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Diskurs

Die Bezeichnung Burn-out ist eigentlich falsch, denn wenn etwas durch- oder ausbrennt, steht es abrupt still. Von Burn-out Betroffene durchleben jedoch einen oft jahrelangen und quälenden Prozess.

A. ist Lehrer. Im Unterschied zu manchen seiner KollegInnen hat er diesen Beruf gerade wegen der vielfältigen und direkten Begegnung mit jungen Menschen gewählt. Mit viel Engagement bereitet er seinen Unterricht vor und bildet sich regelmäßig in seiner arbeitsfreien Zeit fort, um am neuesten Stand seines Fachgebiets und der pädagogischen Vermittlung zu bleiben. Mit ebenso großem Elan organisiert er auch Klassenreisen, die mit einem anspruchsvollen Schüleraustauschprogramm kombiniert werden. In seiner Freizeit leitet er ehrenamtlich einen Sportverein und sucht finanzkräftige Sponsoren für den Bau eines neuen Sportplatzes. In der Hoffnung auf neue Netzwerke und Unterstützung hat er sich dazu auch in den Gemeinderat seines Ortes wählen lassen. Als Vater zweier Kinder ist er im Elternverein der Volksschule aktiv, obwohl ihn seine Frau zart darauf hingewiesen hatte, er müsse nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit aufzeigen. Aber A. hat das Gefühl, dass eine Arbeit nur dann gut erledigt wird, wenn er selbst dabei Hand angelegt hat. Auch wenn er es aus Höflichkeit nie laut äußern würde, meint er in vielen Fällen, unentbehrlich zu sein. Manchmal wünscht er sich, der Tag sollte zumindest 30 Stunden haben. Denn gute Arbeit – und A. legt selbst auf kleine Details großen Wert –, gute Arbeit braucht eben entsprechend viel Zeit. Chronische Müdigkeit ist da natürlich ein steter Begleiter, aber Zeit zum Schlafen, so witzelt A. sich gerne darüber hinweg, hätte er nach seinem Tod ja wohl noch genug.

Seit einiger Zeit klagt er seiner Frau gegenüber über mangelnde Unterstützung seitens der KollegInnen. Jeder würde sich nur auf ihn verlassen, nie zeigten andere die notwendige Initiative oder Bereitschaft zum Engagement. A. erstellt lange Listen mit Regeln für Klassenreisen, arbeitet an einer neuen, sehr detaillierten Geschäftsordnung für den Sportverein und bringt unermüdlich neue Anträge im Gemeinderat ein. Dort, wo er früher Freunde sah, vermutet er jetzt Widersacher, Störenfriede und Querulanten. Auf die wahrgenommene mangelnde Unterstützung seiner sozialen Umgebung reagiert A. zunehmend mit Zynismus. Jene Arbeiten, die er ursprünglich gerne erledigt hatte, fallen ihm mittlerweile schwer. Selbst kleine Tätigkeiten dauern immer länger, immer öfter verliert er sich in Kleinigkeiten und einer Vielzahl von Problemen und Problemchen.

Als er im Internet auf einen Online-Test stößt, der bei ihm Burn-out konstatiert, entschließt er sich, einen Arzt aufzusuchen. Dieser bestätigt ohne genauere Untersu-chungen die Diagnose und meint, dass eine ‚Erschöpfungsdepression’ bei ihm als über 50-Jährigem sehr wahrscheinlich wäre. A. verlässt die Ordination mit einem Antidepressivum und der Empfehlung, eine Gesprächstherapie zu beginnen.
Fallbeschreibungen von Burn-out-Symptomen funktionieren wie Horoskope, denn sie bieten eine so große Vielzahl von Phänomenen, dass eigentlich jeder zumindest einige Aspekte auch bei sich feststellen kann. Von ‚gesteigerter Aggression’ über ‚Rückenschmerzen’, ‚Alpträume’, ‚Partnerprobleme’ bis zu ‚Stimmungsschwankungen’ beinhaltet der Begriff Burn-out mindestens 130 Symptome. Jährlich erscheinen etwa 200 bis 250 Bücher zum Thema Burn-out, deren Untertitel meist auch schon die ganze Botschaft enthalten: ‚Von der Lebensaufgabe zur Lebens-Aufgabe’ verortet das Problem auf Ebene der Persönlichkeit, während Untertitel wie ‚Ausgebrannt durch Vitalstoffmangel’ Heilung durch Medikamente versprechen.

Von ‚gesteigerter Aggression’ über ‚Rückenschmerzen’, ‚Alpträume’, ‚Partnerprobleme’ bis zu ‚Stimmungsschwankungen’ beinhaltet der Begriff Burn-out mindestens 130 Symptome.

 

Die Forschung zu diesem Phänomen des ‚Ausbrennens’ ist jung. In den 1970er Jahren begann sich die US-Sozialpsychologin Christina Maslach im Zusammenhang mit der Humanisierung des Arbeitsplatzes intensiv mit der Thematik auseinanderzusetzen. Sie war eine der ersten WissenschaftlerInnen, die aus der Sammlung der verschiedenen Symptome einen Fragebogen, das Maslach Burn-out Inventory (MBI), veröffentlichte. Mit Hilfe von 22 Fragen werden darin drei Dimensionen des Burn-out-Syndroms erfasst:
Erstens: eine überwältigende Erschöpfung durch Mangel an emotionalen und physischen Ressourcen der betroffenen Person.
Zweitens: Gefühle des Zynismus und der Distanziertheit von der beruflichen Aufga-be.
Und drittens: ein Gefühl verminderter Leistungsfähigkeit und damit einhergehend ein beschädigtes Selbstbild.

