André Heller über sein Leben, seine Entwicklung zum Künstler und wie er eine schwere spirituelle Krise überwinden konnte.
Schon als Sie 20 Jahre alt waren, stritt die Nation darüber, ob André Heller ein Scharlatan oder ein Genie ist. Wie ist es Ihnen gelungen, in so jungen Jahren so viel Aufmerksamkeit zu erregen?
In diesem Alter habe ich begonnen, mich auf die ‚sichtbaren Plätze' dieser Welt zu stellen. Ich war damals ein verzweifelt um Anerkennung und Liebe buhlendes Wesen, das von einem merkwürdigen Charakter daran gehindert wurde, opportunistisch zu werden. Als junger Mann war ich so eine Art Handgranatenjongleur, meine Automatik lautete Provokation und das Verletzen anderer, gesponsert von meiner unbefriedigten Eitelkeit und meinem rabiaten Ego.
Sie waren ein Provokateur und Künstler. Wann ist Ihnen bewusst geworden, dass Sie talentiert sind?
Meine Mutter erzählt immer, dass ich die Schule geschwänzt habe und lieber zu Hause blieb, um zu lesen, oder den ganzen Tag im Kunsthistorischen Museum oder am Zentralfriedhof war. Dann hat sie gefragt: „Was tust du eigentlich?" und ich habe geantwortet: „Ich warte, bis ich berühmt werde." Das war offenbar mein Konzept mit 17 Jahren. Natürlich habe ich damals auch überlegt, welche Talente habe ich, die diesem Vorhaben dienen könnten. Ich wollte auch unbedingt Menschen kennenlernen, von denen ich etwas lernen, mit denen ich inspirierende Gespräche führen konnte, war süchtig nach der Begegnung mit den ‚Rabbis' der Künste. Ich habe mir den Joseph Roth, den James Joyce oder den Rimbaud vorgenommen, die hatten keine Chance gehabt, mir die Türe zuzuschlagen. Doch ich wollte auch an die Wissenstöpfe von sogenannten Zeitgenossen, bin zu Henry Miller gepilgert, zu Chagall, zu Man Ray und wie sie alle hießen und vorher noch bot mir das Radio eine Chance. Als Star-DJ bei Ö3 hatte ich wunderbare Begegnungen mit Kalibern wie John Lennon, Jimmy Hendrix, Frank Zappa.
Wie kam es dann zum eigenen künstlerischen Ausdruck?
Nach und nach wurden mir zwei Dinge klar: Ich möchte nicht nur andere befragen und kommentieren, sondern selbst befragt werden, um das Wissen, das ich mir in der Zwischenzeit erworben hatte, auch weitergeben zu können und außerdem hatte ich zunehmend das Bedürfnis, einige von den vielen Ideen und Projekten, die sich in meinem Kopf aufgestaut hatten, abzubauen. Die schrien förmlich: „Bring uns auf die Welt!" Das habe ich beinahe körperlich empfunden, obwohl ich mir oft dachte: „Nein, wieso sollte ich gerade dich wahr werden lassen, du wirst mir Schwierigkeiten machen oder bist mir vielleicht gar nicht sympathisch oder du wirst mich ruinieren!" Dieser innere Dialog war oft quälend, doch ich habe letztlich einfach meinem Talent die Schlüssel übergeben und das Talent hat mich dann jahrelang vor sich hergetrieben, dass es mir den Atem nahm.
Was waren damals die Projekte?
Am Anfang habe ich mich als weltinteressierter Schauspieler und Jungliterat vors Ö3-Mikrofon gesetzt und mich in meiner durchaus gegebenen Originalität stattfinden lassen, doch bald schon kam der Wunsch, Lieder zu schreiben und zu singen. Es war wie eine Expedition und ich wusste nicht, wie der jeweils nächste Ort heißt. Ich habe einem Plattenchef angeboten, eine LP von mir zu produzieren, und bin ins Studio gestürzt und habe es einfach gewagt, obwohl ich nicht einmal genug Lieder hatte. Doch mein Talent sagte: „Probier dich aus." Plötzlich ist diese ziemlich lächerliche Platte von mir, sie hieß ‚Andre Heller Nr. 1', auf Platz 1 der Hitparade gekommen und für fünf Monate dort geblieben.
Und das, obwohl Sie damals noch sehr umstritten waren.
Die Leidenschaft um einen, das Pro und Kontra, ist etwas Wunderbares. Du hast jemanden, den du nicht kennst, unwissentlich so geärgert, dass es ihm wert ist, eineinhalb Stunden über dich zu streiten, und ein anderer, den du auch nicht kennst, verteidigt dich. Das ist ein Geschenk.
