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Teegespräch

Hendrik Hortz, Herausgeber der Ursache\Wirkung, spricht mit Cyril Costines über den Stand aktueller Bewusstseinsforschungen.

Cyril Costines ist ein deutscher Bewusstseinsforscher ägyptisch-armenischer Abstammung. Er studierte Biologie, Psychologie und Philosophie an den Universitäten von Berkeley, Greifswald, Heidelberg, Konstanz und Magdeburg. Costines forschte zusammen mit dem deutschen Philosophen Thomas Metzinger bis zu dessen Emeritierung im Rahmen des von diesem initiierten und geleiteten MPE-Projekts über „reines Bewusstsein“ („Minimal Phenomenal Experience“).

Darüber hinaus ist Costines Mitglied der Forschungsgruppe „Psychotrope Substanzen“ an der Charité Berlin, die sich mit Fragen zu veränderten Bewusstseinszuständen beschäftigt. Er ist Mitbegründer der MIND Foundation, einer Organisation, die sich für die Förderung der psychedelischen Wissenschaft und die legale Etablierung einer durch Psychedelika unterstützten Psychotherapie einsetzt.

Hortz: Ich falle gleich mit der Tür ins Haus: Was ist Bewusstsein? Worüber sprechen wir hier?

Costines: Dies ist wohl die entscheidende Frage, die mich und viele andere innerhalb der philosophischen oder neurowissenschaftlichen Bewusstseinsforschung und außerhalb davon zutiefst bewegt – und die zu klären ich mich bemühe. Ich habe keine Antwort auf diese Frage. Auf der begrifflichen Ebene gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Auffassungen dessen, was unter „Bewusstsein“ zu verstehen ist. Auf die vielen verschiedenen Begriffsbestimmungen von Bewusstsein kann ich hier nicht näher eingehen. Doch ein Beispiel ist etwa „Zugriffsbewusstsein“. Hier geht es um die globale Verfügbarkeit von Informationen für die rationale Handlungskontrolle, das Denken, oder die Aufmerksamkeit.

Ein anderer Bewusstseinsbegriff ist „phänomenales Bewusstsein“.

Richtig, das ist eine Gegenüberstellung, die vom US-amerikanischen Philosophen Ned Block geprägt wurde: „Zugriffsbewusstsein“ versus „phänomenales Bewusstsein“. Während das funktionale Konzept des Zugriffsbewusstseins sich auf Informationen bezieht, beschreibt „phänomenales Bewusstsein“, wie sich das Erlebte anfühlt: Wie fühlt sich die Qualität der Rotheit als subjektives Erleben der Farbe Rot an? Wie fühlt es sich an, auf LSD zu sein? Wie fühlt es sich an, eine Fledermaus zu sein? In diesem Sinne verfügen auch viele Tiere über Bewusstsein.

Ein weiteres Beispiel ist der Begriff „präreflexives Bewusstsein“, für den es diverse Bedeutungsnuancen gibt. Im Wesentlichen ist damit aber der Aspekt des Bewusstseins gemeint, dessen Inhalt oder Vollzug entweder noch nicht oder prinzipiell nicht reflektiert werden kann. Ein anderer Begriff, der dem vorigen nahezukommen scheint und dem Buddhismus eher vertraut sein dürfte, ist das „primordiales Bewusstsein“ oder „Urbewusstsein“, von dem angenommen wird, dass es der „Grund des Bewusstseins“ sei.

Wo sitzt denn Bewusstsein? Gibt es ein neuronales Korrelat?

Die Frage nach dem neuronalen Korrelat des Bewusstseins – auch NCC – ist nach wie vor ungelöst. Bewusstsein ist jedenfalls nicht in der Zirbeldrüse angesiedelt, wie es der Philosoph René Descartes einst annahm. Eine weitere einflussreiche spekulative Idee von den Neurowissenschaftlern Wolf Singer und Charles M. Gray aus dem Jahr 1989 besagt, dass Bewusstsein genau dann entsteht, wenn im Gehirn 40-Hertz-Oszillationen, also Schwingungen mit einer Frequenz von 40 Hertz, auftreten. Klar ist: Wir haben kein gesichertes Wissen darüber, welche minimal hinreichenden Bedingungen für das Entstehen von Bewusstsein erfüllt sein müssen. Gewiss ist jedoch, dass die Architektur des Gehirns – nicht das Gehirn als solches – eine notwendige Bedingung für die Entstehung von Bewusstsein ist.

Bewusstsein benötigt also immer ein Trägermedium, es kann nie losgelöst von Materie sein?

