Bei der Überlegung, welches denn wohl mein spirituelles Lieblingsbuch sei, kommt mir gleich Lukrez in den Sinn. Sein Werk "Über die Natur der Dinge" hat erst kürzlich eine Neuübersetzung und Kommentierung durch den deutschen Philosophen, Soziologen und Germanisten Klaus Binder erfahren.
In einer wunderbaren, schmucken Ausgabe, ein roter Einband mit geprägten goldenen Lettern, zu drei Viertel eingeschlagen in einen reich mit antiken Ornamenten bedruckten Schutzumschlag, ist dieses Buch ein rechter Handschmeichler. "De rerum natura", so der Originaltitel, ist ein Werk des römischen Dichters und Philosophen Titus Lucretius Carus. Es stammt aus dem ersten Jahrhundert v. u. Z.
Lukrez breitet hier ein atheistisches Weltbild aus, das er ganz auf die Philosophie Epikurs stützt. So schreibt er, dass Körper und Seele nicht getrennt voneinander existieren können. Vergeht der Körper, so hat auch die Seele ihr Ende erreicht. Er widerspricht, ganz wie Epikur, der Ansicht, es könnte ein Leben nach dem Vergehen des Körpers für uns Menschen geben. Diese Auffassung Epikurs ist aber nicht als nihilistische Bankrotterklärung zu verstehen, vielmehr will Epikur – und mit ihm Lukrez – Trost spenden. Es geht ihnen um den Seelenfrieden. Beide möchten uns zu einer bewussten Existenz im Hier und Jetzt verhelfen, die nicht der Illusion erliegt, Erfüllung finde man erst in einem spekulativen Jenseits.
So geben sie dann auch die Empfehlung, sich ungezwungen – wenn auch nicht unkontrolliert – der Genüsse des Lebens zu bedienen, um Zufriedenheit zu erlangen. Nicht Askese, aber auch nicht Hedonismus sei der Schlüssel zum Glück, sondern ein mittlerer Weg. Der Angst vor dem Tod wird durch die Feststellung begegnet, dass man ja tot ist, wenn man tot ist und man deshalb dann keine Kenntnis über seinen Zustand habe, weshalb die Sorge über diesen Zustand unbegründet sei. Und schließlich erteilt er der Furcht vor den Göttern eine Absage. Die Vorstellung, diese würden in das Leben der Menschen eingreifen, wird als Aberglaube verworfen. Cicero fasst Epikurs Lehre so zusammen: "Er hat seinen Begierden Grenzen gesetzt; er ist gleichgültig gegen den Tod; er hat von den unsterblichen Göttern, ohne sie irgendwie zu fürchten, richtige Vorstellungen."
Warum begeistert mich "Über die Natur der Dinge"? Weil ich im Dargelegten meine buddhistischen Überzeugungen wiederfinde: den mittleren Weg, den Appell, im Hier und Jetzt zu sein, sowie die Angst vor einem strafenden Gott zu überwinden. Etwas Besonderes ist dieses Buch auch, weil das Werk ursprünglich als Lehrgedicht in sogenannten Hexametern verfasst war. Auf Deutsch unlesbar. Die gelungene Übertragung Binders in Prosa macht das Lesen dagegen zu einem Hochgenuss.
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