Welche Personen waren damals für Sie prägend?
H. C. Artmann, Hilde Spiel, Helmut Qualtinger. Qualtinger hat an mir – wofür ich ihm heute noch Hände und Füße küssen möchte – einen Narren gefressen gehabt und mich in seine Freundschaft genommen, so habe ich den damals bedeutendsten und intelligentesten österreichischen Diagnostiker und Gedankenprovokateur mit seinem grandiosen Vielfaltsniveau unter der Lupe studieren können. Er hat mich herangeführt ans ungekünstelte ‚Ich-Sein'. Ich habe bei ihm regelrecht eine Ausbildung in der ‚Kunst des Erscheinens und Seins' erhalten. Er hat mich motiviert und mich darin unterstützt, mich ‚etwas zu trauen'. Allerdings habe ich mit ihm auch sehr viel getrunken und zunehmend meine Gesundheit geschädigt. In der Zwischenzeit hatte ich die berühmteste junge Schauspielerin des Landes, Erika Pluhar, geheiratet. Das alles hat mich in eine Hybris geführt, die mir nicht gut getan hat, aber ich konnte sie selber nicht mehr abstellen. Ich dachte, ich sei ein Genie, unbesiegbar, ich wollte es allen zeigen und das Establishment schockieren. Das war alles um 1968 herum, als es auch leicht zugängliche Modedrogen gab, die in meinem Kreis vollkommen akzeptiert waren. Ich habe viele Menschen vor den Kopf gestoßen, immer mehr negative Energien ausgesandt – damals noch nicht wissend, dass genau das, was man rausschickt, auch zurückkommt.
Wie kam es zur Änderung?
Ich hatte einen klugen Schutzengel, der sagte: „Ich mache dich krank." Durch eine Muschelvergiftung bekam ich eine schwere Gelbsucht. Ich wusste nicht, was es war, und habe 14 Tage lang versucht, mich mit Fernet Branca zu kurieren. Danach war ich ein dreiviertel Jahr im Krankenhaus und geriet in die dringend notwendige Zäsur. Weg von den Drogen und dem Alkohol, auf mich allein zurückgeworfen, ans Bett gefesselt. Da war ich 24.
War es ausschließlich eine körperliche oder auch eine geistige Krise?
Auch eine fundamentale geistige! Ich zog meine karge Lebensbilanz und stellte fest, dass ich absolut keine Ähnlichkeit mit der Person hatte, die ich gerne gewesen wäre. Ich war ebenso verzweifelt über mein Aussehen wie über den Mangel an Wissen und Status. Denn wer war ich im Endeffekt: ein begabtes, aber umnebeltes Enfant terrible mit einer regionalen Bedeutung und außerdem der Ehemann einer Frau, die abends auf der Bühne im Unterschied zu mir bewies, dass sie eine qualitätsvolle Gürtellinie hat, auf die man sich verlassen konnte. Dass die Zeitungen mich spöttisch ‚Herr Pluhar' nannten, kam erschwerend hinzu.
Ich hatte damals die Theorie, dass ich mich mit 30 Jahren umbringen würde, das sagte ich auch in Interviews und es war nicht nur Koketterie.
Wie kam es dann zu einer Musteränderung?
Im Krankenhaus habe ich dann die ersten substanziellen Lieder und Prosatexte geschrieben. Auf meiner ersten Platte hatte ich ein oder zwei ganz schöne Chansons, aber im Endeffekt war es eine Schnulzenplatte. Ich wusste, dass ich alles betrog, was ich an Qualitätsmaßstäben besaß. Ich liebte Zappa, Paul Simon und Bob Dylan und habe doch nichts aus diesem Geist erarbeitet. Meine erste Platte war unerleuchteter Mist und wahrscheinlich besiegelte gerade das ihren Erfolg. Also steuerte ich mit einer zweiten LP gegen den ersten Eindruck und das Ergebnis war wieder ein Erfolg und ziemlich innovativ. Da merkte ich, dass es doch einen Weg gab, für den ich mich nicht genieren musste.
Waren Sie nun zufrieden, ein Sänger zu sein?
Es passierte etwas, das mein Leben grundlegend veränderte, ich hatte eine Art Erweckungserlebnis. Ich wurde zu einer Deutschlandtournee eingeladen und ‚Der Spiegel' schrieb im Vorfeld einen hymnischen Artikel über mich. Daraufhin waren die Konzerte ausverkauft, obwohl ich noch nie zuvor öffentlich gesungen hatte. Mit einer unglaublichen Frechheit nannte ich die Tournee ‚Eine Legende geht auf Reisen'. Das hing überall auf den Plakatwänden. Bei den Proben merkte ich aber, dass ich auf ein Debakel zusteuerte.
