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Diskurs

Buddha erscheint heute vor allem in Asien als gottgleiche Gestalt. Selbst im importierten westlichen Buddhismus ist er eher ein höheres Wesen als ein Mensch. Doch wer war dieser Siddhartha Gautama wirklich? Das Rätsel um Buddhas Lebensgeschichte.

Besucht man in Asien einen buddhistischen Tempel, sollte man angemessene Kleidung tragen und die Schuhe ausziehen. Sich vor einer Buddha-Statue im Tempel fotografieren zu lassen, gilt als respektlos. Wer einer Buddha-Statue zum Scherz Kopfhörer aufsetzt, wird in buddhistischen Ländern nicht nur schief angeschaut, er landet gegebenenfalls im Gefängnis. Auch das Buddha-Tattoo am Oberarm sollte besser verdeckt bleiben, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten. Tiefe Verbeugungen vor den Buddha-Statuen werden erwartet. Räucherstäbchen dürfen nicht fehlen.

Wer war dieser Buddha, dem so viel Respekt entgegengebracht wird und der als Gründer einer Weltreligion gilt? Die Geschichte des Siddhartha Gautama, der zu Buddha werden sollte, wird bis heute hagiografisch erzählt, das heißt verklärend. Der Legende nach soll er ein Fürstensohn oder Königssohn gewesen sein, ein Prinz des Sakya-Stamms. Aufgewachsen in einer Stadt namens Kapilavatthu. Der junge Prinz habe im Palast seines Vaters ein angenehmes, luxuriöses Leben geführt, abgeschottet von der Welt. Erst als längst erwachsener Mann sei ihm durch die Begegnung mit leidenden Menschen außerhalb des Palasts die Härte des Daseins bewusst geworden.

Die dadurch ausgelöste existenzielle Krise veranlasste ihn, Asket zu werden. Auf der Suche nach einer Lösung für die Leiden der Menschen habe er einige Jahre die gängigen kontemplativen Methoden seiner Zeit ausprobiert. Er verwarf sie jedoch als letztlich unwirksam. Inzwischen durch seine asketischen Übungen fast verhungert, ließ er sich unter einem Baum nieder, mit der Absicht, so lange zu meditieren, bis er einen Weg zur Aufhebung des Leidens fände. Er erfuhr daraufhin ein spirituelles Erwachen und lehrte bis zu seinem Tod im Alter von 80. Buddha soll der Tradition zufolge bereits zu Lebzeiten zu einer Legende avanciert sein, von Königen empfangen und umgeben von Tausenden Anhängern.

Andere Schilderungen gehen noch weiter: So habe Buddha aufgrund seiner vielen guten Taten bereits im höchsten Götterhimmel auf seine Wiedergeburt als Mensch gewartet, die Götter Indra und Brahma an seiner Seite. Seine Zeugung auf Erden war ein übernatürliches Ereignis. Er zeichnete sich durch außergewöhnliche körperliche Merkmale aus. Bei seiner Geburt bereitete er seiner Mutter keine Schmerzen und konnte bereits als Säugling laufen und sprechen. In der Schule übertrumpfte er die Lehrer mit seiner Weisheit.

Soweit die Mythen. Letztere Erzählungen können wir ohne Bedenken sogleich als legendenhaft beiseitelegen. Doch wie sind die anderen Darstellungen, die Siddhartha Gautama etwa als Fürsten- oder Königssohn beschreiben, zu bewerten? Handelt es sich um historische Wahrheiten oder sind sie weitere Fiktion?

Was sofort auffällt: Die Erzählung ist archetypisch. Es handelt sich um eine sogenannte Heldenreise. Das Grundmuster der Heldenreise wurde vor allem von dem amerikanischen Mythologen Joseph Campbell erforscht. Es handelt sich um typische Situationsabfolgen, an deren Ende ein Mensch zum Helden wird. Die Heldenreise finden wir bei vielen herausgehobenen Menschen, mithin Religionsgründern, sei es Mose oder Jesus von Nazareth. Sie wird ihnen oft nachträglich angedichtet. Auch Hollywood bedient sich dieses Konzepts, denken wir an Luke Skywalker aus der Star-Wars-Saga oder dem erlösergleichen Neo aus Matrix: Der Held verlässt sein gewöhnliches Leben, hat allerlei Prüfungen zu bestehen, findet sich irgendwann an einem absoluten Tiefpunkt wieder, um letztendlich alle Prüfungen zu bestehen. Dann kehrt er in die Welt zurück, ausgestattet mit besonderer Weisheit. Ohne so eine Erzählung kommt kein Gründungsmythos aus.

