Freude, Beziehungen, Einsicht und Sinn sind Ressourcen, um schwierige Zeiten zu überstehen. Sie sind im Buddhismus tief verankert.
Drei Gruppen von Lehren helfen vielen Menschen in Krisen und Umbruchzeiten: Freude, Beziehungen und Sinn, die drei Hauptressourcen für den Umgang mit schwerem Leiden. Sie entsprechen den vier Dimensionen von Freude in der buddhistischen Tradition: Sinnesfreuden, Beziehungen, Sammlung und Einsicht. Die Ärztin und Traumatherapeutin Luise Reddemann empfiehlt, sich zuerst lange mit positiven Erfahrungen zu stabilisieren und erst danach dem Schmerz zuzuwenden und ihn – zeitlich begrenzt – tief zu empfinden.
Alle brauchen Freude. Gerade in schweren Zeiten ist es notwendig, sich nicht nur auf Schmerz und Leid zu konzentrieren, sondern die vielen guten Bedingungen, unter denen man lebt, wertzuschätzen. Die tibetische Tradition empfiehlt, hin und wieder auch an die vielen Probleme zu denken, die man nicht hat. Wertschätzung und Dankbarkeit für gute Erfahrungen und Bedingungen öffnen eine Tür zu tiefem Vertrauen ins Leben. Das braucht man in schweren Zeiten ganz besonders. In den letzten Wochen und Monaten liest und hört man oft, dass sich die Menschen gegenseitig gerade auf vielfältige Weise helfen, die Freude über gute Taten stärkt sogar das Immunsystem.
Damit kommt man zur zweiten Ressource: Beziehungen. Menschen brauchen Menschen wie die Luft zum Atmen, denn wir sind nicht nur einzigartige Individuen, sondern vor allem soziale Wesen. Das wird in Krisenzeiten besonders deutlich. Man wird nur durch den Kontakt zu anderen zum Menschen. Die regelmäßige und von Herzen kommende Praxis der Achtsamkeit mit der Einstellung der „vier unermesslichen Haltungen“ ist ein wunderbares Werkzeug, um mit sich und allen Arten von Menschen und Situationen angemessen umgehen zu lernen.
Zu diesen vier Haltungen gehören: Liebe/Freundlichkeit, Mitgefühl, Freude/Mitfreude und Gleichmut/heitere Gelassenheit. Mit dieser Form der zärtlichen Achtsamkeit üben wir Freundlichkeit und Mitfreude, wenn die Dinge gut laufen, und Mitgefühl und Gleichmut, wenn die Zeiten schwierig sind. Das zu üben bedeutet nicht, dass man nie mehr traurig oder niedergeschlagen ist und stets heiter und gelassen durchs Leben geht. Durch regelmäßiges Üben macht man sich aber mit diesen Haltungen vertraut, sie fallen einem in schwierigen Momenten dann eher ein, und das führt dazu, dass man mit sich und anderen auskommen lernt.
Als dritte Ressource braucht man die Erfahrung von Sinn durch Einsicht in die Gesetze des Lebens. Als Sinn lässt sich das schlichte Gefühl beschreiben, die alltäglichen Erfahrungen in einen größeren Zusammenhang einordnen zu können. Die Phänomenologie nennt es Lebenswelt, das präreflexive Gefühl, sich selbstverständlich als Teil der Welt zu erleben und dazuzugehören.
Dazu werde die ersten beiden genannten Ressourcen gebraucht, die Erfahrung von Freude sowie tragfähige und langfristige Beziehungen. Zugehörigkeit beginnt im nahen Umfeld und kann sich erweitern bis hin zum Gefühl, dass die Welt das eigene Zuhause sei. Das heißt nicht, dass jemand die Welt, die anderen und sich selbst völlig versteht – aber dann doch so weit, dass wir mit uns selbst und anderen, mit kulturellen Bedingungen, sozialen Rollen und der Natur einigermaßen angemessen umgehen lernen.
Es gibt dann immer noch Krieg und Gewalt, Armut, Hunger und Ungerechtigkeit. Das lässt sich nicht ausblenden. Doch es geht darum, den Blick auf das, was gut funktioniert, nicht zu vergessen. Alle tun ihr Bestes, versuchen, ethisch und verantwortlich zu leben, aber es wäre vermessen, Perfektion zu verlangen, weder im Alltag noch in der kleinen oder großen Politik. Samsara wird nie perfekt, denn Gesellschaften sind träge. Veränderungen brauchen Zeit, viel Geduld – und viel Einsicht.
Einsicht ist wichtig. Gleichmut und ein friedvoller Geist werden möglich, wenn man die drei Daseinsmerkmale, Leiden, Vergänglichkeit und Unkontrollierbarkeit, mehr und mehr versteht und akzeptiert. Natürliches Leiden gehört einfach zum Leben dazu und weder Technik noch Pillen, weder Wissen noch ethisches Verhalten können uns völlig davor bewahren.
Warum gibt es überhaupt Leiden? Weil das Leben so komplex ist, dass sich äußere und innere Bedingungen immer wieder verändern und man das Leben weder mit Vorsorge noch mit allerlei Techniken und auch nicht mit sogenannter künstlicher Intelligenz je vollständig in den Griff bekommen kann. Warum nicht? Weil es keine Instanz in einem und in der Welt gibt, die alles im Griff hat und daher besitzen und kontrollieren könnte.
Leben ist komplex und bleibt ein Risiko. Diese Einsichten können helfen, genügend Offenheit und Humor, Kraft und Geduld zu entwickeln, um mit dem natürlichen Leiden von Krankheit und Tod, Verlust und Enttäuschung umzugehen und das zusätzlichen Leiden durch Gier, Hass und Verblendung ein klein wenig zu verringern. Vor allem in uns selbst, denn bislang wurde der Schalter noch nicht gefunden, der Leiden und Unwissenheit in anderen abschaltet. Das scheint nur möglich, wenn man es in sich erkennt und verringert.
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Illustration © Francesco Ciccolella
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