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Diskurs

Der Dalai Lama küsst einen kleinen Jungen auf den Mund und fordert ihn auf, an seiner Zunge zu lutschen. Anhänger des Geistlichen verteidigen ihn gegenüber empörten Reaktionen. Im Wesentlichen mit drei Argumenten. Diese sollte man sich näher ansehen.

Für die Verbreitung des Videos ist China verantwortlich, um den Dalai Lama zu diskreditieren: Das kann man nicht ausschließen – wie ich bereits an anderer Stelle schrieb –, es ändert jedoch nichts an dem, was passiert ist.

Die heftigen, empörten Reaktionen basieren auf einer Hypersexualisierung der westlichen Gesellschaft, die deshalb in einem harmlosen Spaß unzutreffend eine sexuelle Handlung sieht: Das ist aus meiner Sicht falsch! Die Reaktionen des Westens basieren darauf, dass sie hinsichtlich sexuellen Missbrauchs spätestens seit der MeToo-Bewegung und den Skandalen in der katholischen Kirche sensibilisiert ist. Dies ist die tibetische Community offenbar nicht oder nur unzureichend.

Die besagte Handlung des Dalai Lama muss vor dem Hintergrund der tibetischen Kultur gesehen werden, in der die Sache mit der Zunge normal ist: Das ist richtig! Man muss dies jedoch auch in die andere Richtung tun. Wer sich über die empörten Reaktionen des Westens selbst empört, weil diese den kulturellen Aspekt nicht berücksichtige, der handelt ebenso. Er berücksichtigt in seiner Empörung die westliche Kultur nicht. Offenbar ist diese, wie gesagt, hinsichtlich sexuellen Missbrauchs viel stärker sensibilisiert als die tibetische. Das ist der eigentliche Grund für die Empörung des Westens.

Es ist zu der Affäre auch ein Video des Dalai Lama mit Lady Gaga im Umlauf. Dort ist zu sehen, wie der Geistliche während einer Podiumsdiskussion Lady Gaga das aus ihrer zerrissenen Jeans hervorschauende nackte Knie streichelt. Lady Gaga greift daraufhin die Hand des Dalai Lama und hält sie fest, damit er das unterlässt. Auch diese Handlung wird von Anhängern und Sympathisanten unter „Der Dalai Lama neckt gern!“ verbucht.

Dalai Lama

Es mag sein, dass der Dalai Lama gern neckt und sich nichts dabei denkt. Aus westlicher Perspektive, die entsprechend sensibilisiert ist, stellt so ein Verhalten dennoch eine Grenzüberschreitung dar. Um das deutlich werden zu lassen, übertrage man das Geschehen in eine beliebige uns bekannte alltägliche Situation:

Bei einem Familienfest streckt der Opa einem Enkel die Zunge heraus und fordert ihn auf, an ihr zu lutschen oder sonst etwas mit ihr zu tun. Die Familie wird zukünftig die Enkel von dem neckischen Opa fernhalten, weil sie dieses Verhalten als unangemessen empfindet. Das mag in den Fünfzigerjahren auch bei uns noch anders gewesen sein, aber wir befinden uns nicht mehr im vergangenen Jahrhundert.

Am Arbeitsplatz streichelt ein männlicher Mitarbeiter einer jungen Mitarbeiterin ungefragt das Knie. Der schelmische Streichler wird wahrscheinlich umgehend mindestens einen Rüffel wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz erhalten. In den USA verliert er wohl seinen Job.

Es handelt sich hier im Grunde also um einen Kulturclash. Aus westlicher Perspektive bleiben die Handlungen des Dalai Lama grenzüberschreitend. Wir können sie vor dem Hintergrund unserer eigenen Kultur gar nicht anders deuten. Das westliche Gesellschaftsideal geht davon aus, dass alle Menschen mit den gleichen Rechten ausgestattet sind. Rechte gehen immer mit Pflichten einher. Der Dalai Lama hat das Recht, dass man ihn nicht ungefragt berührt. Er hat die Pflicht, diese Grenze bei anderen ebenso zu achten.

 

Frank Hendrik Hortz, Jahrgang ‘65, im Ruhrgebiet geboren und aufgewachsen, Religionswissenschaftler (studierter ev. Theologe und Philosoph), Journalist und Unternehmer. Erste Meditationserfahrungen vor fast 40 Jahren, Buddhist seit etwa 10 Jahren. Herausgeber und Chefredakteur der Ursache\Wirkung.

Bilder © Wiki Commons

Hendrik Hortz

Hendrik Hortz

Frank Hendrik Hortz, Jahrgang ‘65, im Ruhrgebiet geboren und aufgewachsen, Religionswissenschaftler (studierter ev. Theologe und Philosoph), Journalist und Unternehmer. Erste Meditationserfahrungen vor fast 40 Jahren, Buddhist seit etwa 10 Jahren. Herausgeber und Chefredakteur der Ursache\Wirkung.
Kommentare  
# Jutta Holme 2023-04-26 12:01
Nun gut - das ist jetzt deine Sicht und deine Weise der Relativierung dieses traurigen Vorfalls. In der Gruppe "Buddhismus zum Austausch u. z. Diskussion" habe ich meine Antwort auf deinen Beitrag verfasst. LG Jutta
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# Jutta Holme 2023-04-26 12:03
hoffentlich ist meine Antwort auch bei euch angekommen!
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# SoGen 2023-04-26 13:13
Das wichtigste Argument bzw. Narrativ der 'Verteidiger' war ja das dritte, hier als "richtig" bezeichnete. Dies kann und sollte man mE durchaus etwas differenzierter betrachten. In der Kultur Amdos (Osttibet) war (ist?) das Anbieten der Zunge ein kultureller Brauch zwischen älteren Frauen und von ihnen betreuten Kleinkindern (zumeist sind es die Enkelkinder). Gerade in der Stillzeit ließ man da die Babys auch real an der Zunge saugen - als Ersatz für die Mutterbrust, wie ein Art 'Schnuller'. Übrigens ein medizinisch / hygienisch nicht unproblematischer Brauch. Möglicherweise eine frühkindliche Erfahrung Herrn Gyatsos.