Die genannten Vorstellungen über Buddha basieren auf zum Teil sehr ausführlichen Schilderungen, die sich in den klassischen religiösen Texten finden. Aber nur wenige Details halten tatsächlich einer historischen Überprüfung stand. Buddha könnte im 6./5. Jahrhundert v. u. Z. gelebt haben. Doch seine Geburtsstadt Kapilavatthu ist nicht identifizierbar. Das hat gute Gründe. Kapilavatthu war wahrscheinlich keine große Stadt, nicht aus Stein erbaut und ganz sicher kein Fürsten- oder Königssitz.

„Damit war Siddhartha Gautama kein Prinz, sondern vielleicht Sohn eines eher unbedeutenden Stammesfürsten.“

Die größten politischen Organisationsstrukturen Nordostindiens zur Zeit Siddhartha Gautamas waren die Republik Vrji mit ihren öffentlichen Versammlungen und demokratischen Einrichtungen sowie die autokratischen Königreiche Kosala und Magadha. Es war eine Zeit des Umbruchs. Geld wurde mehr und mehr zum Beweis von Reichtum und nicht mehr die Anzahl der Rinder, die eine Familie oder ein Clan besaß.

Kapilavatthu muss man sich dabei wohl als ein sehr einfaches Dorf vorstellen. Das einzige nennenswerte Gebäude dort könnte eine Stammesversammlungshalle, eine offene, strohgedeckte Hütte, gewesen sein. Als mögliche Geburtsorte Siddhartha Gautamas sind der heutige nepalesische Ort Tilaurakot, eine alte Marktstadt etwa zehn Kilometer nördlich der indischen Grenze, und der indische Bezirk Piprahwa, südlich von Tilaurakot, gleich hinter der indischen Grenze, anzunehmen.

Der Vater Buddhas, Suddhodana, war also sehr wahrscheinlich kein König. In einer frühen Geschichte, die im Pali-Kanon erzählt wird, erinnert sich Buddha daran, dass er als Kind einen meditativen Zustand erreichte, während er unter einem Baum saß und sein Vater in der Nähe ein Feld pflügte. Sollen wir uns vorstellen, dass ein König niedere Arbeiten wie diese leisten musste? Suddhodana hätte allenfalls ein Clanoberhaupt gewesen sein können.

Damit war Siddhartha Gautama kein Prinz, sondern vielleicht Sohn eines eher unbedeutenden Stammesfürsten. Da Siddharta in einer Lehmhütte lebte, wird er seine Jugend auch nicht unter luxuriösen Umständen in einem Palast verbracht haben.

In den ältesten Schichten des Pali-Kanons wird Buddha niemals Siddhartha genannt. Dieses Wort bedeutet „einer, der seinen Zweck erfüllt hat“, „siddha attha“, es ist eher Titel als Name. Tatsächlich findet man die Bezeichnung „Siddhartha“ ausschließlich in späteren Heiligengeschichten.

Buddha wird stattdessen als „der Asket Gotama“ bezeichnet. Es ist wahrscheinlich, dass „Gotama“ der persönliche Name von Buddha war, so wie das Sanskrit-Äquivalent „Gautama“ ein üblicher persönlicher Name im modernen Indien ist.

Der Pali-Bericht über die „Erste Predigt“ des Buddha behauptet, dass die fünf Zuhörer, ehemalige Mitasketen, sofort Erleuchtung erlangten. Andere Texte geben jedoch Anlass, dies zu bezweifeln. In der Tat werden diese ersten Schüler Buddhas später in den Texten kaum noch erwähnt. Wenn doch, dann in wenig schmeichelhafter Art. Sie werden nicht als Erwachte, „Arhats“, beschrieben, sondern als ziemlich unerleuchtete Ergebene Buddhas. Der eine wird krank und regt sich fürchterlich auf, dass er deshalb seine meditativen Versenkungen nicht mehr erreichen kann.

