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Diskurs

Der deutsche Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim über die Möglichkeiten intelligenter Verkehrskonzepte und das Ende der persönlichen Mobilität.

Intelligente, weitgehend autofreie Verkehrskonzepte sind längst keine Utopie mehr, glaubt man Fachleuten wie Heiner Monheim, Professor für Angewandte Geographie, Raumentwicklung und Landesplanung an der Universität Trier. Die wenigen Einzelfahrzeuge, die es in Zukunft geben soll, werden kleine, elektrisch betriebene Pfandautos sein, deren Anzahl dem Kfz-Stand im Deutschland der 1950er Jahre entsprechen wird.

Warum glauben Sie, dass wir Bürger freiwillig auf unsere Autos und somit auf die private Mobilität verzichten?

Wir wissen aus vielen Projekten, dass das Problembewusstsein der Menschen bereits hoch ist. Personen, die an vielbefahrenen Straßen wohnen, finden die Vorstellung von geringerem Autoverkehr gut und sagen jetzt schon, dass sie sich über weniger Autos freuen würden. Weniger Verkehr bedeutet mehr Lebensqualität, schlafen bei offenem Fenster, mehr Wohnqualität. Außerdem kann man das heutige Anreizsystem für Autos umpolen auf ein Anreiz- und Belohnungssystem für öffentliche Verkehrsmittel. Statt einer Abwrackprämie kann man gratis Freifahrt in den öffentlichen Verkehrsmitteln auf Lebenszeit gewähren.

Der wirtschaftliche Erfolg vor allem Deutschlands hängt sehr stark von der Autoindustrie ab. Wie kann man diesen Umstellungsprozess schaffen, ohne eine Verarmung der Bevölkerung zu riskieren?

Das Ganze ist ein langer Transformationsprozess, der sich automatisch vollziehen wird, weil der Markt, also der Käufer, die Regeln verändert. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Alte Wahlscheibentelefone wurden von Handys verdrängt. Damit löste eine neue und bessere Technologie eine alte, unterlegene Technologie ab. Es gibt meiner Meinung nach zwei Ansätze zur Veränderung: Wir steigen von benzinbetriebenen Fahrzeugen auf Elektroautos oder andere alternativ angetriebene Fahrzeuge um. Dabei würden wir aber trotzdem unsere Individualfahrzeuge behalten. Die zweite Möglichkeit ist, dass wir das Problem an der Wurzel packen und auf ein persönliches Auto verzichten. Denn selbst wenn wir nur noch mit Elektromotoren fahren, haben wir verstopfte und überfüllte Straßen. Die Einzelfahrzeuge und ihr Flächenanspruch sind das wahre Problem.

Durch die angesprochenen Änderungen entstehen viele neue Arbeitsplätze. Intelligente Mobilität und ihre Geräte und Dienstleistungen werden sehr viel wichtiger und auch zur Schaffung vieler neuer Arbeitsplätze beitragen. Ist es nicht naiv zu glauben, dass aus der Automobilindustrie kein Widerstand kommt?

Die Autoindustrie kann tun, was sie will, aber das Auto ist eine sterbende Technologie und hat auf lange Sicht keine Überlebenschance gegen intelligente Mobilität.

Wir haben unser Leben auf die Verfügbarkeit von Autos angelegt und Einkaufszentren an Stadträndern gebaut. Wie soll das ohne Autos funktionieren?

Es ist eine Legende, dass die Raumstruktur bei uns in Europa ein Auto voraussetzt. In vielen ländlichen Regionen gibt es ein gut funktionierendes öffentliches Verkehrssystem. Hierfür kennen wir weltweit mittlerweile viele Pilotprojekte in Bezug auf Stadt- und Verkehrsplanung und auch psychologisch im Sinne von Kampagnen und Preispolitik, die zeigen, dass es auch anders geht. An intelligenten Konzepten mangelt es also nicht. Wir müssen nur einfach beginnen.

In welchem Zeitrahmen siedeln Sie diese unglaublichen Veränderungen an?

Nun ja, man kann sich anschauen, wie lange es gedauert hat, bis wir den heutigen Verkehrsstand erreicht haben. Der Prozess hat in Mitteleuropa etwa in den 60er Jahren richtig eingesetzt. Der öffentliche Verkehr hat 1850 begonnen und dazu geführt, dass wir bis etwa in die 1950er Jahre ein hervorragendes öffentliches Verkehrssystem hatten. Ab dann begann der Siegeszug des Autos auf Kosten des öffentlichen Verkehrs. Also 50 Jahre maximal dauert dieser Prozess, wobei ich der Meinung bin, dass es deutlich schneller gehen wird. Die massive Verteuerung der Mobilität wird in den nächsten zehn Jahren enorme Sprünge machen. Da kann niemand etwas ändern, hier wirken Marktmechanismen, die den individuellen Verkehr für den Großteil der Leute nicht mehr leistbar machen.

