Der Dalai Lama, populärster Repräsentant des tibetischen Buddhismus, umarmt auf offener Bühne mehrfach einen kleinen Jungen, küsst ihn auf den Mund und fordert ihn auf, an seiner Zunge zu lutschen. Das Video, das diese Szene zeigt, empört derzeit die ganze Welt.
Betroffenenverbände melden sich entsetzt zu Wort. Von der Organisation „Eckiger Tisch“, ein gemeinnütziger Verein, der die Interessen von Kindern und Jugendlichen, die von sexueller Gewalt betroffen sind, speziell im Kontext der katholischen Kirche, vertritt, heißt es auf Nachfrage der Süddeutschen Zeitung, der Dalai Lama habe eindeutig eine Grenze überschritten. „Man stelle sich vor, das hätte ein Bischof auf öffentlicher Bühne gemacht.“
Kommentatoren aller Medien verurteilen die Szene. Die Deutsche Buddhistische Union relativiert: „Inwieweit gegebenenfalls tibetische Gepflogenheiten eine Rolle gespielt haben, ist momentan nicht bekannt“, so Nils Clausen, 1. Vorsitzender der DBU, ebenfalls gegenüber der Süddeutschen Zeitung. In den buddhistischen Echokammern, vor allem in den sozialen Medien, wird hektisch nach Erklärungen gesucht. Auch hier findet man den Verweis auf tibetische Kultur, in der es normal sei, zur Begrüßung seine Zunge herauszustrecken. Vielleicht sei der Dalai Lama auch dement, wird vermutet, und könne schlicht nicht mehr beurteilen, was er tue.
Es gibt Spekulationen, dass die Verbreitung des Videos von der chinesischen Regierung gezielt gesteuert wurde. Immerhin ist es viele Wochen alt. Der überaus beliebte 87-jährige Tibeter solle diskreditiert werden. Seine Person gilt als Symbol für ein freies, von China unabhängiges Tibet. Auszuschließen ist das nicht. Aber das ändert nichts an dem, was tatsächlich passiert ist.
Es lohnt sich, das Video genauer zu untersuchen, um sich eine Meinung zu bilden: Auf ihm ist zu sehen, wie der Junge den Dalai Lama über ein Mikrofon, das vor der Bühne, auf der das geistliche Oberhaupt sitzt, aufgestellt ist, um eine Umarmung bittet. Der Angesprochene versteht den Jungen lange nicht. Mehrfach wird ihm der Wunsch des Jungen übersetzt. Dann endlich begreift der Dalai Lama und willigt ein: „Okay, come!“ Der Junge betritt die Bühne, küsst den Geistlichen auf seine Aufforderung hin auf die Wange und umarmt ihn schließlich.
Als sich der Junge wieder entfernen will, hält der Dalai Lama ihn am Arm fest, sagt so etwas wie, „dann auch hier“, spitzt den Mund und die beiden berühren sich an der Stirn. Der Dalai Lama legt seine Hand unter das Kinn des Jungen, um dessen Lippen an die seinen zu führen. Es kommt zu einem leichten Kuss. Der Junge zieht sich abrupt zurück, lächelt zwar, ist aber offensichtlich irritiert. Das Publikum klatscht und lacht. Auch der Dalai Lama lacht.
Der Dalai Lama greift dem Jungen noch einmal ans Kinn. Das Kind will zurückweichen, aber der Geistliche zieht es zu sich, und die Stirnen berühren sich ein zweites Mal. Diesmal etwas länger. Während der ganzen Zeit scheint der Dalai Lama das Kind festzuhalten. Er schaut dem Jungen eine Weile in die Augen und sagt: „And suck my tongue.“, „Lutsch auch meine Zunge.“ Diese streckt er dem Kleinen entgegen und bewegt sich auf ihn zu. Hier versucht das Kind wiederum, zurückzuweichen. Es geht deutlich mit dem Kopf zurück. Aber der Dalai Lama zieht den Jungen noch einmal zu sich, die Stirnen berühren sich ein drittes Mal. Der Junge streckt seine Zunge ganz kurz, ein ganz klein wenig heraus. Der Zuschauer gewinnt den Eindruck, dass der Kleine die Berührung der Zungen auf jeden Fall vermeiden will. Dann trennen sich die Köpfe der beiden.
