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Diskurs

„Extinction Rebellion“ ist der Name einer Bewegung, die sich der Rettung der Umwelt verschrieben hat – auch Buddhisten beteiligen sich.

Im Medienzeitalter des 21. Jahrhunderts geht es darum, Aufmerksamkeit für die eigene Sache zu erregen. „Extinction Rebellion“ heißt eine Bewegung, die das im letzten Jahr sehr gut geschafft hat. Ihr Anliegen: die Umwelt vor der Zerstörung zu retten. Für dieses Ziel greifen sie mitunter zu drastischen Mitteln. Im Oktober 2019 kletterten zwei Mitglieder der Bewegung in der Stoßzeit auf einen Londoner U-Bahn-Waggon und legten damit das öffentliche Verkehrsnetz in der englischen Großstadt lahm. Die beiden Männer wurden von den wütenden Passagieren vom Zug heruntergezogen und dann vom U-Bahn-Personal abgeführt. Spätestens seit dieser Aktion kennt man diese Rebellenbewegung, der sich immer mehr Menschen anschließen. Denn Extinction Rebellion löst mit ihren Aktionen stets auch viele Kontroversen aus.

Extinction Rebellion = Rebellion gegen das Aussterben

Der Name bedeutet „Rebellion gegen das Aussterben“. Die Idee dafür hatten die beiden Gründer der Bewegung, Gail Bradbrook und Julian Roger Hallam, 2018 in Großbritannien. Sie erkannten, wie effektvoll Aktionen wie Massenproteste, Flashmobs und Sitzstreiks sein können. Die beiden wissen auch um die Macht von Symbolen. Ihre Bewegung wird durch eine Sanduhr in einem Kreis versinnbildlicht. Der Kreis stellt die Erde als Lebensraum dar, die Sanduhr die Zeit, die abläuft.


Die Umweltrebellen organisieren ihre Aktionen und Aufrufe über die sozialen Medien. Dadurch konnte man in nur zwei Jahren sehr viele Anhänger gewinnen. Es gibt weder strenge Hierarchien noch ein zentralisiertes Vorgehen – im Gegenteil, alles funktioniert dezentral und auf lokaler Ebene. In kurzer Zeit wurden viele neue Mitglieder eingebunden. Jeder und jede, die mitmacht, hat die Möglichkeit, Ortsgruppen zu gründen und damit lokale Proteste und Demonstrationen zu planen.

Auch viele Buddhisten wurden Teil dieser Bewegung: Mark Ovland, ein bekannter buddhistischer Lehrer, entschied sich, seine Aktivitäten als Lehrer ruhen zu lassen, um sich Extinction Rebellion anzuschließen. Er war einer der Männer, die den Londoner U-Bahn-Protest planten und ausführten. Für ihn ist diese Bewegung ein guter Weg, buddhistische Theorie in die Praxis umzusetzen. Es gehe darum, wie wir einander und unsere Umwelt behandeln. In einem Interview erklärt Ovland: „Wir müssen unsere toxische Gesellschaft und unsere Wirtschaft daran hindern, das Blut unserer Kinder zu vergießen.“ Ovland wurde in den vergangenen Monaten mehrmals verhaftet, doch das hält ihn nicht auf, obwohl er mit seinen Worten und Taten auch bei vielen buddhistischen Anhängern auf Unverständnis trifft.

Extinction RebellionGegen Massenaussterben

Ovland ist nur einer von vielen buddhistischen Aktivisten. Rev. Satya Robyn, eine englische buddhistische Priesterin, Autorin und Psychotherapeutin, trat im Juli 2019 der Organisation bei und kam seitdem auch mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt. Ihre Motivation, sich weiter bei Extinction Rebellion zu engagieren? „Wir steuern auf ein Massenaussterben zu, damit zerstören wir so viel Schönheit“, sagt sie. Auch der bekannte Zen-Lehrer, Autor und Philosoph David Loy unterstützt aktiv Extinction Rebellion.