Dass das Anbieten der Zunge verbunden mit der Aufforderung, daran zu saugen, seitens eines alten Mannes an einen fremden Jungen in der Vorpubertät in Amdo "normal" ist, bezweifle ich doch sehr. Einmal davon abgesehen, wie sich solch eine Aufforderung aus der kulturellen Perspektive des Jungen (ein Inder, kein Tibeter) ausnimmt, der deutlich weniger Erfahrung darin hat, sich auf internationalem und interkulturellen Parkett zu bewegen, als Herr Gyatso.

Man kann dies als Scherz abtun - allerdings einen ziemlich bizarren. Ein unappetitlicher 'Scherz 'auf Kosten eines kleinen Jungen. Und die servile Entourage zeigt sich höchst amüsiert und lacht dazu. Wenn das "normal" sein soll, dann ist das kaum ein Kompliment für den speziellen kulturellen Kontext der Handlung. Kultureller Kontext ist per se keine Entschuldigung für ein übergriffiges Verhalten - und ein aufgedrängtes Unterschreiten der Intimdistanz ist übergriffig. Da sprechen Mimik und Körpersprache der beiden Hauptakteure des 'offiziellen' VoA-Videos für sich und eben dies sind auch die 'Trigger', die von Missbrauchsopfern wahrgenommen - wiedererkannt - werden. Für die sind Verweise auf exotische kulturelle Bräuche nichts als verharmlosende Relativierungen. Kann ich verstehen.

In der öffentlichen Debatte zeigte sich mir vor allem ein vehement vorgetragener Anspruch einer Gruppe von Buddhisten: nämlich ihrem speziellen Heiligen uneingeschränkte Narrenfreiheit einzuräumen. Dass er ein liebenswerter "Clown" (Ven. Jampa Tsedroen) und damit sakrosankt und jeder Kritik enthoben ist.
Auch egal, ob er sich rassistisch oder sexistisch äußert. Das Label "crazy wisdom" scheint man (noch) zu scheuen - das kommt mittlerweile aus guten Gründen nicht mehr so gut an, da sich diese Art von 'Weisheit' so gerne in sexuellen Übergriffen manifestiert hat.
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# Uwe Meisenbacher 2023-05-01 19:03
Uwe Meisenbacher

Der Kommentar vonTenzin Peljer,

berücksichtig zu stark den kulturrellen Hintergrund des Tibetischen Buddhismus,
als Entschuldigung für praktizierendes Fehlverhalten.
Für aufgeklärte Menschen ( dazu gehören auch logischer Weise säkular praktizerende Buddhisten, ich gehöre auch dazu ) ist es ein Kulturclashes. Natürlich geht es um unterschiedlichen Sichtweisen und Überzeugungen zumThema sexueller Missbrauch oder Autoritätsgläubigkeit, Unterwürfigkeit, praktizieren von Aberglauben und viele Faktoren mehr.
Es ist nicht unbuddhistisch, Missstände, Dogmen und Aberglaubensüberlieferungen im Buddhismus zu kritisieren und in Frage zustellen.

26oo Jahre nach Buddhas ableben, sollten Buddhisten die überlieferten buddhistischen Weisheiten auf ihre Wirkung und Tauglichkeit hin, auf die gegenwärtige Lebensrealität überprüfen.

Der Unterschied des säkularen Buddhismus zu den traditionellen Formen des Buddhismus ist.
-auf transzendente ( jenseitige oder metaphysische ) Glaubensinhalte verzichtet wird.
-er auf Dogmen verzichtet, also Inhalte, die es zu glauben gilt
-es deshalb auch keines Lehrer bedarf, dem besondere Egenschaften innewohnen ( z.B.
Erleuchtung.)
-es keine Lehrer-SchülerInnen-Hierarchie gibt oder eine Mönch/Nonnen-Laien-Hierachie
wie in anderen buddhistischen Traditionen
-er keinen Mönchs/Nonnen-Orden hat.

Schon der Buddha betonte, dass auch seine eigene Lehre (wie alle Dinge) dem Wandel
unterliegt und stets in der Darstellungsform der jeweiligen Zuhörerschaft und ihrem
spezifischen historisch-sozialen Kontext angepasst werden muss.

Säkularer Buddhismus ist ein gut zu praktizierender Weg in der gegenwärtigen Lebens-realität und Zukunft.

Meditation, Achtsamkeit und den mittleren Lebensweg zu praktizieren, sind für säkulare
Buddhisten eine hilfreiche Möglichkeit, weniger Leiden für sich selbst und andere zu verursachen.

Darauf basiert Buddhas Pfad der Weisheit , Mache das Heilsame, lasse das Unheilsame und entwickle deinen Geist.
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