Noch dreimal greift das religiöse Oberhaupt nach dem Minderjährigen, und veranlasst verschiedene Berührungen. Jedes Mal sieht man deutlich, dass das Kind diese nicht will. Am Ende befreit sich der Kleine endgültig. Der Dalai Lama versucht noch, den Jungen zurückzuhalten. Vergeblich. Beide Lachen, der Junge wirkt verlegen.
Es ist deutlich, dass hier ein Übergriff stattgefunden hat. Ob er absichtlich und sexuell konnotiert war, darüber will ich nicht spekulieren. Der tibetische Buddhismus ist in den letzten Jahren mehrfach von Missbrauchsskandalen tief erschüttert worden. Es gibt keine Gruppe von Bedeutung, die nicht in die Schlagzeilen geriet: Shambhala, Rigpa, FPMT, Diamantweg, Neue Kardampa Tradition – ganz aktuell: Vergewaltigungsvorwürfe gegen das Oberhaupt der Karma-Kagyü-Tradition, Ogyen Trinley Dorje. Vor diesem Hintergrund war das Handeln des Dalai Lama unfassbar fahrlässig.
Missbrauch ist immer auch das Ausnutzen von Machtgefälle und Abhängigkeitsbeziehungen. In religiösen Kontexten erfahren Übergriffe noch einmal ein besonderes Gewicht, weil sie nicht nur die körperliche Selbstbestimmung erschüttern, sondern auch die eigene Spiritualität. Der Dalai Lama ist eben nicht irgend ein Mann, sondern eine geistliche Autorität.
Das Büro des Dalai Lama hat sich inzwischen entschuldigt. „Seine Heiligkeit möchte sich bei dem Jungen und seiner Familie wie auch bei seinen vielen Freunden rund um die Welt für den Schmerz entschuldigen, den seine Worte verursacht haben könnten.“ Diese Entschuldigung zeigt meines Erachtens, dass hier keinerlei Bewusstsein für das herrscht, was tatsächlich passiert ist. Ein greises Religionsoberhaupt hat einen Minderjährigen zu Handlungen veranlasst, die ihm offensichtlich unangenehm waren.
Es geht nicht um verletzende Worte, sondern um körperliche Berührungen, die nur deshalb geschehen konnten, weil ein Machtgefälle vorlag: dort der Friedensnobelpreisträger und das höchst populäre geistliche Oberhaupt und hier ein kleiner Junge, der sich sicher nicht vorstellen konnte, dass eine unschuldige Frage nach einer Umarmung solche Folgen haben würde.
Tradition hin oder her. Das, was geschehen ist, ist in jeder Kultur übergriffig, weil es offensichtlich in diesem Ausmaß nicht von dem Kind gewünscht war. Mit dem PR-Desaster, das geeignet ist, die jahrzehntelange verdienstvolle Arbeit des Dalai Lama in Schutt und Asche zu legen, muss der Verursacher nun leben. Das ist dann wohl Karma.
Dalai Lamas als heilig definiert.
Die Gläubigkeit und teilweise Unterwürfigkeit ist in der gegenwärtigen Aufgeklärten
Zeit schon bemerkenswert.
Buddhas Worte, treffen hier sehr gut zu. Die Rede an die Kala-
mer. Auszug aus der Lehrrede und sprachliche Formulierung von
Peter Riedl.
Geht nicht nach Hörensagen,
nicht nach Überlieferungen,
nicht nach der Autorität heiliger Schriften,
nicht nach der Autorität eines Meisters / Gurus.
Geht nach der eigenen Erkenntnis.
Buddhas Pfad der Weisheit, „mache das Heilsame, lasse das Unheilsame
und entwickle deinen Geist, ist eine gut zu praktizierende Anleitung.
Mit freundlichen, aberglaubens- , guruismusfreien, heilsamen,buddhistischen Grüßen
Uwe Meisenbacher