Meditation kann in manchen Fällen schaden, nicht nur dem Meditierenden selbst, sondern auch seiner Mitwelt und der Gesellschaft. Die unerwünschten Wirkungen entstehen aus falschen Auffassungen über Meditation, aber auch durch Zweckentfremdung.
Kann Meditation den Meditierenden schaden, vielleicht sogar ihrer Mitwelt oder der Gesellschaft, in der sie leben? Im Folgenden möchte ich alle drei Aspekte berücksichtigen. Zunächst aber sollte ich meine Definition von Meditation vorstellen: Meditation ist eine Praxis, die das Ziel einer existenziellen Bewusstseinserweiterung verfolgt und zu einer spirituellen Erfahrung führen kann. Eine spirituelle Erfahrung transzendiert die üblichen Erfahrungen von Raum, Zeit, Selbst, Sorge und anderen Grundlagen des Alltagslebens. Sie gibt ihnen einen neuen Rahmen, ohne sie zu entwerten.
Nun klingt schon das Wort „Bewusstseinserweiterung“ abenteuerlich.
Häufig wird befürchtet, jemand könne beim Meditieren den Bezug zur Realität verlieren, Meditationen könnten eine Psychose auslösen oder eine traumatische Erfahrung reaktivieren. Das ist durchaus möglich, es hängt von der Art, zu meditieren, und der Verletzlichkeit des Übenden ab. Wer sich länger mit Meditation beschäftigt hat oder psychotherapeutisch tätig ist, kennt Berichte über solche Fälle, und sie finden sich auch in der wissenschaftlichen Literatur, beispielsweise bei Scharfetter (1999): „Der spirituellen Weg und seine Gefahren“ oder etwa Sharma et al. (2019): „Meditation-induced psyhosis“.
Es gibt zahlreiche Traditionen, Arten und Settings des Meditierens, und manche bringen die Pfeiler des Realitätsbezugs ins Wanken: lange Dauer der Praxis, Schlafmangel, Reizentzug (inklusive Bewegungslosigkeit mit längerem Schließen der Augen), Isolation (Schweigegebot), Lenkung der Aufmerksamkeit nach innen, das heißt auf mentale Prozesse und Körperempfindungen, Versuche, das rationale Denken auszuhebeln, eine nicht gegenstandsbezogene, offene, weite kognitive Ausrichtung. Diese Art und Weise des Meditierens ist vor allem aus der indischen Tradition bekannt, während christliche, jüdische, oder islamische Meditationspraktiken stärker die Aufmerksamkeit nach außen lenken und Bilder, Kunst, Musik oder Tanz einschließen. Dies gilt auch für tantrische, neotantrische und die taoistisch (also chinesisch) inspirierten meditativen Praktiken des Zen-Buddhismus.
Insbesondere wenn auf stille, introvertierte Weise meditiert wird, ist es nicht auszuschließen, dass Ängste, unverarbeitete Traumata oder Konfusion auftreten können. Diese Erlebnisse sind dann ein Problem, wenn der Betreffende sie nicht kontrollieren kann. Meditationslehrende beugen dem in der Regel vor, indem sie Anfänger zunächst zu fokussierten Meditationen anleiten, sie mit Einzelgesprächen begleiten, die Meditationserfahrungen zeitlich begrenzen und die Introspektion immer wieder unterbrechen.
Menschen mit psychischen Erkrankungen sollten sich fachkundig beraten und begleiten lassen. Heute gibt es psychotherapeutisch ausgerichtete Programme, die meditative Praktiken verwenden. Wenn diese Programme entsprechend ausgestaltet werden, können sie gerade für psychisch labile Menschen geeignet und stabilisierend sein. Allerdings sind auch hier die unerwünschten Wirkungen nicht ausreichend erforscht.
Meditationen rufen selten schwere psychische Störungen hervor. Viel häufiger sind unerwünschte Wirkungen, die damit zu tun haben, wie Menschen Meditation verstehen und für sich nutzen. Sie beruhen fast alle auf irreführenden Auffassungen vom Sinn des Meditierens oder auf Zweckentfremdungen:
Achtsamkeit kann dazu verwendet werden, Handeln, Konfrontationen mit der Realität, Konflikten und Entscheidungen zu vermeiden oder aufzuschieben. Diese Gefahr besteht vor allem dann, wenn Meditation ausschließlich als ein Weg nach innen verstanden und praktiziert wird. Man zieht sich in seine Innenwelt zurück, meidet Engagement und tauscht sich nicht mit anderen aus. Möglichkeiten und Grenzen der Empathie, wie sie nur in realen Dialogen erfahrbar ist, werden nicht erlebt. Dies wird auch dadurch verstärkt, dass Meditationen zu äußerst angenehmen Zuständen führen können. Es gibt daher zahlreiche Berichte von Menschen, die nach langen Meditationszeiten nur schwer wieder in den Alltag zurückgefunden und dann mit Depressivität reagiert haben.