Für den westlichen Buddhismus ist Aktivismus keine neue Erscheinung. Die Begriffe „engagierter Buddhismus“ und „Eco Dharma“ beschreiben die Beziehung zwischen buddhistischer Praxis und sozialer Umwelt. Jedoch erregte bis dato keine Bewegung so viel Aufsehen wie Extinction Rebellion. In vielen Schriften des Buddhismus ist es untersagt, Lebewesen Leid zuzufügen oder diese gar zu töten. Auf der ganzen Welt protestierten buddhistische Mönche schon gegen die Zerstörung der Natur. In Thailand ordinierten sie Bäume und zogen ihnen Mönchskleidung an, um diese vor dem Fällen zu bewahren. In den USA protestierten Mönche gegen die unverantwortliche Lagerung von Atommüll. Auch der Dalai Lama machte sich schon früh für Naturschutz stark. Auf der ersten UN-Umweltkonferenz im Jahr 1992 warnte er vor der Zerstörung der Natur durch die Industrie.

Inwiefern passt Extinction Rebellion zum Buddhismus? Um klarzustellen, wofür Extinction Rebellion steht, gibt es auf deren Website eine Liste mit ihren Werten und Prinzipien. Mitglieder wollen sich den zivilen Ungehorsam zunutze machen, um eine Welt zu schaffen, die auch für zukünftige Generationen lebenswert ist. Zudem ist ihnen Integration wichtig, weswegen sie als Teil ihrer Prinzipien jeden willkommen heißen, unabhängig von religiöser Zugehörigkeit, Geschlecht, Alter oder Hautfarbe. Auch Schuldzuweisungen und Beleidigungen sind nicht gestattet, um einen positiven Wandel in die „toxische Gesellschaft“ zu bringen. Zudem orientieren sie sich in ihrem Handeln auch an der US-Politikwissenschaftlerin Erica Chenoweth, die an der Harvard-Universität forscht. Ihren Studien zufolge sind nichtgewalttätige Bewegungen wesentlich effektiver als gewalttätige Aktionen und destruktive Ausschreitungen. Um Gehör zu finden, genügen 3,5 Prozent der Bevölkerung.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 112: „Für eine bessere Welt"

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Obwohl viele Werte und Prinzipien der Bewegung mit den buddhistischen Werten übereinstimmen, gibt es in der Praxis Probleme. Der Buddhismus vertritt die Auffassung, dass niemandem Leid zugefügt werden sollte. Auch wenn die Aktivisten von Extinction Rebellion beim Blockieren von Straßen sehr friedlich vorgehen, können sie doch Leid auslösen. Wer benutzt diese Straße? Nur Personen aus der Mittelschicht, die es sich leisten können, zu spät zur Arbeit zu kommen? Ähnlich das Dilemma bei der Blockade der Londoner U-Bahn. Auch wenn sich ein Großteil von Extinction Rebellion sich klar von dieser Aktion distanziert hat, wurden von dieser Aktion all jene getroffen, die aus verschiedensten Gründen ohnehin schon die umweltfreundlicheren öffentlichen Verkehrsmittel nutzen. Kritik erntete der Mitgründer Julian Hallam, als er den Holocaust als „fast normales Ereignis“ einstufte. Extinction Rebellion in Deutschland distanzierte sich daraufhin von ihm.

Auch in Schweden blockierten Aktivisten von Extinction Rebellion gemeinsam mit Buddhisten die Straßen. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Blockaden wurde dort diese Sperre auch immer für ein paar Minuten aufgehoben, um Autos durchzulassen. Ein Teilnehmer erklärte: „Wir wollen kein Leid oder keine Probleme für andere Mitbürger auslösen.“ Es sei ihnen wichtig, dass keiner in seiner Freiheit eingeschränkt ist und dass Extinction Rebellion ein friedfertiges Bild vermittle. Die Vermeidung von Leid gehört im Buddhismus zu einer der wichtigsten ethischen Grundlagen. Jedoch können einige Aktionen (wie das Blockieren von Autos oder der U-Bahn) Leid auslösen.