Buddha

In dem primären Pali-Bericht über das „Erwachen“ des Buddha heißt es, dass Gotama erwog, nicht zu lehren. Es würde ihn ohnehin niemand verstehen. Nachdem Gotama beschlossen hatte, doch zu lehren, war die erste Person, die ihm begegnete, ein Asket namens Upaka. Dieser soll nicht beeindruckt gewesen sein. Upaka fragt, wer Gotamas Lehrer sei. Als Gotama antwortet, dass er vollkommen erwacht sei und daher keinen Lehrer habe, schüttelt Upaka nur den Kopf und geht
mit den Worten „mag ja sein“ davon.

Im heutigen Denken von Buddhisten ist die Vorstellung, dass ein Erwachter ein für alle sichtbares Charisma ausstrahlt, fest verankert. Gotama scheint nach seinem Erwachen nicht über dieses verfügt zu haben. Betrachtet man Berichte, die sonst im Schatten hagiografischer Ausarbeitungen stehen, und legt alles Legendhafte beiseite, ergibt sich also ein anderes Bild von Buddha, als wir es durch die religiösen Erzählungen kennen.

„Wir vernehmen die Stimme eines radikalen Außenseiters, der zu uns aus der Einsamkeit spricht.“

Gotama wurde in einen kleinen Stamm hineingeboren, in einer abgelegenen und unbedeutenden Stadt an der Peripherie des vorimperialen Indien. Er lebte in einer Welt, die an der Schwelle zur Urbanisierung stand, in der es noch kein Geld, keine Schrift und keinen Fernhandel gab. Dass er zu einem Shramana, einem nach spirituellen Werten trachtenden Wanderasketen, wurde, steht außer Frage.

Warum er diesen Weg einschlug, muss aber ungeklärt bleiben. Der beschriebene existenzielle Schock bei Konfrontation mit menschlichem Leid eines bis dahin verwöhnten jungen Prinzen ist jedenfalls Erfindung. Nach seinem „Erwachen“ – über das wir nur spekulieren können, worin es bestand – zweifelte er an seinen eigenen Lehrfähigkeiten. Die ersten Personen, die ihn als Erwachten erlebten, nahmen ihn nicht ernst. Bei seinen ersten Schülern hatte er keinen nennenswerten Erfolg.

In einer der ältesten Schriftsammlungen der Pali-Literatur, dem Sutta Nipata, den frühbuddhistischen Lehrdichtungen, begegnet uns dann auch nicht der erfolgreiche Anführer einer neuen religiösen Bewegung, der durch Könige hofiert wird. Im Muni-Sutta etwa finden wir lediglich einen Asketen. „Muni“ ist die Bezeichnung für den typischen altindischen Weisen, Einsiedler und Asketen, ein Weiser, der die Wahrheit des Daseins durch Selbstverwirklichung erkennt.

Wir vernehmen die Stimme eines radikalen Außenseiters, der zu uns aus der Einsamkeit spricht. Er ruft zu strenger Meditation auf: „Vertrauten Umgang, häuslich Zugesellen meiden, dies wahrlich, ist die Denkart eines Muni.“ Der inmitten der Gesellschaft lebende Mensch wird als „blau-behalster Pfau“ bezeichnet, der sich zwar in die Lüfte schwingen kann, aber niemals so schnell sein wird wie der Schwan. Der Schwan ist der „Muni, der in Wanderstiefeln einsam sinnt“.

An anderer Stelle wird berichtet, dass er, Gotama, wenn ihm abstrakte metaphysische Fragen gestellt werden, etwa ob die Welt ewig ist oder ob die Seele sich vom Körper unterscheidet, eine Antwort verweigert. Solche Fragen dienen angeblich nicht der spirituellen Befreiung. Vielleicht besaß Gotama aber auch nicht die intellektuellen Fähigkeiten, solche Diskurse zu führen.

Oder Gotama sah, dass sich die Voraussetzungen für solche Fragen aufgelöst hatten. Es heißt, Gotama sieht die Dinge, wie sie wirklich sind, und erkennt aus dieser erwachten Perspektive, dass Ideen wie „Welt“, „Selbst“ oder „Seele“ letztlich nicht real sind. Für den, der nicht die Perspektive des Erwachens hat, bleiben die Fragen unbeantwortbar.

