Kennen Sie Julia Camerons „Weg des Künstlers“? Vor mehr als 20 Jahren hat sich dieser vor mir ausgebreitet, und es ist interessant, wie lange das nachhallt. Und wie leicht sich gewissen Teile daraus immer wieder neu erleben lassen, ohne ihre Gültigkeit zu verlieren.
Begonnen hatte ich mit diesem Buch, weil ich während einer arbeitslosen Phase beschloss, eine Werbeausbildung zu machen. Und wie das so ist, überlegte ich hin und her, ob ich denn für so etwas überhaupt kreativ genug bin. Was bei mir immer schon systemimmanent war: Wenn ich nicht weiter wusste, musste Lektüre her. Und in dieser Situation fiel mir Julia Camerons „Weg des Künstlers“ in die Hände. Weil da von einem 12-Wochen-Übungsprogramm die Rede war, hielt ich diese Lektüre für sehr förderlich. Und der spirituelle Pfad zur Aktivierung unserer Kreativität, wie es im Untertitel heißt, brachte auch Überraschung um Überraschung.
Allerdings galt und gilt hier natürlich auch wie vielerorts: Ohne Fleiß kein Preis! Und eine Aktion, die unbedingt vonnöten war und ist bei diesem Programm, ist das Schreiben von so genannten Morgenseiten. Gleich nach dem Aufstehen hat man sich hinzusetzen und das Gehirn zu entleeren. Und das auf drei Seiten, egal welchen Formats. Der Vorteil gegenüber dem Tagebuchschreiben am Abend: Man befreit sich von allem, was die Nacht über einen gestülpt hat und kann befreit in den Tag starten. Schreibt man am Abend, nimmt man die Probleme und Herausforderungen der zurückliegenden Stunden mit ins Bett – kann oft unschön werden. Das Schreiben erfolgt, bevor man mit irgendjemandem ein Wort gewechselt hat, was eine Challenge wird, wenn man in einem Familienverband lebt. Für diesen Fall rät die Autorin, eben früher aufzustehen. Ist der Leidensdruck und/oder der Wille groß genug, schafft man das. Glauben Sie dem Morgenmuffel in mir!
Ein faszinierender Aspekt dieser Morgenseiten ist, dass man in unmittelbarer zeitlicher Nähe mit einem positiven Impuls dazu konfrontiert hat. Fragen Sie mich nicht, wie das geht, aber es ist so. Vor 20 Jahren habe ich beispielsweise über einen Mann reflektiert, den ich zum damaligen Zeitpunkt schon ewig nicht mehr gesehen hatte. Ich fragte mich, was wohl aus ihm geworden war und bedauerte es, dass wir den Kontakt verloren hatten. Am Nachmittag traf ich mich mit einem Freund, der einen unbändigen Kaffeehunger hatte. Jetzt ist Salzburg nicht wirklich arm an einschlägigen Etablissements, doch ausgerechnet in dem einen, das wir uns aussuchten, traf ich den Mann meiner Morgenseiten. Die Gewissheit, dass Schreiben manifestieren kann, hat mich seitdem nie wieder verlassen. Und ich passe auch wirklich auf, was ich schreibe, um keine „bösen Geister“ zu wecken.
Vor einigen Tagen habe ich wieder mit den Morgenseiten begonnen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es mir gut täte. Nicht, dass ich an meiner Kreativität zweifeln würde – es war etwas anderes, was mich dazu brachte. Genau konnte ich es nicht benennen, doch das ist schließlich auch nicht immer nötig. Dem Gefühl oder der Intuition zu folgen, ist auch gut. Heute tauchte in den ersten Sätze bereits ein Thema auf, an dem ich mich immer wieder abarbeite, nämlich das mangelnde, zur Schau getragene Interesse mancher Menschen, die eigentlich von sich selbst behaupten, dass man ihnen am Herzen liegt. Oder die zumindest sagen würden, dass man Teil ihres Lebens ist. Dieses Thema hatte schon vor dem Schlafengehen an mir genagt, und offensichtlich bin ich es innerhalb von sieben Stunden nicht losgeworden.
Ich grantelte also vor mich hin, während ich die Seiten füllte und suchte nach einer Lösung, um diese Stimmung hinter mir zu lassen. Ist schließlich kein wirklich guter Start in den Tag, so ein Gefühl. Oft ist es mir gelungen, einen Weg zu finden – heute nicht. Ich habe dann mein Heft zugeklappt und spürte diesen trotzigen Gesichtsausdruck, den man mit „Das wird Konsequenzen haben“ verbalisieren könnte. Dann habe ich mein Handy eingeschaltet, wie immer nach meiner Morgenroutine, also circa eine Stunde nach dem Aufstehen. Und siehe da, da war eine Nachricht genau von diesem Menschen, an dem ich mich die letzten Stunden abgearbeitet hatte. Er hatte ein Anliegen, das ich kurz und knapp beantwortet habe. In mir grummelte ein „Wenn er was braucht, rührt er sich immer“. Doch dann kam ein „Was geht bei Dir so?“ von diesem Menschen.
Wäre ich nun weniger lange grantig, wahlweise ausbalancierter gewesen, hätte ich mich über diese Frage gefreut. Doch in dieser aktuellen Befindlichkeit bin ich trotzig geworden. Und habe nicht geantwortet. Weil ich nicht antworten mag, erst recht nicht, wenn ich grantig bin. Denn die Welt mit unfreundlichen Worten anzureichern, erscheint mir mehr als sinnlos. Mein Kopf sagt mir sehr genau, dass das ein Zeichen ist, meine Gedanken loszulassen und dem Universum dafür zu danken, dass es so schnell auf meine Morgenzeilen reagiert hat. Doch Ethel, mein innerer Kobold, murmelt, dass es wohl kein Grund für eine Party ist, wenn einmal im Jahr die Frage nach meinem Wohlbefinden kommt.
Ich weiß genau, dass ich Ethel auf ihr rotes Samtkissen betten muss, um sie zu kalmieren. Und wenn sie dann schläft, werde ich mit einem liebevollen Herzen antworten können. Doch so lange sie noch auf ihrem plüschigen Trampolin vor sich hin hüpft, komische Geräusche von sich gibt und an einem akuten Anfall von ADHS leidet, werde ich nichts schreiben. Sondern mich ablenken. Durch Kochen beispielsweise. Oder dem Verfassen dieses Textes. Meine schlechte Laune ebbt langsam ab.
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wird auf FB instrumentalisierte Massenware.
Wieso wollen Sie das?
Das lesen wenige und die Fütterung mit NewsFeed Nachrichten ist ja keine soziale Geste, sondern Influencer an die Masse.
Tut mir leid, dass Sie sich verkaufen.