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Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass wir das Eigene durch die Brille eines anderen besser erkennen, schätzen können – mit seinen Tiefen und Merkwürdigkeiten?

Wenn wir zum ersten Mal länger im Ausland sind und zurückkehren. Wenn wir einem Ausländer wirklich zuhören, vielleicht befreundet sind mit Menschen, die anders leb(t)en, sprechen, essen, beten … dann tun sich überraschende Tore und Türen auf. Der Blick eines oder einer anderen auf uns kann hämisch, bitter und gemein sein, aber auch so ungeheuer erweiternd, überraschend.

Gestern erfuhr ich in einem Vortrag der Zen-Lehrerin Joan Halifax, dass unser kürzlich verstorbener Lehrer, den ich gerne „Ehrwürdiger“ nenne, im Land seiner „Feinde“ (!) Vergleichende Religionswissenschaft studiert hatte. Wow! Gedanke: Vielleicht sollten wir die Sprache derer lernen, die wir aufs Schlimmste malträtiert haben, als eine Art von Wiedergutmachung … wir hätten wahrhaft viele Sprachen zu lernen (!). Diese Stärke von Thay wurde noch zu wenig erwähnt: Seine Wissbegierde, Integrationskraft und Versöhnlichkeit, Kreativität und sein Mut. Denn niemand hat mir z. B. das Christentum so anschaulich und liebevoll erklärt wie der vietnamesische Dichter, bescheiden, väterlich durch und durch! Das Buch muss ich verschenkt haben, aber ein anderes mit den „Erdberührungen“ habe ich noch.

Kennen Sie die „Erdberührungen“, eine angeleitete Meditation und Körperübung zur Versöhnung mit der eigenen Religion, den spirituellen Wurzeln und ihren Vertretern, Vertreterinnen? Thich Nhat Hanh wusste nur zu gut, dass wir, auch wenn wir dies nicht (mehr) spüren oder wissen wollen, mit einem Bein in der Erde der Religion unserer Ursprungsfamilie, unseres Kollektivs verwurzelt sind, das es also heilsam ist, die Verwundungen aufzuspüren, zu benennen und Vergebung zu praktizieren.

Thich Nhat Hanh

Unser Wahnsinn zu glauben, wir könnten „einfach so“ aussteigen und uns an eine andere Religion anhängen, wurde mir so richtig deutlich. Natürlich ist es mehr als Wahnsinn, es ist Bestimmung, Ausdruck der Interkulturalität und Flexibilität unseres Geistes und hat vielleicht auch eine geheimnisvolle Komponente, warum Menschen konvertieren. Aber ich habe die Ermutigungen sehr geschätzt, uns einmal tief anzusehen, warum wir eigentlich unsere Pfarrer*innen, Priester, Kirchen, unsere Religion verlassen haben. Ich mochte auch sehr dieses von Ehrgeiz und Dünkel freie Auftreten eines Buddhisten in dem Teil der Welt, der sich an christlichen Feiertagen ausrichtet.

Thich Nhat Hanh hat auch Psychologie studiert, ich bilde mir ein, es ihm anzumerken. Auch in diesem Feld ist er mit größerer Einfühlung gesegnet als viele, die von Amts wegen für unsere Seelen sorgen sollten. Er hat mit Buddhistinnen und Buddhisten anderer Traditionen zu tun gehabt, mit Menschen, die ihren katholischen, evangelischen und wer weiß wie viele andere Glaubenssysteme verlassen bzw. kritisch überprüft haben.

Wir Christen bzw. Menschen mit christlich-kulturellem Hintergrund tragen so enorm an den Schatten von Kreuzzügen, Pogromen, den Auswüchsen von Judenhass, Heidenhass, Frauenhass, missionarischen, gewaltvollen Aneignungs-, Kolonisierungs- und Vernichtungskriegen im Namen von Jesus, im Namen eines völlig verrückten Diktators, dass wir allen Erbarmens bedürfen, um unseren Weg zu finden. Gut, vielleicht tragen nicht alle daran, aber genügend Menschen. Und hier kommt einer, der um sein geschändetes Volk trauerte und darum, dass er aus seinem Land verstoßen worden war, und lehrt uns Versöhnung mit unseren Wurzeln!

Für uns kann das doch nur heißen, dass Frieden auch Frieden mit unseren Wurzeln, mit unserer Herkunft, unserer Religion bedeutet, und zwischen allen Religionen! Mögen auch wir so großzügig und verständnisvoll sein gegenüber unseren Mitmenschen, die in unseren Augen bizarre Gewohnheiten haben. Das hieße, dem Geist von Thich Hanh Ehre zu erweisen.

Wer sich für „Interfaith-Kreise“ interessiert, möge sich bitte bei mir melden.

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Bild Teasesr & Header © Pixabay

Monika Winkelmann

Monika Winkelmann

Monika Winkelmann, geboren 1952, Mutter einer erwachsenen Tochter, geschieden seit 2019, hat 1980 mit 28 Jahren ihr erstes Meditationswochenende in Hamburg besucht. Diese tiefgreifende Erfahrung sowie ihr Leben als Alleinerziehende der Tochter Lisa, geb. 1984,  bewirkten, dass sie viele Jahre a...
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