Bewusstsein setzt die Materialität eines Trägers voraus. Im Sinne eines naturalistischen Weltbildes lehne ich die Annahme eines immateriellen, von der Materie losgelösten Bewusstseins ab. Für das Auftreten des Bewusstseins ist nach unserem heutigen Kenntnisstand eine materielle Grundlage notwendig. Bewusstsein ist ein sogenanntes emergentes Phänomen.

Dieser Träger muss nicht immer organisch sein, ein Gehirn?

Nein, ganz und gar nicht. Prinzipiell ist auch ein Trägermaterial auf Siliziumbasis denkbar. In diesem Zusammenhang spricht man auch von „multipler Realisierbarkeit“.

Damit sind wir beim Thema KI, „künstliche Intelligenz“. Es ging kürzlich durch die Medien: „LaMDA“, einem Google-Chatbot, einer Software, wird von einigen Bewusstsein zugesprochen.

Künstliche Intelligenz und vor allem künstliches Bewusstsein sind zwar hoch relevante Themen, werden aber in den Medien völlig überzogen und kaum differenziert dargestellt. Wir sind weit davon entfernt, Bewusstsein künstlich erzeugen zu können. Ich kann durchaus nachvollziehen, warum man im Umgang mit einem so hoch entwickelten Chatbot unweigerlich den Eindruck gewinnen kann, dass es sich um eine Entität handelt, die ein Bewusstsein hat, um einen leidensfähigen Organismus. Meiner Meinung nach ist das Bemerkenswerteste daran jedoch nicht das Antwortverhalten von LaMDA, sondern vielmehr, dass es uns menschlich oder menschenähnlich erscheint, was in gewisser Weise mehr über die menschliche Psychologie aussagt als über LaMDA.

Was ist der Kern deiner eigenen Forschung?

Es fehlt an einer übergreifenden, vereinheitlichenden Theorie des Bewusstseins. Das Forschungsprojekt, an dem ich derzeit mit Mitgliedern eines internationalen Forschungsnetzwerks arbeite (MPE-Projekt), befasst sich mit Teilfragen zum Thema des minimalen phänomenalen Erlebens oder des minimalen Bewusstseins, deren Klärung dem erwähnten Ziel einer minimalen Theorie des Bewusstseins dienlich ist. Mein besonderes Interesse im Rahmen des MPE-Projekts gilt dabei der Phänomenologie minimalen Bewusstseins. Ein anderer Ausdruck für minimales Bewusstsein ist „reines Bewusstsein“ oder „reines Gewahrsein“.

Kannst du noch mal präzisieren, was mit „reinem Bewusstsein“ gemeint ist?

Man kann es auch als reines Gewahrsein ohne Ich-Gefühl bezeichnen. „Reinheit“ ist dabei keineswegs normativ zu verstehen, sondern bezieht sich darauf, dass der Inhalt des Erlebens völlig abwesend oder, besser, scheinbar völlig abwesend ist. Das Ich-Gefühl, das im minimalen Bewusstsein abwesend ist, nennt man „phänomenales Selbst“ oder „Selbstbewusstsein“. Das phänomenale Selbst umfasst das Erleben, eine in sich geschlossene Ganzheit zu sein, mit einer individuellen Erlebensperspektive, mit körperlichen Grenzen, mit Emotionen, mit Empfindungen, mit Gedanken, mit einer Biografie und so weiter, kurzum jemand zu sein. Der Zustand des „reinen“, oder sagen wir, „minimalen Bewusstseins“ ist gerade durch die Abwesenheit eines solchen phänomenalen Selbst gekennzeichnet.

Gibt es weitere Kriterien, die erfüllt sein müssen, um von einem „minimalen Bewusstsein“ zu sprechen?

Ja, zum Beispiel die Abwesenheit von Zeiterleben, von räumlicher Selbstverortung oder von Perspektivität. Ein weiteres Merkmal ist beispielsweise Non-Dualität, also die Abwesenheit einer gefühlten Unterscheidung zwischen Ich und Nicht-Ich, zwischen Selbst und Welt. Ein weiteres wichtiges Kriterium, vielleicht sogar das wichtigste, ist Non-Sensorik, die völlige Abkopplung von Sinneseindrücken inklusive des gedanklichen Erlebens. Im Buddhismus spricht man von Leerheit. Die wohl einfachste Definition des Begriffs „minimales Bewusstsein“ ist: inhaltloses, waches Gewahrsein des Bewusstseins an sich.

Wenn man von allen Sinnesmodalitäten entkoppelt ist, am Ende auch vom gedanklichen Erleben, wie kann man dann wissen, dass man im Zustand der Leerheit war?

