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Leben

Gibt es nur eine Logik, auf der alles beruht? Oder gibt es viele verschiedene Logiken und ist die Logik dann für alle überhaupt noch logisch? 

Wenn wir versuchen, die Gedankenwelt dieser islamistischen Rächer irgendwie nachzuvollziehen, dann stoßen wir auf Glaubenssysteme, in denen der eigene Tod als erstrebenswerter dargestellt wird als das Leben – freilich nur dann, wenn der Tod als Methode eingesetzt wird, um auch möglichst viele Ungläubige ins Jenseits zu befördern. Klar, dass das eigene Jenseits dann der Himmel und das der Ungläubigen die Hölle ist. Es besteht also keine Gefahr, die getöteten Ungläubigen im Jenseits anzutreffen. Stattdessen warten 72 Jungfrauen, für die, wie einmal ein amerikanischer Comedian angemerkt hat, der Himmel möglicherweise auch nicht ganz das sein dürfte, was sie sich erhofft haben. Diese und andere Facetten islamistisch-terroristischer Glaubenssysteme sind für die meisten Menschen der westlichen Welt nur sehr schwer nachzuvollziehen. Das, was wir in der Schule unter der Bezeichnung ‚logisches Denken' gelernt haben, hilft uns dabei nicht sehr viel weiter. Manche von uns ziehen sich auf den christlichen Standpunkt des ‚Verzeihens' zurück und vergessen dabei, dass der, der verzeiht, damit die stillschweigende Behauptung aufstellt, dass der, dem verziehen wird, im Unrecht ist, was den Verzeihenden ordentlich aufwertet. Ich hatte zwar noch nie Gelegenheit, mich mit einem islamistischen Terroristen zu unterhalten, bin aber ziemlich sicher, dass er nicht den geringsten Wert darauf legt, dass ich oder sonst ein – aus seiner Sicht – Ungläubiger ihm verzeiht.

Eine ärgerliche Sache – das mit den vielen Logiken.

Andere halten es eher mit der US-amerikanischen Rächerlogik und überlegen, mit welchen Waffen man diese Bande am kostengünstigsten totkriegt. Offensichtlich haben wir in unseren Gesellschaftssystemen des – mehr oder weniger – christlichen und mehr oder weniger aufgeklärten Abendlandes keine brauchbaren Werkzeuge, um die Logik islamistischer Terroristen zu verstehen. Da diese Personen aber organisiert sind, manchmal auch ziemlich effizient, sich in der Welt recht gut zurechtfinden und offensichtlich sehr gut imstande sind, die Denkregeln der Logik anzuwenden, müssen wir wohl auch davon ausgehen, dass ihre für uns so schwer verständlichen Mordaktivitäten und -motive auch einer Logik folgen. Nur eben einer, die den meisten von uns verschlossen bleibt. Die Schlussfolgerung daraus wird jedem Philosophen sauer aufstoßen, dürfte aber unausweichlich sein: Wenn wir mit ‚Logik' das System von Regeln bezeichnen, nach denen Gedanken zu ordnen sind, dann gibt es nicht nur eine Logik, sondern mehrere. Logik ist eine feine Sache und hilft uns, eine Menge zu verstehen, zum Beispiel den Physikunterricht, aber sie ist keine universelle Sprache, die zur Verständigung von jedem mit jedem führt. Wie viele Witze beruhen auf der Unfähigkeit von Männern, die Logik zu verstehen, nach denen ihre Frauen funktionieren. Ein sehr viel harmloseres Beispiel, das aber – auf ganz anderer Ebene – einen ähnlichen Sachverhalt zeigt.

Technische Intelligenz entwickelt man im Wesentlichen in der Auseinandersetzung mit der Natur.

Eine ärgerliche Sache – das mit den vielen Logiken. Haben wir nicht mit Hilfe der aufgeklärten Logik des christlichen Abendlandes die Planetenbewegungen berechnet, die Dampfmaschine erfunden und sind auf dem Mond gelandet? Wie kann es also sein, dass Teile der Menschheit sich zwar unserer aufgeklärten Logik bedienen, wenn es um Internetnutzung und Aktiengeschäfte geht, aber einer ganz anderen, wenn es darum geht, den eigenen Glauben zu verteidigen oder das, was man dafür hält? Der von mir sehr verehrte und leider schon verstorbene Soziologe Paul Neurath würde jetzt gesagt haben: „Die G'schicht' fangt eigentlich ganz woanders an." Das wahrscheinlich erste Problem, das die Menschen nach der Vertreibung aus dem Paradies hatten, war es, sich in einer ziemlich unangenehmen Umwelt gegen Säbelzahntiger und andere unerfreuliche Mitbewohner zu behaupten. Da sie mit Körperkraft und körpereigener Bewaffnung sehr schlecht ausgestattet waren, blieben ihnen nur zwei wesentliche Ressourcen: erstens die Fähigkeit, Waffen zu basteln, und zweitens die Fähigkeit, sich zu organisieren. Waffen basteln erfordert Einsicht in die Gesetze der Physik, sich organisieren erfordert Empathie, Einsicht in die Absichten und Befindlichkeiten derer, mit denen man sich organisieren muss. Wir könnten diese beiden Fähigkeiten auch ‚technische Intelligenz' und ‚soziale Intelligenz' nennen.

Soziale Intelligenz entwickelt man in der Auseinandersetzung mit Menschen.