Mobilität

Werden solch alternative Verkehrskonzepte bereits irgendwo umgesetzt?

In Singapur gibt es ein intelligentes Mautsystem, das sofort massive Änderungen bringen würde. Bei dieser Maut zahlt man auf vollen Straßen mehr als auf leeren Straßen, man zahlt zu Stoßzeiten mehr als zu Randzeiten, man zahlt mit großen Autos mehr als mit kleinen und man zahlt mit umweltschädlichen Autos mehr als mit schonenden. Das ist mehr oder weniger eine marktwirtschaftliche Regelung des Autoverkehrs. In den Niederlanden war dieses System fix und fertig geplant, wurde allerdings von der neuen Regierung im Moment auf Eis gelegt.

Auf Dauer wird ein intelligentes Verkehrssystem in ganz Europa Einzug halten, ob wir das wollen oder nicht. Und zwar auf jeder Straße – von der Autobahn bis zur letzten Alm.

Was soll mit den dann leer gewordenen Straßen passieren?

Ein Riesenthema wird der Rückbau der Verkehrswege, die durch den geringeren Autoverkehr gewonnen werden. Das heißt, neue Alleen und öffentliche Plätze für die Menschen werden entstehen. Dies verursacht natürlich irrsinnige Kosten und geht auch nicht rasch, sondern in mehreren Etappen vor sich.

Was würden Sie der Wirtschaft empfehlen, wie sie mit der Veränderung umgehen soll?

Wenn ich VW-Chef wäre, hätte ich längst die Pläne für eine intelligente Mobilisierung in der Schreibtischschublade. Ich würde zwar noch schnell die letzten Autos verkaufen, aber mir schon Gedanken über die Zukunft machen. Die Elektromobilität ist eine Sackgasse. Der Stau wird dadurch nicht geringer. Eine moderne Stadt ist autogerecht nicht durchführbar. Selbst durch die großen Zersiedlungsprogramme haben wir das Problem bis heute nicht in den Griff bekommen.

Einen IKEA am Stadtrand wird es so in 20 Jahren nicht mehr geben. Ein Großparkplatz in der Pampa ist dann nicht mehr möglich.

Das Ganze wird aber kein revolutionärer Prozess, sondern eine stetige Veränderung. Diese allmählichen Prozesse erlauben es uns, klüger zu werden und zu reagieren. Wir werden noch eine Renaissance der kurzen Wege erleben.

Wer in der Fachwelt vertritt außer Ihnen noch diese Ansichten?

Nun ja, etwa 80 Prozent der Verkehrsplaner sind der Meinung, dass dies die Zukunft sein wird. Das Thema bräuchte jedoch deutlich mehr Öffentlichkeitsarbeit. Es ist aber auch eindeutig eine Frage von Wissen und Interesse an den Themen. Täglich werden weltweit Unsummen in die Autowerbung gesteckt, mit deren Hilfe uns psychologische Abhängigkeiten eingeredet werden, die uns das Gefühl vermitteln, dass das Auto Symbol der persönlichen Individualität ist. Doch auch diese Suggestionen können an der Entwicklung nichts ändern. Das Zeitalter der individuellen Mobilität wendet sich dem Ende zu, egal mit welchem Antrieb. 

Heiner Monheim, geboren 1946, ist seit 1995 Professor für Angewandte Geographie, Raumentwicklung und Landesplanung an der Universität Trier. Er hat 25 Jahre auf Bundes- und Landesebene in Raumordnungs- und Verkehrsministerien gearbeitet, ist Mitbegründer des VCD (Verkehrsclub Deutschland), der Initiative für eine bessere Bahn und der Fachleutevereinigung ‚Bürgerbahn statt Börsenbahn'. Monheim hat außerdem zahlreiche innovative Projekte für Busse und Bahnen planerisch und administrativ vorbereitet und wissenschaftlich evaluiert.

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Elisabeth Riedl

Elisabeth Riedl

Elisabeth Riedl, 1956, ist Journalistin und lebt in Wien. Sie hat viele Jahre für das österreichische und deutsche Fernsehen (ORF, ATV, RTL Gruppe) gearbeitet, seit 1999 als Chefredakteurin und TV-Produzentin. Sie hat 2000 gemeinsam mit Dieter Moor (jetzt Max Moor) als Moderatorin und Chefredakteu...
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