[lacht] Eine ausgezeichnete Frage! In gewisser Weise ist dies ein logisches Problem. Im Rahmen einer MRT-Studie untersuchten Freiburger Kollegen um den Meditationsforscher Stefan Schmidt den tibetisch-buddhistischen Lama Tilmann Lhündrup, als dieser sich in einem Zustand der Leerheit befand, um die Neurophysiologie dieses Zustands zu erforschen. Zur Klärung der Phänomenologie der Leerheit, aber auch zur Klärung ebendieses logischen Problems führte ich zusammen mit dem Zeitforscher Marc Wittmann einige Monate später ein zweistündiges Interview mit Lama Lhündrup. Eine seiner Antworten war, dass, nachdem der Zustand der Leerheit „erfahren“ wurde, das nachfolgende Erleben derart transformiert sei, dass es völlig klar sei, dass man sich zuvor in einem solchen Zustand befunden habe. Es handelt sich also um eine nachträgliche Schlussfolgerung.

Cyril Costines

Was hat der Gehirn-Scan von Lama Lhündrup denn gezeigt?

Das Erreichen des Leerheitszustands beschrieb Lhündrup als eine allmähliche Entkopplung einzelner Sinne. Zunächst fokussierte er sich auf den visuellen Sinn und entkoppelte sein Erleben von diesem, dann auf den akustischen Sinn und so weiter. Auf diese Weise durchlief er nacheinander alle Sinnesmodalitäten, bis er sich von allen Sinnessystemen abgekoppelt hatte. Der so erreichte Zustand der Leerheit konnte schließlich mittels bildgebender Verfahren aufgezeichnet werden. Die Ergebnisse zeigten, dass Lhündrups neuronale Aktivität während der Leerheit weder mit einem Schlaf- noch mit einem Wachzustand gleichgesetzt werden kann. Vielmehr befand er sich in einer Art hybriden Zustand zwischen Wachsein und Schlaf, ähnlich des luziden Träumens, jedoch ohne Trauminhalte.

Apropos verschiedene Bewusstseinszustände: Hast du im Bereich psychedelische Wissenschaft gearbeitet?

Ich befasse mich nach wie vor mit grundlegenden Fragen zu veränderten Bewusstseinszuständen. Mein Hauptinteresse gilt jedoch nicht den Veränderungen an sich oder ihrem therapeutischen Potenzial, sondern vielmehr ihrer Verwendung als Forschungsinstrument. Die systematische Erforschung veränderter Bewusstseinszustände lässt Rückschlüsse darauf zu, was das Bewusstsein an sich charakterisiert: Aus den Veränderungen des Bewusstseins lassen sich die unveränderlichen Eigenschaften des Bewusstseins oder, besser, die unveränderlichen Dimensionen des Bewusstseins, ableiten.

Eine alternative Forschungsstrategie besteht darin, nicht die Variation, sondern die Reduktion des Bewusstseins zu untersuchen. Genau damit beschäftige ich mich im Rahmen des MPE-Projekts. Beide Forschungsstrategien helfen mir, ein Modell des multidimensionalen Zustandsraums des Bewusstseins zu entwickeln.

Was motiviert hat Ihre Forschung?

Ich schöpfe aus dieser Arbeit viel für meine eigene geistige Autonomie, für die Schulung meines Geistes und in gewisser Weise sogar für die Gestaltung meines Lebens, um wertvolle Bewusstseinszustände zu kultivieren. Meine Forschungsarbeit ist von dem Bestreben durchdrungen zu verstehen, wie es überhaupt möglich ist, dass ein Repräsentationssystem wie das in unserem Gehirn bewusstes Erleben hervorbringen kann. Ich denke, Bewusstseinsforscher tun gut daran, ihren Zustandsraum zu erkunden. Mir scheint, dass es die berufliche Pflicht eines Bewusstseinsforschers sein sollte, so viel wie möglich über gewöhnliche und ungewöhnliche Bewusstseinszustände herauszufinden, bestenfalls im Rahmen einer säkularen Bewusstseinskultur, die auf einer naturalistischen Weltsicht beruht und an eine Bewusstseinsethik gebunden ist.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 121: „Mit allen Sinnen"

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Eine Bewusstseinsethik?

Ja, eine Bewusstseinsethik, die den Kern einer säkularen Bewusstseinskultur bildet, fernab von irrationalen, ausbeuterischen Glaubenssystemen. Die entscheidende bewusstseinsethische Frage lautet: Was ist ein guter Bewusstseinszustand? Dies berührt auch Fragen der Emotions- und Aufmerksamkeitsregulation: Sind wir in der Lage, selbstbestimmt zu kontrollieren, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten? Viele Menschen können nicht oder kaum geistig selbstbestimmt entscheiden, wie oder in welchem Umfang sie ihr Smartphone nutzen. Ich habe den Eindruck, dass wir derzeit nicht bloß in eine unaufhaltsame Klimakatastrophe, sondern auch in eine Aufmerksamkeitskatastrophe stürzen. Die neuen Medienumgebungen stellen vor allem für Kinder und Jugendliche ein Risiko dar, weil sie ihre geistige Selbstbestimmtheit, ihre mentale Autonomie gefährden. Wie soll man sich denn Inhalte aneignen, wenn man seine Aufmerksamkeit nicht kontrollieren kann? Wie sollen Jugendliche zu mündigen Bürgern werden, wenn sie über keine oder eine eingeschränkte mentale Autonomie verfügen?