Eine weitere Gefahr ist, dass Meditation Narzissmus fördert. Dieser tritt in verschiedenen Formen auf. Wer sich zu viel mit sich selbst beschäftigt, läuft Gefahr, noch mehr nach Selbstoptimierung und Perfektionismus zu streben, statt Selbstakzeptanz zu entwickeln. Stress, Scheitern und Depressivität können folgen. Auch negativer Narzissmus kann durch falsche Vorstellungen von Meditation gestärkt werden: Man übt übermäßige Selbstkritik, wenn man nicht praktiziert oder keine Fortschritte macht.
Wer darüber hinaus die Vorstellung hat, durch Meditation an einem universellen Bewusstsein teilzuhaben, ein „Erleuchteter“ zu sein oder sein zu wollen, entwickelt bewusst oder unbewusst die Idee, einer Elite anzugehören. Oft werden Lehrer idealisiert, die man „erlebt“ hat, in deren Aura man sich sonnt oder als deren Schüler man sich identifiziert. Dies fördert die Abhängigkeit von Lehrern und Gruppen mit der Gefahr des Missbrauchs dieser Abhängigkeit. In die gleiche Richtung weist ein häufig anzutreffender spiritueller Heroismus, nach dem Motto: Nur wer Leiden erduldet, hart mit sich selbst und asketisch ist, kann Meditation umfassend praktizieren und verstehen.
Meditation könnte eine Psychose auslösen oder eine traumatische Erfahrung reaktivieren.
Schwierig ist der Punkt des Nichtbewertens, der in der modernen Achtsamkeitspraxis betont wird. Statt bewusst und reflektiert zu bewerten, läuft man Gefahr, in moralische Gleichgültigkeit und Gefühlsarmut zu verfallen. Im Extremfall hängt man dem Ideal einer nicht mehr verletzlichen Persönlichkeit an („Teflon-Meditation“). Gefühle brauchen jedoch Bewertungen. Der Umgang mit ihnen ist ein Punkt, der bei Meditierenden häufig falsch verstanden wird. Wer Gefühle ablehnt, insbesondere sogenannte „negative“ Gefühle, kann Gefühlsfeindlichkeit und -armut entwickeln und aggressive Gefühle entwerten.
Auch die Idee des Nicht-Selbst kann psychische Komplikationen nach sich ziehen. Wer undifferenziert sein Selbst leugnet, wird kaum Selbstfürsorge entwickeln, nicht bereit sein, Verantwortung zu übernehmen und sich durchzusetzen. Das kann zu einem Mangel an Verständnis für persönliche Freiheit und Individualismus führen.
Eine weitere unerwünschte Nebenwirkung von Meditation kann das Abgleiten in Irrationalismus und Esoterik sein. Manche Meditierende glauben, im Besitz von „tieferen“ Wahrheiten zu sein, die nicht vermittelbar sind und über die man – wenn überhaupt – nur mit „Eingeweihten“ diskutieren kann. Die Ablehnung rationaler und wissenschaftlicher Diskurse macht einer nach Aufklärung strebenden Gesellschaft immer wieder zu schaffen.
Einige dieser möglichen unerwünschten Wirkungen betreffen weniger den Meditierenden als vor allem seine unmittelbare Mitwelt. Das gilt vor allem bei den narzisstisch gefärbten Wirkungen und bei denen, die die Kommunikation und das gemeinsame soziale Engagement beeinträchtigen. Man könnte glauben, dass eine Phase der Selbstfokussierung sinnvoll oder notwendig sei, aus dem ein überzeugteres und überzeugenderes Engagement für das Wohl anderer, ob nah oder fern, führen würde. Aber das ist nur eine Hoffnung.
Die Meditation hat ein gewisses und berechtigtes Prestige, ist aber auch in einem gesellschaftlichen Trend verankert, den wir nicht unbedingt fortschreiben wollen: Selbstoptimierung, Rückzug ins Private, eine neoliberale „Jeder ist seines Glückes Schmied“-Haltung, die Jagd nach besonderen und intensiven Erlebnissen, wie sie eine „Erlebnisgesellschaft“ oder eine „Gesellschaft der Singularitäten“ vorsehen. Solche Haltungen führen sicher zu mehr Rastlosigkeit, wachsenden Ansprüchen, Konsumismus, einsamer oder kollektiver Egozentrik, kurzum zu sinnlosen Anhaftungen, die durch Meditationen gerade vermindert werden sollen. Es ist also wichtig, wie und in welchen äußeren und inneren Kontexten Meditation praktiziert und verstanden wird.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 122: „Resilienz"
Dr. Michael Huppertz, Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Studium der Soziologie, Philosophie und Medizin. Seit 1997 Arbeit mit achtsamkeitsbasierter Psychotherapie. Letzte Veröffentlichung zu diesem Thema: „Die Kunst da zu sein. Häufig, selten und nie gestellte Fragen zur Achtsamkeit“ (2022). www.mihuppertz.de
Bild Text © Francesco Ciccolella
Bild Teaser & Header © Unsplash