Mein erstes Auftreten fand dann in Hamburg vor einer ausverkauften Halle statt. In der ersten Reihe saßen die Prominenten, vom ‚Spiegel'-Gründer Rudolf Augstein bis Will Quadflieg, und alle wollten das Wundertier aus Wien sehen. Ich stand in der sogenannten ‚Gasse' vor dem Auftritt, die Band begann zu spielen und ich traute mich nicht raus! Richard Schönherz am Klavier beschloss dann verzweifelt, statt meiner zu singen. In dem Moment begann der Saal zu applaudieren, weil sie dachten, das sei ich am Klavier. Ich bin fassungslos im Dunklen gestanden und fragte mich, wie ich da je noch hinausgehen könnte. In der Mitte des zweiten Liedes bin ich dann wie eine Katze auf die Bühne gesprungen. Das Publikum war verwirrt, hat wieder applaudiert und im Endeffekt wurde das als höchst originell angesehen. Ich habe um mein Leben gesungen und Geschichten erzählt, teils vom Qualtinger und teils von mir, Schmäh geführt, gestänkert, gejodelt, mit dem Publikum konversiert und es war für das Publikum ein ganz ungewöhnlicher, höchst gelungener Abend, der Gott sei Dank zu sehr wohlmeinenden Kritiken führte und so war ein Act erfunden aus Verwirrung, Not, Chuzpe und totaler Improvisation. Das ergab eine massive Karriere als Entertainer in vielen Ländern auf Bühnen und im TV und hat mir ein Jahrzehnt lang viel Ermutigung und Produktionsmittel beschert, durch genau das, was ich damals auch tun wollte. Ich musste mich nicht einen Augenblick nach der Decke strecken und begann zu glauben, dass immer in meinem Leben Triumphe kommen werden, weil es halt gottgegeben ist.
Stammen Sie aus einer religiösen Familie?
Ich komme väterlicherseits aus einer jüdischen Familie, nur litt mein Vater unter einem katholischen Wahn, er wollte ernsthaft, dass ich einmal Kardinal werde und hat mich in ein Jesuiteninternat zur Hardcore-Ausbildung geschickt. Das ließ mich rasch atheistisch werden. 15 Jahre später begann mir zu dämmern, vielleicht sind die Sinnfragen doch die wichtigsten Themen: Warum sind wir hier? Was ist unser Ziel? Wer sind wir? Ich wollte mir eine Art Wiedergutmachungen für meine Wut- und Hochmutjahre verschaffen und war es mir schuldig, Projekte mit ‚hohen Energien' zu realisieren. Für die Wiener Festwochen habe ich damals ‚Flic Flac' gemacht und wusste, dass ich mit dieser Chance weise umgehen muss und nie mehr Fehler wie bei ‚Circus Roncalli' machen durfte, den ich ja in einer Ego-Raserei mitten im frischen Welterfolg 1977 mutwillig zerstörte. ‚Flic Flac' war ein Comeback-Erfolg und dann kam ‚Feuertheater' und ‚Begnadete Körper' und so weiter und plötzlich wusste ich, wie das geht, und begriff, wenn ich mit dem Kostbarsten, was die Menschen haben, nämlich, nachdem sie sich ein Ticket kaufen, mir zwei, drei Stunden Aufmerksamkeit und Lebenszeit schenken, nicht behutsam und verantwortungsvoll umgehe, bin ich ein Gangster. Ich merkte, wenn ich liebevoll und unopportunistisch und mit einer großen Genauigkeit an meinen Projekten arbeite, dann sind sie gesegnet.
Was bedeutet Ihnen Arbeit?
Ich bin jemand, der eine Wollust hat, zu lernen und immer Neues zu erfahren. Denn schlafen kann ich, wie der Wiener sagt, im Holzpyjama noch lange genug.
Wie ging Ihr spiritueller Weg weiter?