Zur Bewusstseinsethik gehören auch folgende Fragen: Welche Bewusstseinszustände dürfen wir nichtmenschlichen Lebewesen aufzwingen? Wenn die Schaffung eines künstlichen Bewusstseins die Möglichkeit künstlichen Leidens mit sich bringt, dürfen wir dann überhaupt künstliches Bewusstsein schaffen? Dies sind dringende bewusstseinsethische Fragen, mit denen wir uns als Gesellschaft auseinandersetzen sollten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Frank Hendrik Hortz, Jahrgang ‘65, im Ruhrgebiet geboren und aufgewachsen, Religionswissenschaftler (studierter ev. Theologe und Philosoph), Journalist und Unternehmer. Erste Meditationserfahrungen vor fast 40 Jahren, Buddhist seit etwa 10 Jahren. Herausgeber und Chefredakteur der Ursache\Wirkung.

Portrait  © Bullahuth

Hendrik Hortz

Hendrik Hortz

Frank Hendrik Hortz, Jahrgang ‘65, im Ruhrgebiet geboren und aufgewachsen, Religionswissenschaftler (studierter ev. Theologe und Philosoph), Journalist und Unternehmer. Erste Meditationserfahrungen vor fast 40 Jahren, Buddhist seit etwa 10 Jahren. Herausgeber und Chefredakteur der Ursache\Wirkung.
Kommentare  
# Peter Eppler 2024-01-04 22:24
Guten Abend Hendrik Hortz

Das Interview war umso spannender für mich, weil ich mich seit einiger Zeit mit dieser Thematik beschäftigt habe. Meines Erachtens ist der Teil, welcher sich auf "reines" oder "minimales Bewusstsein" bezieht etwas schwach. Hier hätte es sich gelohnt, auch die Erfahrungen eines Meditierenden beizuziehen. Es scheint sich bei den beschriebenen Zuständen um Erfahrungen zu handeln, welche von Mahamudra- oder Dzogchen-Meistern gemacht werden.

Vielen Dank jedenfalls für die Publikation, welche mich angeregt hat.

Hier noch ein Ausschnitt aus dem Text "Meditation im Fokus der Naturwissenschaften" geschrieben habe. Der ganze Artikel ist in meinem Blog pilgrimsjoy.com (im Menue unter "Meditation") zu finden.

Auszug aus dem oben erwähnten Artikel:

Bei allem Respekt vor hart erarbeiteten wissenschaftlichen Resultaten in der Hirnforschung – welche nur respektiert werden, wenn sie auch messbar sind – erstaunt doch etwas, wie wenig die subjektiv erfahrbaren Erlebnisse und Einsichten der Meditierenden in die Studien mit einbezogen wurden. Die beiden buddhistischen Meditationsarten Samatha und Vipassanā sind mittlerweile seit rund 2’500 Jahren von unzähligen Meditierenden praktiziert und eingehend dokumentiert worden. Dazu gibt es erklärende Lehrreden und systematische Abhandlungen. Wenn die Perspektive erweitert wird und die Auswirkungen von Meditation auf das menschliche Leben aus Sicht der Praktizierenden beleuchtet werden, brauchen letztere die Erkenntnisse der Hirnforschung natürlich nicht. Sie wissen auch ohne quantifizierbare Forschungsergebnisse der Gehirnforschung, dass Meditation zu wahrnehmbaren Resultaten führt. Thupten Jinpa Langri, welcher Mönchsgelehrter, Übersetzer des Dalai Lama und namhafter Wissenschaftler ist, bringt es in einem Interview auf den Punkt:

For practicing Buddhists, why would you need third-person proof to show that your own practice is helping you? In the end, when it comes to spiritual practice, you are your own best proof. Individual practitioners can understand from their own personal experience that practice is helping them to be more understanding, to be more open, to be more at home with others, or to have a greater sense of ease. From my … point of view, these effects are much more powerful as a source of motivation than a scientific study that uses a scanner to show that when you meditate, things happen in your brain. Why would that help you? (Heuman, 2014, 121-22).

Mit besten Grüssen, Peter Eppler
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