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Endlich habe ich das Blatt in der Hand und spaziere damit zum Müll. Endlich ist das Blatt von der Orchidee weg. Das Pflanzenblatt, das seit Wochen meinen Blick stört, das ich aber nicht herunterreißen oder abschneiden wollte.

Freudig mache ich einen Schritt nach dem anderen, halte es fast schon wie eine Trophäe meines geduldigen Wartens in der rechten Hand. Schau es so an und sage in Gedanken: „Endlich konntest du loslassen.“ Ja, so was sagt man als Achtsamkeitslehrerin. Denn die Übung des Loslassens und Nichtanhaftens ist essenziell für die Achtsamkeitspraxis, genauso wie es die Geduld ist. Geduld ist eine Übung, denn wie oft wollen wir Dinge beschleunigen, erzwingen und mit aller Kraft durchsetzen? Oder wollen einfach haben, dass der Frühling endlich kommt?

Astrid Blog1 BlattKurz vor dem Mülleimer blickt die Aprilsonne wieder aus den dichten Wolken hervor, fällt durch das Küchenfenster und auf das alte braune Blatt. Ich bleibe stehen, lächle und betrachte die Ränder, die unterschiedlichen Farben, die Linien des Vertrocknens. Das Licht scheint jetzt durch das dünne, zusammengetrocknete Blatt, das in der Blüte seiner Zeit so dick und dunkelgrün war, dass sich kein Sonnenlicht hindurchbewegen konnte. Ich finde es interessant. Ja, ich mag, was ich da sehe. Die Sonne hat mir einen Moment der Achtsamkeit geschenkt.

Blog Astrid 2 BlattMein Blick auf das sterbende Blatt ist jetzt frisch und neu, und ich erkenne, dass es nicht nur braun ist, sondern beige, gelb, braun und grün. Es ist durchzogen von vielen Linien. Längs- und Querlinien, die sich noch nicht durchbrechen lassen. Es werden einmal die Bruchstellen sein, die das Blatt in viele Einzelteile zerlegt, aber jetzt schaffen sie nur viele kleine Bereiche dieses ganzen Pflanzenblatts. Sie lassen mich erkennen, dass es auch vieles zum Leben braucht für solch ein Blatt. Sonne, Wärme, Pflege, Wasser und so weiter. Und jetzt mach ich kehrt. Das Blatt soll noch nicht in den Müll. Denn es hat mich gerade inspiriert, zu schreiben und noch etwas länger betrachtet zu werden. Ich lege es zurück neben den Topf mit der Orchidee, von der es stammt. Aufs Fensterbrett in die Abendsonne. In diesem Augenblick, da sehe ich nicht nur die Schönheit dieses Blattes, seine Vergänglichkeit, sondern es keimen ein paar Fragen in mir auf: Warum hat das verblühende Blatt so meinen Blick gestört? Warum gefallen mir sich verfärbende Blätter nur im Herbst? Fragen, auf die viele Antworten kommen könnten. Aber alle sind nichtig. Wie so oft. Und trotzdem ist es hilfreich, sie gestellt zu haben.

BLog Astrid 3

„ES GIBT KEINE RICHTIGE ART, DIE NATUR ZU SEHEN. ES GIBT HUNDERTE.“
Kurt Tucholsky

BLog Astrid 4

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Fotos Teaser / Beitrag © Astrid Eder
Foto Header © Jessica Knowlden / unsplash

 

Astrid Eder

Astrid Eder

Bauernhof Kind mit Studium der Wirtschaftswissenschaften, ehemalige Vielfliegerin für ein Luxuslabel, tauschte Prada gegen Prana unter Einfluss von Panik, mehrjährige Vipassana- und Zenpraxis, Yogalehrerin (500 YAA) mit Hang zu Teekonsum nach Gung Fu Cha, Achtsamkeitslehrerin  und MBSR Lehrer...
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