Tragödien verhindern
Hier stützen sich einige Extinction-Rebellion-Buddhisten auf die Parabel des brennenden Hauses im Lotus-Sutra. Sie handelt von einem brennenden Haus, in dem sich spielende Kinder befinden. Diese jedoch sind so vertieft, dass jeder Versuch, sie von ihren Spielsachen loszureißen, scheitert. Buddha in Form des Vaters erklärt ihnen darauf hin, dass draußen drei wunderschöne, von Tieren gezogene Wagen warteten. Die Kinder rennen aus dem brennenden Haus und entkommen so dem sicheren Tod. Draußen angekommen, fragen sie, wo denn die versprochenen Wagen seien. Die Verhinderung einer Tragödie rechtfertigt hier eine Lüge. Diese Parabel zeigt auf, mit welchen Problemen wir in der Welt zu kämpfen haben. Aus buddhistischer Sicht kann man die Probleme der Welt nur lösen, wenn jeder Einzelne bei sich selbst beginnt. Der Mensch muss sich selbst ändern und spirituell wachsen, um einen positiven Effekt auf die Umwelt und die Gesellschaft zu haben. Das ist auch der Grundgedanke für Kurse und Seminare, die die Aktivisten von Extinction Rebellion Buddhists anbieten.

Weitere Informationen zu Extinction Rebellion findet man hier: www.rebellion.earth

Foto innen und außen © Talia Woodin
Foto nur innen © Helena Smith

Verena Pichler

Verena Pichler

Verena Pichler ist selbstständig und Online-Chefredakteurin der Ursache\Wirkung. Sie wuchs mehrsprachig auf und absolvierte ihren Bachelor in Soziologie an der Universität Wien und anschließend ihren Master in „Globalisierung, Umwelt und sozialem Wandel“ an der Universität Stockholm. Si...
Kommentare  
# Michael 2021-05-21 19:59
Es ist auch nicht das erste Mal, dass sich die deutsche Klimabewegung von ihren internationalen Partner:innen wegen Antisemitismus distanzieren musste. 2019 relativierte Roger Hallam, der 55-jährige britischer Mitbegründer von „Extinction Rebellion“, die Shoah in einem Interview mit der ZEIT. Eine bewusste Provokation, die fehlschlug: Er betrachtet Genozide als „ein fast normales Ereignis“, hält die deutsche Haltung zum Holocaust für schädlich und beschrieb die industrielle Massenvernichtung von Jüd:innen und Juden als „nur ein weiterer Scheiß in der Menschheitsgeschichte“ (vgl. Belltower.News). Auch damals war ein ähnlicher Tenor aus der deutschen Klimabewegung zu hören: „Er verstößt damit gegen die Prinzipien von XR, die Antisemitismus nicht dulden, und ist bei XR Germany nicht mehr will­kommen“, schrieb „Extinction Rebellion Deutschland“ auf Twitter. Sein deutscher Verlag, Ullstein, zog sein Buch zurück.

Diese Vorfälle zeigen: Die neu entstehende globale Klimabewegung, die dank Bewegungen wie „Fridays for Future“ viele Jugendliche weltweit mobilisieren kann, will sich konsequent für Gerechtigkeit einsetzen. Doch viele junge Aktivist:innen begegnen, abgesehen vom Schulunterricht, dem Nahostkonflikt in diesen Tagen zum ersten Mal. Meinungen werden schnell auf Social Media gebildet – auch über einflussreichen Akteur:innen der Bewegung wie Greta Thunberg. Und Diskussionen über den Konflikt, die in anderen Bewegungen über Monate, wenn nicht Jahre, ausgetragen werden, die teilweise leider auch zu großen Spaltungen geführt haben, finden innerhalb kürzester Zeit online statt. An Potenzial für eine verkürzte Kritik der Situation in Israel und den palästinensischen Gebieten, die in Antisemitismus münden kann, mangelt es nicht. Die Frage bleibt natürlich, ob eine Klimagerechtigkeitsgruppe sich zum Nahostkonflikt überhaupt äußern muss.
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