Technische Intelligenz entwickelt man im Wesentlichen in der Auseinandersetzung mit der Natur. Die kann zwar mitunter recht lebensfeindlich sein, hat aber immerhin die erfreuliche Gewohnheit, sich nach einigermaßen verlässlichen physikalischen Gesetzen zu verhalten. Wenn man die kennt, dann kann man ungefähr voraussagen, was die Natur in Zukunft tun wird. Das gilt zwar weniger für Klimaveränderungen, Tsunamis und Wirbelstürme, aber wenigstens Sonnenaufgänge, Gestirnsbewegungen und Jahreszeiten lassen sich so einigermaßen prognostizieren. Unsere Vorfahren konnten das auch ohne Computer mit erstaunlicher Genauigkeit.

Logiken

Soziale Intelligenz entwickelt man in der Auseinandersetzung mit Menschen. Die sind zwar tendenziell freundlicher als die Natur – zumindest solange man ihnen nichts wegnimmt und solange sie noch nicht vom Virus der Machtgier befallen sind, aber die Gesetze, nach denen sie handeln, sind noch schwerer herauszufinden als die der Natur. Das dürfte schon sehr früh in der Menschheitsgeschichte ein Problem gewesen sein. Damals wie heute wurden und werden die Gesetze der Natur eher erforscht, die Gesetze der Menschen eher erfunden. Natürlich stimmt das nicht hundertprozentig. Denn beim Finden der Naturgesetze haben immer auch religiöse Vorstellungen eine Rolle gespielt, beim Finden der Gesetze für menschliches Verhalten – oft auch Moral genannt – haben immer auch psychologische Ideen und deren Vorläufer eine Rolle gespielt. Aber im Großen und Ganzen werden doch die Gesetze für die Menschen eher gemacht, die für die Natur eher gefunden. Da sich die Menschheit schon recht früh in der Menschheitsgeschichte auf diverse Wanderschaften begeben hat, ist es also gar nicht verwunderlich, dass sich die Gesetze für die Menschen je nach den Erfordernissen, die sie dort vorgefunden haben, wo sie sich niedergelassen haben, auch recht unterschiedlich entwickelt haben. Das wäre also noch gar nichts Besonderes, wenn da nicht noch eine weitere Entwicklung hineinspielen würde: Die Menschen haben sich ja vor allem deshalb auf die Wanderschaft gemacht, weil sie immer mehr geworden sind und in ihren ursprünglichen Revieren nicht mehr genug Platz und Nahrung gefunden haben.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 92: „Reiseführer Meditation"

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Deshalb haben auch die Gesetze, die sie sich gemacht haben, für eine immer größere Anzahl von Menschen gelten müssen. Es wurde somit auch notwendig, Kontrollmechanismen zu (er)finden, die dafür sorgen, dass die Gesetze auch von denen eingehalten werden, die ihren Sinn nicht so recht verstehen. In einer kleinen Stammeshorde ist es ziemlich leicht zu verstehen, dass die Beschädigung eines Stammesangehörigen den Verlust einer Arbeitskraft für den Stamm bedeutet und somit eine Schmälerung auch der eigenen Ernährungsgrundlage. In einer Gesellschaft mit ein paar Tausend oder ein paar Hunderttausend oder ein paar Millionen Angehörigen ist das weniger offensichtlich. Aber auch wer die Regeln nicht so gut versteht, muss sie trotzdem befolgen, sonst wird's kritisch. Erst seit der Aufklärung im Europa des 17. Jahrhunderts und später wurde der Anspruch erhoben, dass Gesetze von denen, die sie befolgen sollen, auch verstanden werden sollen. Nicht überall hat sich dieser Anspruch durchgesetzt. Die Gebote Allahs nach dem Wortlaut des Propheten zu befolgen, nicht aber sie zu verstehen, scheint für islamistische Terroristen das Entscheidende zu sein – wohl ein weiterer Stolperstein auf dem Weg zur Weltgesellschaft.

Dr. Anselm Eder, geboren 1947 in Wien, hat bis 2012 als Universitätsprofessor am Institut für Soziologie mit Forschungsschwerpunkten unter anderem in den Bereichen ‚Medizinische Soziologie‘, ‚Körpersprache als Beobachtungsfeld‘ und ‚Simulation sozialer Interaktionen‘ gearbeitet. Seit 2012 macht er alles andere.
 
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Dr. Anselm Eder

Dr. Anselm Eder

Dr. Anselm Eder, geboren 1947 in Wien, hat bis 2012 als Universitätsprofessor am Institut für Soziologie mit Forschungsschwerpunkten unter anderem in den Bereichen ‚Medizinische Soziologie‘, ‚Körpersprache als Beobachtungsfeld‘ und ‚Simulation sozialer Interaktionen‘ gearbeitet. Seit ...
Kommentare  
# Uwe Meisenbacher 2017-06-14 13:21
Hallo Herr Eder,
Ihr Artikel hat gute aufklärerische Qualitäten. Ich bin der Meinung, wir sollten keine verblendeten Fanatiker dulden, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnen, die unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit Hassbotschaften verbreiten und zum Kampf gegen Nichtgläubige und Andersgläubige aufrufen.

Mit freundlichen, Aberglaubens- und verblendungsfreien buddhistischen Grüßen
Uwe Meisenbacher
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# Astrids 2019-04-01 14:20
Lieber Herr Meisenbacher,
Ich bin absolut Ihrer Meinung!
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