Es ist zu wenig bekannt, wie Stilleübungen und Schreiben einander befruchten und dass der kreative Akt selber Meditation ist. Wie kann es anders sein! Was ist es, was Künstlerinnen und Künstler verbindet und zu einem Leben oft großer Entbehrungen verpflichtet?
Warum wird Schreiben meist nicht den Künsten zugerechnet? Liegt es daran, dass jede/r, der oder die das Alphabet beherrscht, also schreiben kann, auch denkt, er/sie könne kreativ schreiben? Wobei kreativ nicht heißt, irgendetwas besonders originell und formvollendet zu schreiben. In diesem Kontext bedeutet es lediglich, dass wir die Schriftsprache bewusst verwenden und kaum zensieren. Ich meine hier vor allem, innerlich und soweit zensieren, dass es nicht aufs Papier kommt. Es gibt eine kaum beschreibbare Freude, wenn das Schreiben fließt. Wenn wir nicht zu den natürlichen oder künstlichen Hindernissen in unserem Leben, im Fluss unseres Lebens (Stromschnellen, Verengungen, Anhäufungen von Geäst oder Unrat, Felsen …) noch unsere mentalen Schranken, Zäune, Wälle, Mauern bauen und Rüstungen anlegen bzw. anbehalten.
Wie schreibt es sich ohne Rüstung? Aus dem Zustand des meditativen Schreibens, einem Zustand der Versenkung – die Gedanken sind stark verlangsamt –, lässt sich alles schreiben, jeder Stil, jedes Schreibprojekt: ein Aphorismus, ein Haiku, ein Tagebucheintrag, ein Essay, sogar das nächste Kapitel meines Buches. Ich habe eine Affinität zu Räumen der Stille. In den zwölf Jahren, in denen die meisten der Module der Frauenschreibschule KALLIOPE im Kloster der Waldbreitbacher Franziskanerinnen stattgefunden haben, lernte ich Stille und Rhythmus eines Klosters kennen und schätzen. Öfter verbrachte ich Schreibtage dort, alleine oder mit Freunden. Welch eine Wohltat, sich in eine Struktur fallen lassen zu können, die von Glockenschlägen bestimmt ist und uns von Alltagspflichten enthebt! Und so dem Tag mehr Stunden gibt zum Sitzen und Gehen in Stille, dem Studium und dem Schreiben, dem Gespräch und dem genussvollen Essen, dem Ruhen, der Kontemplation und dem Schlafen!
An jenem Ort mit den großen Fenstern und dem wunderbaren Ausblick über ein stilles Tal zu sanft geschwungenen Hügeln mit wenigen Häusern und ein paar Tieren erinnere ich meiner befriedigendsten Schreibzeiten. Wahrscheinlich war mein Kanal ganz auf Empfang gestellt, Radio und Fernsehen gab es nicht, und man sprach in den langen Gängen zwischen den Häusern meist von sich aus leiser als sonst.
Die Energie- und Sanierungskosten für ein so großes Haus waren nicht mehr tragbar, und so wurde es zum Teil abgerissen, und eines der neueren Häuser wurde komplett renoviert, um es modernen Standards anzupassen.
Ich war seit meinem letzten Seminar oder Retreat nicht mehr dort, es hätte mir das Herz gebrochen. Die letzten alten Nonnen, die ich alle kannte, werden gestorben sein, zum Teil waren sie schon in den Trakt für alte Menschen gezogen, und meist besuchte ich die eine oder andere. In den ersten Jahren von KALLIOPE waren es noch die Nonnen selber, die alle Dienste versahen: Nur beim Kochen oder Zimmerputzen sah man sie nicht. Aber alles rund ums Reservieren und Bezahlen, die Gestaltung der Räume und die Pausenmahlzeiten, die Schlüsseldienste … all dies wurde mit den jeweiligen diensthabenden Nonnen abgesprochen.
Wie viele Abschlussfeiern mit öffentlichen Lesungen habe ich, haben wir veranstaltet! Von ihnen wurde in den Zeitungen der umliegenden Dörfer und in der Gemeindezeitung berichtet. Für eine Zeit zog ich um in das kleine Kloster Ehrenbreitstein, konnte mich aber nicht so richtig gewöhnen, und zog von dort ins Haus Marienhof, das näher an Bonn lag, mehr Räume und besseres, auch vegetarisches Essen hatte.
All diese Orte unterstützten uns in unserer Schreibpraxis. Wir fühlten uns mit den Frauen des Mittelalters verbunden, die nur im Kloster die Konvention von Ehe und Familie hinter sich lassen, studieren und lernen, sich entfalten konnten. Besonders Hildegard von Bingen inspirierte unsere Texte, und ein Zitat von ihr schmückte die erste Seite unseres aufwendigen Flyers: Schreibe, was du hörst und siehst. Natürlich haben wir uns auch immer kritisch mit unserer mehr oder weniger christlichen Erziehung auseinandergesetzt und dies schriftlich getan. Großer Schmerz wollte geteilt sein, viele Tränen flossen in Waldbreitbach. Ob es Erinnerungen an Nonnen in Internaten waren oder harte Worte und Schläge zu Hause. Die Katholiken unter uns fühlten sich oft bitter genötigt zu lügen und zu verheimlichen und noch viel mehr. Jedoch geliebt haben den Ort am Ende alle: die Spaziergänge zu dem Kräutergarten und der Gärtnerei, wo man frisches Obst, Honig und Plätzchen für zu Hause mitnahm oder als Geschenk.
Es war eine wunderbare Zeit in meinem Leben, anfangs noch mit Lisa Becker, meiner besten Freundin und Kollegin, Mitgründerin der Schule, später leider ohne sie.
Meditatives Schreiben liebten wir beide. Wir taten es überall, mit niemandem schrieb ich so viel wie mit Lisa: in Kapellen und in der Natur, in Cafés, auf Friedhöfen, im Zug und an allen Arten von Esstischen. Du bist immer bei mir, Lisa. Danke.
Weitere Beiträge von Monika Winkelmann finden Sie hier.
Bilder © Unsplash