„Auf eine Zweiheit stützt sich gewöhnlich diese Welt: auf Sein und Nichtsein. Für den aber, der in rechter Weisheit der Wirklichkeit gemäß die Entstehung der Welt erkennt, gibt es das nicht, was man in der Welt ‚Nichtsein' nennt ... gibt es das nicht, was man in der Welt ‚Sein' nennt.
Durch Sich-Anschließen, Anhangen, Sich-Eingewöhnen ist gemeinhin die Welt gefesselt. Aber an dieses Sich-Anschließen und Anhangen, an das Sich-Festlegen, Eingewöhnen und Hinneigung des Geistes schließt sich jener edle Jünger nicht an, er hängt nicht daran, er hat sich nicht festgelegt auf die Ansicht: ‚Mein Selbst ist es.' Leiden nur ist es, was entsteht; Leiden nur ist es, was vergeht."
Gruppierte Sammlung 22 / 90, übersetzt von Nyanaponika
Kommentar von Dr.Paul Köppler
Dieser Ausschnitt ist aus einer Rede, die Ananda, der Assistent des Buddha, einem Mönch namens Channa gibt. Allerdings sagt Ananda, dass er wortwörtlich eine Belehrung des Buddha weitergibt. In Bezug auf die Frage nach dem Nicht-Ich ist diese Rede bemerkenswert, weil dieser Mönch Channa in einem Gespräch mit anderen Mönchen sagt, er verstehe zwar, dass alles vergänglich sei und daher alles Nicht-Ich, er hätte jedoch bemerkt, dass er nicht wirklich nach Erleuchtung strebe, weil ihm bei dem Gedanken „Was wird aus meinem Ich?", wenn er sich davon befreie, Furcht und Angst hochkämen. Damit trifft er genau das Problem, wie es sich den Übenden auf dem Weg darstellt, im innersten Kern. Dieses geformte und zusammengesetzte Ich möchte nicht die Kontrolle verlieren.
Nun ist interessant, dass Ananda damit beginnt, das waltende Grundprinzip zu erklären, das der Welt, wie wir sie kennen und die daher auch das Ich überhaupt erst möglich macht, zugrunde liegt, nämlich das unterscheidende, duale Denken. Entweder es ist Sein oder Nichtsein, entweder ich bin oder ich bin nicht, so denken wir – und das ist das größte Hindernis auf dem Weg zum Erwachen. Daraus folgt, dass wir den Dingen eine Bedeutung geben, an ihnen hängen, uns ein Bild machen und daraus folgt Begehren. Wer das durchschaut, der verliert jede Angst, denn er sieht, dass dieses Ich nur ein Konzept ist und keine Wirklichkeit. Es ist letzten Endes dafür verantwortlich, dass unweigerlich immer wieder Leiden entsteht.
Die tiefe Einsicht in diesen Prozess des Leidens, der von Ananda in der Form der ‚bedingten Entstehung' erklärt wird, löst bei Channa alle Furcht und so findet er durch völliges Verstehen der Lehre die innere Befreiung.
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