Ich habe in meinem Leben auf vielfache Weise die heilende Wirkung von Großzügigkeit erfahren. Sobald mich jemand mit Gebefreudigkeit überrascht, atme ich auf.
Meine Grenzen dehnen sich aus. Meine eigene Bereitschaft zu geben und zu empfangen wird neu konfiguriert. Ich lerne das Loslassen.
Als Heranwachsende war ich eher knauserig. Mich interessierte, was ich wohl erhalte, wenn ich etwas gebe. Doch wahre Großzügigkeit denkt nicht an Gegenleistung. Das wurde mir schnell klar, als ich mit dem ersten Eintauchen in Buddhas Lehren damit begann, ganz bewusst Großzügigkeit zu üben. Da Buddha die Gebefreudigkeit stets als eine Säule auf dem Weg zur Befreiung gepriesen hat, wollte ich diese Chance zu intensiver Praxis unbedingt nutzen. Dadurch habe ich ganz unterschiedliche Qualitäten des Gebens erforscht.
Da ist die einfachste Form der Großzügigkeit, häufig in Höflichkeit gekleidet: den Sitzplatz im vollen Bus anbieten, seinen Parkplatz jemand anderem überlassen, den Briefkasten für die verreisten Freunde leeren und ihre Katze füttern. Eine mittlere Form von Großzügigkeit wäre zum Beispiel: seine Zeit für ein Ehrenamt zur Verfügung stellen, die eigene Wohnung einem Gast überlassen, sein Auto verleihen. Natürlich sind die Grenzen fließend. In manchen Lebenssituationen ist es schwerer, einen Liter Wasser mit anderen zu teilen, als sein Vermögen zu verschenken. Was für den einen kinderleicht erscheint, kann für andere Menschen eine große Herausforderung sein. Beispiele für höchste Formen der Großzügigkeit: einen Fremden in die eigene Wohnung aufnehmen, eine Niere spenden, sein Leben zur Rettung eines anderen einsetzen.
In der Großzügigkeit (Pali: Dana) verbirgt sich auch die Bereitschaft, fürsorglich seine Hand auszustrecken und dem anderen entgegenzukommen, wenn es um Meinungen und Ansichten, um vermeintliches Recht und Unrecht geht. Die Kunst des Gebens wird sichtbar im Mitgefühl, im hingebungsvollen Dienen, in Pflege und Fürsorge. Immer wieder wird durch Gebefreudigkeit Verbindung zum Besten in uns und anderen hergestellt.
In einer Studie der Universität von Vancouver bekamen Studenten morgens einen Betrag von fünf oder 20 Dollar in die Hand – eine Gruppe sollte das Geld für sich selbst ausgeben, die andere Gruppe sollte anderen ein Geschenk dafür kaufen oder das Geld spenden. Eindeutig zeigte sich, dass diejenigen, die ihr Geld für andere ausgegeben hatten, am Ende des Tages zufriedener und glücklicher waren als jene, die für sich selbst etwas gekauft hatten, ganz unabhängig von der Höhe des Betrags.
Großzügigkeit strahlt in alle Richtungen aus und schließt auch uns selbst mit ein. Wir könnten uns gerne einmal fragen: „Wie verhindere ich es, großzügig mit mir selbst zu sein?“ Denn wenn wir uns selbst Zeit und Aufmerksamkeit schenken, wird unsere Lust am Teilen spürbar aktiviert. Großzügigkeit ist ein Himmelsgeschenk, das wir im Alltag gar nicht oft genug ins Spiel bringen können.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 96: „Buddha’s Way of Life"
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