Die aktuellen Zeiten bieten ein unglaubliches Potenzial für die persönliche Entwicklung. Doch wie vermutlich immer schon hängt der Mensch sein Herz an die „gute alte Zeit“.
Wenn Frauen miteinander reden, dann läuft das oft nach einem Muster ab. Man erkundigt sich, was die andere so macht, was sie umtreibt, und zwischendrin darf immer mal wieder gejammert, vielleicht sogar geweint werden. Und natürlich auch gelacht, wenn es das Leben hergibt. Aktuell ist es sehr verführerisch, sich dorthin zu neigen, wo das Lamentieren zu Hause ist. Und kaum ein Gespräch darüber, wie „das alles“ auf die Stimmung schlägt.
Gespräch eins. Wir sitzen auf einem gemütlichen Sofa und hängen jener Zeit hinterher, als wir uns noch vor lauter Lachen die Tränen aus den Augenwinkeln gewischt haben. Das hätten wir gerne wieder, doch andererseits – worüber haben wir denn gegackert? Über die unendlich schrägen Geschichten, die wir vorrangig mit Männern erlebt haben. Und das bedeutet jetzt nicht zwangsläufig, dass die Männer schräg waren; unsere Verhaltensweisen waren es auch. Weil wir noch voller Hoffnung, tolerant und neugierig waren. Das mit der Hoffnung und der Neugier hält an, die Toleranzgrenze gegenüber Schrägheit ist spürbar gesunken, stellen wir fest. „Vielleicht liegt es an uns?“, fragt meine Freundin. Und ich nickte bestimmt. Natürlich liegt es an uns, an den gewonnenen Erfahrungen und den daraus resultierenden Erkenntnissen. Ich für meinen Teil kann momentan sagen: Mir ist Seelenruhe inzwischen wichtiger als eine Story, die zwar zum Lachen einlädt, aber sich schlussendlich in Tränen auflöst.
Gespräch zwei. Ein langes Telefonat mit einer alten Freundin. Kürzlich hat sie mich gefragt, ob wir spazieren gehen wollen, was mich zur Frage gebracht hat, ob sie beschlossen habe, meine Räucherhöhle zu meiden. Irgendwie hatte sie das, aber nicht, weil sie die Nase voll von Sandelholz, Jasmin und Amber hat, sondern weil sie keine Garantie mehr für ihre Stimmung übernehmen kann und will. Zu viel im Kopf, zu wenig Sicherheit im Außen und dazwischen jede Menge Alltagschaos. Und dann kommt noch hinzu, dass sich in den vergangenen Wochen ein gesundheitliches Problem eingestellt hat, was sie davon abhält, sich die Zeit mit Alkohol zu vertreiben. Denn solange das Problem keinen Namen hat, will sie „zur Sicherheit“ weitgehend auf sich schauen. Ich hatte ja den Frühling nahezu vollständig ohne Hochprozentiges überstanden, meinen Nachbarn konnte ich dann anlässlich meines Geburtstags ein Glas Sekt nicht abschlagen. Hat reingehauen damals. Wäre aber absolut nicht notwendig gewesen. How ever. Erschwerend kommt für die Stimmung meiner Freundin hinzu, dass sie im Homeschooling feststeckt und insofern auch gefangen ist von den volatilen Mechanismen der lehrenden Gemeinde. Normalerweise ist meine Freundin hoch flexibel, doch die aktuelle Situation ist selbst ihr zu viel. Und auch das Gerede über alles, was mit den C-Scheißerchen zu tun hat. Gibt es denn kein anderes Thema?
Je mehr Menschen persönlich davon betroffen sind, je weniger ist es aus den Alltagsgesprächen fernzuhalten. Eine andere Freundin von mir hat sich schon vor Wochen über das Dialogdiktat beschwert. Und natürlich hat sie recht. Es muss doch noch etwas anderes geben, das eine gepflegte Unterhaltung auslösen könnte. Auf der Website des heimischen Revolverblatts erfahre ich, dass Männer anders abspecken als Frauen. Das deutsche Pendant spekuliert über die mögliche Scheidung von Melania und Donald. Ich versuche eine etwas hochkarätigere Recherche im deutschen Medienkosmos. Dort erfahre ich, welche DAX-Konzerne viel für Homosexuelle tun und dass japanische Bahnunternehmen mit verlorenen Kopfhörern kämpfen. Die Qualitätsmedien hierzulande berichten, dass Rom den Bischöfe-Rapport beim Papst verschoben hat und dass es Millionen lebensfreundlicher Exoplaneten in unserer Galaxie gibt.
Die Suche nach positiven, c-Scheisserchen-freien Nachrichten, über die man reden könnte, hat mich 30 Minuten gekostet. Und vielleicht kann sich daraus ja ein neues Gesellschaftsspiel entwickeln, jetzt, wo Brettspiele so unglaublich beliebt geworden sind. Das könnte so ablaufen: die Gesprächspartner suchen sich ihre Lieblingsthemen aus dem aktuellen Medienangebot und darüber wird dann gesprochen. Einzige Bedingung: kein C-Konnex. Und selbst, wenn ich persönlich jetzt wenig zu den lebensfreundlichen Exoplaneten sagen könnte – schon allein, weil ich dieses Wort noch nie gehört habe -, besteht doch die Möglichkeit, über ein Leben auf Kepler-1649c zu phantasieren. Oder darüber zu diskutieren, wie wichtig es ist, schwulenfreundliche Unternehmen mit entsprechenden Einkäufen zu unterstützen. Oder ganz einfach nur über Dolania zu lästern, wahlweise ihren Modestil unter die Lupe zu nehmen. Seine Friseur ist gesprächstechnisch schon ausgelutscht, finde ich. Es ginge schon, wenn wir es wirklich, wirklich wollen. Nämlich das Vergessen der aktuellen Situation, zumindest für die Dauer einer Unterhaltung.
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