Burn-out

Ursprünglich verortete man diese Störung nur in sozialen und pädagogischen Berufen, also etwa bei ÄrztInnen, PflegerInnen, LehrerInnen, die sich in emotional belastenden Arbeitssituationen befinden. Später wandte man den Begriff des Burn-outs auch auf Probleme zahlreicher anderer Berufsgruppen wie PolitikerInnen, LeistungssportlerInnen oder auf Langzeitpflegende kranker Angehöriger an.
Aber gerade diese Ausweitung und die daraus folgende Einsicht, dass es jeden treffen kann, führte schnell zu einem unreflektierten Missbrauch des Begriffs. In den 1990er Jahren wurde es populär, dass man sich bei erhöhter Belastung fälschlicherweise sofort als ‚ausgebrannt’ bezeichnete, ähnlich wie in den 1970er Jahren ‚Stress’ zur alltäglichen Befindlichkeit arbeitender Menschen wurde.

 

Ursprünglich verortete man diese Störung nur in sozialen und pädagogischen Berufen.


Burn-out ist daher ein Spiegel des Zeitgeists und für den US-amerikanischen Kultursoziologen Richard Sennett immer auch mit der beruflichen Situation verbunden. Wie er in seinem Buch ‚Der flexible Mensch’ ausführt, definiert sich der Mensch von heute immer mehr über seine Arbeit: Ich war so leistungsbereit und habe mich bis zur Erschöpfung für die Firma, die Familie oder eine andere Personengruppe eingesetzt. Auf diese Weise wird der Zustand individueller Erschöpfung gleichzeitig auch heroisiert. Die davon Betroffenen wollen als Kranke anerkannt werden, aber gleichzeitig nicht psychisch krank sein. Die Diagnose Burn-out ist damit als Nachweis einer besonderen Leistung sozial anerkannt und nicht mit dem Stigma der Depression behaftet.

Diese weite und fast schon alle Phänomene persönlicher Befindlichkeitsstörungen umfassende Beschreibung verhindert aber den Blick auf das zugrunde liegende Problem.
Maslach selbst schrieb, dass es bisher keine genaue und unter ForscherInnen akzeptierte Definition von Burn-out gibt. Übereinstimmung herrscht bestenfalls darin, dass Burn-out immer ein ganz individuelles Problem ist, das mit negativen Gefühlen und Dysfunktionen – also einem Nicht-mehr-Funktionieren – einhergeht. Die Vielfalt der Definitionen wird somit selbst zum Problem der Erforschung von Burn-out.
Auch an der zwar bildhaften, aber unstimmigen Bezeichnung des ‚Ausbrennens’ wird Kritik geübt. Der deutsche Psychologe Matthias Burisch schreibt in seinem Buch über die ‚Innere Erschöpfung’: Burn-out beginnt immer schleichend. Es ist nicht plötzlich da und unterscheidet sich somit auch klar von einem zeitlich begrenzten ‚Durchhänger’.

 

Burn-out beginnt immer schleichend. Es ist nicht plötzlich da und unterscheidet sich somit auch klar von einem zeitlich begrenzten ‚Durchhänger’.


Das wichtigste, weltweit anerkannte Diagnoseklassifikationssystem der Medizin ist die von der WHO herausgegebene ‚Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme’, kurz ICD-10. Erst 2004 wurde darin der Begriff Burn-out aufgenommen. Allerdings nicht unter dieser Bezeichnung! Unter dem Code Z73.0 ‚Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung’ findet sich der Eintrag ‚Erschöpfungsdepression’, welcher als ‚Zustand der totalen Erschöpfung’ definiert wird.

Burn-out wird damit von einem medizinischen Problem zur sozialpsychologischen Störung.
We agree to disagree, könnte man fast als gemeinsamen Nenner eines nur in westlichen Gesellschaften auftretenden Problems vermuten.
Wie reagieren Menschen auf die nachlassende Qualität sozialer Beziehungen am Arbeitsplatz, aber auch auf privaten Ebenen? Wie bewältigen Menschen ihre Exis-tenz, nachdem theistische Religionen, politische Parteien und Ideologien ihre rich-tungsweisende Kraft verloren haben? Kann es sein, dass ‚moderne’ Menschen einen Verlust ihrer persönlichen Leistungsfähigkeit erleiden, weil sie Glaube, Hoffnung, Liebe und letztlich den Sinn ihres Daseins auf der rasenden Reise in eine Konsum- und Erlebnisgesellschaft verloren haben?

Im Burn-out offenbart sich vielleicht das Scheitern persönlicher Lebensziele, manifestieren sich die Folgen jahrelanger Selbsttäuschungen und zeigt sich die dadurch unvermeidbare Selbstüberforderung. Und dagegen helfen weder der ‚Kupfer Energie Schlüssel gegen Burnout’ um € 44,90 noch die ‚Zen Burnout Control Anti Burnout Kapseln’ um € 29,90.

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Bild © pixabay

Dr. Peter Iwaniewicz

Dr. Peter Iwaniewicz

Peter Iwaniewicz ist Biologe, Journalist und Kulturökologe. Er unterrichtet an der Universität Wien Wissenschaftskommunikation und ist Autor zahlreicher Bücher.
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