Das Europäische Institut für Angewandten Buddhismus (EIAB) wurde im September 2008 im nordrhein-westfälischen Waldbröl eröffnet. Im Interview spricht Gründungsvater Thich Nhat Hanh über aktuelle Finanzierungsprobleme, die Bedeutung der Wirtschaftskrise und die Achtsamkeit im Alltag.
Seit Monaten leiden wir unter den Folgen der Weltwirtschaftskrise. Interessieren Sie sich persönlich für wirtschaftliche Fragen, lesen Sie den Wirtschaftsteil der Zeitung?
Thich Nhat Hanh: Offen gesagt, ich lese keine Zeitung.
Was raten Sie Betroffenen, die in Sorge sind, ihren Job zu verlieren?
Es ist immer möglich, dass man seine Arbeit verliert, doch es geht darum, unter solch schwierigen Bedingungen nicht so sehr zu leiden. Das Problem ist die Angst und wenn man weiß, wie man mit ihr umgeht, dann wird alles leichter. Es ist unsere Haltung und unser Umgang mit der Angst, was zählt, und nicht so sehr die Situation selbst.
Thich Nhat Hanh, was sagen Sie zur Bedeutung der ökonomischen Krise?
Ich denke, die ökonomische Krise kann eine gute Gelegenheit sein, auf unser Leben zu schauen. Die Krise ist unsere Schöpfung, unsere Erfindung. Es liegt an der Art, wie wir mit den Dingen umgegangen sind, wie wir konsumiert haben. Die Krise ist eine Chance, tiefer auf uns selbst und unsere Situation zu schauen und zu verstehen. Auf diese Weise kann man einen Weg hinaus finden.
Vielleicht ist das ja eine dumme Frage: Warum lesen Sie keine Zeitung?
Ich bin nicht gegen Zeitungen, aber ich habe vieles, das angenehmer ist, als Zeitung zu lesen. (Lachen). Wenn man Zeitung liest oder fernsieht, bekommt man vielleicht zu viele Informationen, die störend wirken. Die Massenmedien haben die Tendenz, das zu berichten, was nicht gut ist. Wir bekommen zu viele negative Informationen und das ist nicht gut für unsere Gesundheit. Wenn Menschen, die sich innerlich leer fühlen, zu viel lesen, entsteht ein Bedürfnis, immer mehr zu bekommen. So füllen wir die Leere, die wir nicht ertragen möchten. Es ist ein Weg, das Leiden, die Einsamkeit, die Leere in uns zuzudecken. Das Konsumieren dient dazu, das Leiden zu vergessen. Das bringt jedoch noch mehr Leiden, mehr Stress und Negativität.
Sie lehren nicht nur den Dharma, sondern engagieren sich auch in der Gesellschaft. Was bedeutet ‚engagierter Buddhismus' für Sie?
Engagierter Buddhismus ist aktiver Buddhismus, eine nützliche Art des Buddhismus. Im Buddhismus geht es darum zu erwachen, achtsam zu sein auf das, was vor sich geht. Wenn wir wirklich achtsam sind, sind wir von dem Wunsch motiviert, etwas zu tun, um das Leid in uns und um uns herum zu verringern. Das ist eine Art von Buddhismus, der eine Änderung in uns und in der Gesellschaft bringt und nicht nur redet und diskutiert.
Sie sprechen also nicht nur über Geist, Verstand und Herz, sondern auch über die Welt?
Die Welt bist du selbst. Sie ist das Objekt deiner Wahrnehmung, du bist der Empfänger, du machst die Welt. Wenn du deinen Körper betrachtest, siehst du, dass er aus den Elementen der Welt gemacht ist, aus Erziehung, Ökonomie, Luft, Wasser, Hitze, die Welt ist wirklich in uns, wir manifestieren die Welt. Die Welt in dir ist nicht verschieden von der Welt außerhalb von dir. Du kannst nicht sagen, dass du verschieden von der Welt bist, du bist die Welt.
Sie haben philosophische Bücher geschrieben, doch alles, was Sie unterrichten, ist sehr praktisch, vor allem die Übung der Achtsamkeit. Wie kann man im täglichen Leben achtsam sein – beim Teetrinken, Kochen, Gehen?
Auch das ist Philosophie, die Philosophie des Handelns. Buddhismus beginnt mit der Achtsamkeit, wodurch man bemerkt, dass Leiden da ist, nicht nur bei einem selbst, sondern auch um uns herum. Wir haben die Tendenz, vor dem Leid davonzulaufen, nicht mit ihm in Kontakt kommen zu wollen. Wenn man dem Leiden nicht begegnen will, hat man keine Chance, auf die Wurzeln des Leides zu stoßen und einen Weg heraus zu finden. Buddhismus rät uns, tief in unser Leid zu schauen, wodurch man Einsicht in die Natur des Leidens bekommt. Es ist ein Weg des Handelns, um das Leid in uns und in anderen zu transformieren, eine realistische Annäherung an die Probleme des Lebens. Es gibt einen Weg, wie man sitzt, atmet, geht, isst und redet, um weniger zu leiden. Das ist der Weg des Buddhismus, ein sehr praktischer Weg.
Wie kann ich hilfreich für andere Menschen oder gar die Gesellschaft sein, wenn ich doch mit mir selbst beschäftigt bin?
Nun, ich denke, wenn Angst, Verwirrung oder Ärger in uns sind, dann sind wir nicht klar genug, ruhig genug, um den Weg des rechten Handelns zu gehen; dann sind wir hilflos. Die grundlegende Praxis besteht darin zu wissen, wie wir Ärger, Verzweiflung und Angst verwandeln, so dass wir genug Frieden, Stabilität und Weisheit erlangen können, um so zu handeln, dass wir auch die Gesellschaft oder die ökonomische Lage verwandeln können.