Doch die frühen Mythenschöpfer meinten wohl, dass Gotamas Bewegung mehr brauche als weltabgewandte Frömmigkeit und einen Lehrer, der bestimmte Fragen nicht beantworten konnte oder wollte.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung № 125: „Geist & Gehirn"

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So ersann man den Mythos von Buddha als einem Prinzen, der in einem Palast eingesperrt und blind für das Leiden der Welt ist, sich dann dieser aber selbstlos zuwendet, um das Leiden zu beenden. Dies geschah nicht, ohne durch eine Katharsis von Grund auf gereinigt worden zu sein. Solche Geschichten gehören zum kollektiven Unbewussten, zu den Grundstrukturen menschlicher Vorstellungsmuster.

Der historische Buddha scheint ein anderer gewesen zu sein. Er legt durch mehrdeutiges Schweigen, radikale Ideen und ein einfaches Beharren auf die achtsame Wahrnehmung des Augenblicks mehr Strenge an den Tag als erwartet. Wir erfahren von seinen frühen Misserfolgen und dann von der seltsamen Geschichte seines Erfolgs. Dieser Erfolg und die Ausbreitung des Buddhismus weltweit aber stellte sich erst lange nach dem Tod des Religionsgründers ein.

Ein König, Asoka (304–232 v. u. Z.), bekehrte sich zu einem noch Jahrhunderte nach seiner Gründung unbedeutenden sektiererischen Kult, den wir heute Buddhismus nennen, und verhalf ihm zu weltweitem Ruhm. Gotama selbst bleibt uns bis heute ein Rätsel.

Dieser Text basiert auf dem Essay „Who was the Buddha?“ von Sam Dresser

Frank Hendrik Hortz, Jahrgang ‘65, im Ruhrgebiet geboren und aufgewachsen, Religionswissenschaftler (studierter ev. Theologe und Philosoph), Journalist und Unternehmer. Erste Meditationserfahrungen vor fast 40 Jahren, Buddhist seit etwa 10 Jahren. Herausgeber und Chefredakteur der Ursache\Wirkung.

Hendrik Hortz

Hendrik Hortz

Frank Hendrik Hortz, Jahrgang ‘65, im Ruhrgebiet geboren und aufgewachsen, Religionswissenschaftler (studierter ev. Theologe und Philosoph), Journalist und Unternehmer. Erste Meditationserfahrungen vor fast 40 Jahren, Buddhist seit etwa 10 Jahren. Herausgeber und Chefredakteur der Ursache\Wirkung.
Kommentare  
# Meisenbacher , Uwe 2023-09-15 16:28
Hallo Herr Hortz,
ihr Artikel ist ein zutreffender, Aufklärungsbeitrag für den Buddhismus.
Da es keine Authentizität aus der Vergangenheit des Buddhas und des Buddhismus gibt, wäre es doch nur folgerichtig, sich jetzt von den unheilsamen Dogmen und Aberglauben zu befreien.
Mit freundlichen, aberglaubensfreien, heilsamen, buddhistischen Grüßen.
Uwe Meisenbacher
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# Meisenbacher , Uwe 2023-09-17 19:24
Hallo Herr Hortz,
ihr Artikel ist ein zutreffender, Aufklärungsbeitrag für den Buddhismus.
Da es keine Authentizität aus der Vergangenheit des Buddhas und des Buddhismus gibt, wäre es doch nur folgerichtig, sich jetzt von den unheilsamen Dogmen und Aberglauben zu befreien.
Mit freundlichen, aberglaubensfreien, heilsamen, buddhistischen Grüßen.
Uwe Meisenbacher
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# jürgen 2024-04-22 14:10
manchmal bilden Geschichten die Realität perfekt ab. Der pure Rationalist hat natürlich Mühe damit, für ihn ist die gültige Wirklichkeit nur eine greif- und beweisbare. Das führt möglicherweise in ein materialistisches Weltbild in dem wir neuzeitlich stekcen. Einfach als Inspiration und nicht als Kritik zu sehen, bitte.
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