Ich befinde mich in einem Dilemma. Seit drei Jahren übe ich Metta, liebende Güte. Immer direkt nach dem Wachwerden sagte ich mir: „Möge ich mir selbst und allen Wesen mit Mitgefühl begegnen.“
Darüber kontempliere ich vor dem Aufstehen dann noch eine Weile. Und es nützt tatsächlich. Ich bin nicht mehr so streng mit mir. Das tut mir gut. Auch bei anderen sehe ich jetzt mehr die Motive hinter ihren Handlungen. Das hilft mir, verständnisvoller zu sein.
In meinem Beruf entpuppt sich das nun als Problem. Ich bin Abteilungsleiterin in einem Großhandel und leite ein zehnköpfiges Team. Meine Vorgesetzte meinte kürzlich, dass ich in der letzten Zeit zu nachsichtig sei, wenn die Mitarbeiter Fehler machen. Was im Privatleben sicher gut ist, muss nicht unbedingt im Beruf von Vorteil sein. Wie bekomme ich hier einen Mittelweg hin?
Franziska Heinrich
Liebe Franziska,
die Metta-Meditation ist eine Übung, die positive Emotionen anwachsen lässt. Es gibt aber auch Hindernisse. Sie liegen in den unbewussten Anteilen des eigenen Ich. Mit diesen kommt man durch Achtsamkeit und Meditation in Kontakt. Man übt, sich zu konzentrieren und verborgene Zusammenhänge zu erkennen. Man lernt, die eigenen Verhaltensweisen zu untersuchen, zu verstehen und zu ändern.
Diese meditativen Prozesse werden auf dem Kissen geübt. Es ist gut, die hier gewonnenen Erkenntnisse dann im täglichen Leben anzuwenden. So wie durch die meditativen Übungen nicht mit einem Schlag alle Probleme des Ich gelöst werden, braucht es Zeit, um die in der Praxis gemachten Erfahrungen im Alltag einzuüben und umzusetzen.
Am Anfang ist es nicht leicht, die Erfahrungen in der Meditation mit der komplexen Berufswelt in Einklang zu bringen. Und doch ist es sehr sinnvoll, das zu üben. Mit zunehmender Erfahrung und den sich einstellenden Erfolgen wird es sogar Freude bereiten. Natürlich werden eigene Fehler passieren, aber wenn die Absicht stimmt, ist das in Ordnung.
Den Fehlern anderer mit Nachsicht und Verständnis zu begegnen, ist ebenfalls nur ein erster Schritt. Diese innere Haltung ermöglicht, eine Vertrauensbasis herzustellen. Das ist günstiger als unheilsame Reaktionen, etwa Zurechtweisungen oder Ärger.
Im zweiten Schritt ist es gut, mit dem Betreffenden die Fehler und deren Ursachen genauer zu betrachten und zu untersuchen. Auf dieser Basis kann man gemeinsam klären, wie sie in Zukunft vermieden werden können.
Wenn es so gelingt, in der Zusammenarbeit weniger Fehler zu machen, ist das nicht nur für die Firma und das Arbeitsklima, sondern vor allem auch für die handelnden Personen hilfreich. Es hilft also dir und den anderen gleichermaßen. Das wäre dann positiv gelebte Dharma-Praxis.
Möge die Übung gelingen.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 121: „Mit allen Sinnen"
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