Da gäbe es sehr viel zu erzählen. Nur ein Beispiel: Ich hatte in Ägypten einen schweren Autounfall gemeinsam mit meiner damaligen Freundin Yasmin. Ich war, nachdem sich der Wagen dreimal überschlug, am Kopf liegend vollkommen eingeklemmt und dachte: „Entweder du bist in fünf Minuten tot oder du siehst aus wie der Niki Lauda nach dem Brand-Crash." Der Chauffeur schrie: „Raus, raus der Tank wird explodieren!" Ich spürte Yasmin neben mir und konnte mich nicht bewegen. In mir sagte eine Stimme: „Du musst dich entscheiden: Willst du sterben oder leben?" Plötzlich schrie ich dreimal ‚Freude'! Und dann war ich aus dem Auto draußen und die Yasmin auch. Sie hatte nicht die geringste präzise Erinnerung an diesen Vorfall, sondern nur eine Stunde geweint. Ich habe keine Erklärung, wie wir aus dem Auto entkommen sind, technisch war es gar nicht möglich. Anschließend war ich lange in einer Euphorie und dachte, ich sei wohl unsterblich. Einige Monate später bin ich nachts aufgeschreckt und war nicht mehr der André Heller, den ich kannte. Zwischen mir und der Welt war eine Art verstörende, dumpfe Watteschicht, in die Tausende Ängste und Einschüchterungen eingearbeitet waren. Neun Jahre lief ich in mir selbst Spießruten und erduldete körperliche Phänomene fegefeuerhafter Natur.
Wie haben Sie es geschafft, aus dieser Krise aufzutauchen?
Ich musste warten, bis ich am Grund der Not aufschlug. Millimeter um Millimeter begann dann der Aufstieg aus dem kaum Erträglichen und in einem bestimmten Moment durchdrang mich die klare Erkenntnis, dass ich kein Mensch bin, der eine spirituelle Erfahrung macht, sondern ein spirituelles Wesen, das eine menschliche Erfahrung macht. Ich, der so verkopft war, habe begriffen, dass ich meine Gedanken zutiefst gar nicht bin, und auch nicht meine Angst, sondern sie nur in diesem Körper habe.
Waren damit die schlimmen Zustände zu Ende?
Eines Tages kamen Vorboten der Leichtigkeit. Ich bemerkte freudig, dass ich nicht mehr auf Treibsand stand, sondern auf festem Boden. Das hat mich natürlich motiviert, den Weg weiterzugehen, dem ich diese Rettung verdankte. Ich war und bin begeistert von der Überzeugung, ein spirituelles Wesen zu sein. Ich habe in all den Jahren mit unterschiedlichen Meisterinnen und Meistern intensivst gearbeitet und gelernt, wie sehr das Bewusstsein unsere Wirklichkeit bestimmt.
Was verstehen Sie unter dem Begriff Gott?
Gott ist kein Einzelwesen mit Rauschebart, kein Mann, keine Frau, sondern die Summe der höchsten Energien und das Prinzip Liebe. Er ist natürlich auch bei keinem Verein und wer ihn exklusiv für seine Religion beansprucht, hat nichts vom Wesen der Spiritualität begriffen.
Haben Sie sich mit Religionen befasst?
Ich weiß, dass in fast allen Religionen einiges von dem ist, woran ich glaube. Die meisten, wie z.B. die katholische Kirche und auch der Islam, sind allerdings sehr wirksame, einschüchternde Angstproduziermaschinen, der Buddhismus vielleicht noch am wenigsten und im Judentum kann man zumindest mit seinem Gott legal streiten.
Fühlen Sie sich in einer Religion oder Ideologie zu Hause?
Nein, ich fühle mich in mir selbst zu Hause. Ich wurde erzkatholisch erzogen, dann jüdisch schockiert, weil ich erst nach dem Tod meines Vaters, da war ich zwölf Jahre alt, erfuhr, dass ich starke jüdische Wurzeln habe.
Wie leben Sie heute?
Sehr dankbar über das viele Wunderbare und Großzügige in meinem Dasein, in Italien, in Marokko, in Wien und auf Reisen. Ich habe nicht allzu viele, aber sehr loyale Freunde. Ich höre Musik, lese, schreibe, male, gehe mir auf den Grund, lache, liebe mich und andere. Immer wieder untersuche ich Fantasien in der Wirklichkeit auf ihre Statik und ringe mit den Möglichkeiten des Scheiterns und Gelingens. Ich denke dabei immer an den wunderbaren Satz meines klugen, schönen und hochbegabten Sohnes Ferdinand. Als er als Fünfjähriger gefragt wurde: „Ferdinand, wie geht es dir?" hat er geantwortet: „Danke, ich muss halt immer recht viel spielen." Das ist auch mein Lebensmotto, beim Spielen lernt man viel, das ist äußerst wirksam und so mache ich mich mit mir und der Welt bekannt. Auf dem Planeten Erde gebe ich ein Gastspiel in der Rolle André Heller und nehme die einzigartigen Herausforderungen der Polarität an.
Gibt es ein Ziel?
Mein Ziel ist es, mein Potenzial zu leben und meine außerordentlichen Erfahrungsmöglichkeiten in dieser Verwandlung nicht geschwänzt zu haben.