Wenn man nicht friedlich und stabil genug ist, sondern von Furcht bestimmt wird, kann man eine Situation nicht verändern. Deshalb ist die Arbeit am eigenen Geist so grundlegend wichtig.
Ist das eine politische Haltung des Buddhismus?
Politik ist ein Aspekt unseres Lebens. Wir können im täglichen Leben politisch handeln, indem wir etwas kaufen und etwas anderes nicht kaufen. Wenn man ohne Achtsamkeit konsumiert, kann man Negatives unterstützen. Im Buddhismus geht es darum, achtsam zu sein, um zu wissen, was man tun oder lassen soll. In dieser Sichtweise kann alles politisch sein.
Vor acht Monaten wurde das EIAB zu einem günstigen Preis gekauft. Nun zeigt sich, dass es in diesem Zustand gar nicht verwendet werden darf. Die notwendige Renovierung, der Brandschutz und der Bau einer Halle, das alles zusammen soll etwa 8 Millionen Euro kosten. Wie geht Ihre Gemeinschaft mit diesem Finanzierungsproblem um?
Ich denke, die grundlegende Sache ist, dass die Menschen sich zunächst um ihre Angst, um ihre Sorgen kümmern. Ich glaube nicht, dass irgendetwas wichtiger ist als das. Was dieses Ausbildungszentrum betrifft, so ist das Beste, dass wir eine Vision haben, dass wir genug Glück, Frieden, Liebe, Mitgefühl, Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit haben. Das Einzige, worum man sich sorgen soll, ist, dass man glücklich ist, anderenfalls hat man nicht genug Achtsamkeit, nicht genug Sammlung und Einsicht. Auch der Buddha hat sich keine Sorgen gemacht. Für ihn war nur wichtig, dass die Sangha gut praktiziert. Was man den Menschen sagen soll, ist: Don't worry, practice! (Lachen).
Ich glaube nicht, dass die Brüder und Schwestern hier sich um Geld Sorgen machen. Wir haben überhaupt kein Geld, der Buddha hatte kein Geld. Wir haben viele Praxiszentren, doch die Menschen, die dort leben, haben nicht einen einzigen Euro. Doch wir haben etwas: unsere Vision, unsere Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit, unsere Übung, unsere Praxis.
Ihre Lehre klingt sehr einfach: Sei achtsam, lächle, umarme deine Negativität und verwandle sie. Ich übe auch mit vielen Menschen und sehe, dass es ein langer Weg ist, um wirkliche Veränderung zu bewirken. Wäre es nicht besser zu sagen, dass es lange dauern kann und viel Mühe erfordert? Manchmal sind Menschen enttäuscht, wenn sie nach einem Vortrag denken, oh, das ist ganz einfach, und später erkennen müssen, so einfach ist das doch nicht.
Erinnere dich, dass die Lehre des Buddha sehr einfach ist, leicht zu verstehen, sehr tief und sehr praktisch. Es gibt keinen Grund, sie kompliziert zu machen, wie das in manchen Instituten und Universitäten geschieht. Es gab Menschen, die kamen zum ersten Mal zu einem Vortrag des Buddha und wurden direkt erleuchtet. Lass uns nicht die Menschen entmutigen, indem wir ihnen sagen, sie müssen Jahre und Jahre praktizieren, um etwas zu erreichen. Ich glaube nicht, dass das der gute Geist des Buddha ist.
Wenn du zu einem Retreat kommst, dann erfährst du Frieden, Freude und Mitgefühl, schon wenn du eintrittst. Du siehst die Sangha und gewinnst Vertrauen. Ein Institut wird nur deshalb ein Erfolg, nur darauf soll man schauen.
Wir können viele tiefe philosophische Lehren geben, doch unsere Aufgabe ist es, den Menschen zu helfen, ihr Leiden zu transformieren. Die Menschen haben nicht viel Zeit. Du sollst ihnen helfen, sich besser zu fühlen, etwas über die buddhistische Praxis zu erfahren. Das ist wirkliches Mitgefühl, mit solchen Sangha-Augen muss man das sehen. Das wird viele Fragen beantworten.
Als Ort des ‚Europäischen Instituts für Angewandten Buddhismus' haben Sie ein Gebäude in Deutschland gewählt, in dem früher die Nazis agiert haben und zuletzt eine Militärakademie untergebracht war. Warum haben Sie sich für dieses Objekt entschieden?
Wir haben das überhaupt nicht gewählt, es hat sich durch die Situation ergeben. Ich denke, das Aufbauen einer Sangha habe ich vom Buddha gelernt. Als ich 1966 Martin Luther King traf, sprachen wir viel über den Wert der Gemeinschaft, denn ohne die Stärke einer Gemeinschaft geht es nicht. Ich kam als Einzelner in den Westen, um für das Ende des Krieges in Vietnam einzutreten, aber ich durfte nicht mehr heimkehren zu meiner Sangha. Wenn es mir nicht gelungen wäre, hier eine Sangha aufzubauen, wäre ich verloren gewesen. Es zeigte sich, dass ich 40 Jahre im Exil leben musste. In dieser Zeit haben wir fast überall im Westen Praxiszentren aufgebaut,
Martin Luther King wurde ermordet, doch wir haben viele positive Samen gesät. Mister Obama ist das Ergebnis dieser Samen. Wir haben eine Art kollektiver Bewusstheit aufgebaut. Wenn Martin Luther King noch am Leben wäre, würde er sagen, dass Mr. Obama seine Fortsetzung ist. Das ist Gemeinschaft. Wir sollten fortfahren, die Sangha aufzubauen, Samen der Freude zu säen, Samen der Überwindung von Trennung und Angst.