoffe der Kräuterweine können vom Körper gut aufgenommen werden.
Auch Pillen werden häufig verabreicht, bei denen das Guggulu als Ausgangsstoff dient. Es handelt sich um ein Pflanzenharz eines Myrrhebaums, das ein weites Spektrum an therapeutischen Wirkungen besitzt. Unter anderem ist es entzündungshemmend, immunsystemstärkend, cholesterinsenkend, antiseptisch und blutverdünnend. Um die Wirkung zu spezifizieren, wird das Guggulu mit verschiedenen Kräutern zu Pillen verarbeitet. Bekannt ist das Triphala-Guggulu, wo die entgiftende Wirkung des Triphala mit Guggulu kombiniert wird. Triphala-Guggulu hat dadurch eine gute Wirkung auf den Fett- und Cholesterinstoffwechsel.
Medizierte Öle und Ghees sind ebenfalls wichtige Substanzen. Ghee ist identisch mit unserem Butterschmalz und ein hervorragender Träger pflanzlicher Wirksubstanzen. Ausgangsstoff für die medizierten Öle und Ghees ist eine Kräuterabkochung. In der Regel wird ein Teil des Fettes mit vier Teilen Abkochung aufgesetzt und so lange gekocht, bis das ganze Wasser verdunstet ist. Auf diese Weise kann eine große Menge an Heilpflanzen in die Öle oder das Ghee eingekocht werden. Will man eine noch höhere Konzentration an Wirkstoffen, dann kann der Prozess des Einkochens mehrmals wiederholt werden. Die medizierten Ghees werden in der Regel innerlich eingenommen. Vor allem aufbauende, tonisierende und nervenstärkende Kräuter profitieren vom Ghee. Die Öle werden dagegen überwiegend äußerlich in den unterschiedlichen ayurvedischen Ölbehandlungen eingesetzt. Neben der Massagewirkung werden auf diese Weise die Kräuter über die Haut in den Körper transportiert.
Kräuterzubereitungen werden bei uns in der Regel zusammen mit Wasser eingenommen und geschluckt. Der Ayurveda dagegen kennt eine Reihe von Begleitmitteln, die die Wirkung des Präparats modifizieren. Es ist deshalb nicht unerheblich, ob ein Kräutermittel mit Wasser, Honig, Milch, Kandiszucker, Ghee oder einem Pflanzensaft eingenommen wird. Ayurvedische Präparate sind oft aus einer großen Anzahl verschiedener Kräuter zusammengesetzt. Hier offenbart sich das gesamte gesammelte Wissen des Ayurveda über die Wirkung von Pflanzen. Zunächst werden verschiedene Pflanzen mit einer ähnlichen Hauptwirkung so kombiniert, dass sich die heilende Wirkung verstärkt und eventuelle Nebenwirkungen neutralisiert werden. Der Ayurveda geht davon aus, dass bei praktisch jeder Krankheit eine Verschlackung vorliegt, deshalb werden häufig Kräuter zugegeben, um die Entgiftung zu aktivieren und den Stoffwechsel anzuregen. Schließlich ist es bei vielen Krankheiten günstig, wenn der Organismus und das Immunsystem als Ganzes gestärkt werden.
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Ich mag frische Kräuter, am besten, aus dem eigenen Garten. Mein absoluter
Favorit dabei ist Minze.