„Schneller, höher, weiter“ war jahrzehntelang die Prämisse der Weltwirtschaft. Ein Aufruf zum Umdenken.
Wir alle brauchen etwas für unser Glück, unsere Zufriedenheit, unseren Wohlstand. Wie viel genau brauchen wir denn? Ein SUV sicherlich nicht. Einen Flug auf die Malediven auch nicht. Wir brauchen zu essen, ein Dach über dem Kopf, uns unterstützende soziale Kontakte und noch dies oder das. Außerdem brauchen wir Mut, Zuversicht und die Fähigkeit zum emotionalen Einverständnis, dass etwas Erreichtes auch mal genug sein kann. Kein äußerer Reichtum kann uns dazu befähigen. Je leichter es mir fällt, etwas Gegebenes, Vorhandenes als genug zu empfinden, desto bereiter bin ich für Glück. Vielleicht ist Glück sogar – entgegen einem oft verkündeten Glauben – nicht etwa das Gefühl, dass sich etwas verbessert, sondern das Ruhen in der Gewissheit, dass das Ersehnte bereits da ist und nicht erst erkämpft oder erarbeitet werden muss.
Das gilt für uns als Individuen. Es gilt jedoch auch für soziale Gebilde wie Gruppen, Firmen, Nationen und Wirtschaftsräume. Auch solche Gebilde können die Fähigkeit zu einem für ihre Teilhaber glückbringenden „Es ist genug“ haben. Dann lassen sie sich nicht im Hamsterrad eines endlosen Höher-Schneller-Weiter einsperren, und auch nicht in einer Karikatur davon: eines immer mitfühlenderen, altruistischeren, spirituelleren Werdens. Ruhelos immer weiter zu eilen auf dem Weg zur Karotte der Erleuchtung oder der selbstlosen Liebe, bringt weder Liebe noch Erleuchtung.
Die aktuelle Weltkultur ist im Wahnsinn einer wachstumssüchtigen Wirtschaft gefangen. Die Fähigkeit zum „Es ist genug“ fehlt. Drei Prozent jährliches Wachstum seien nötig, heißt es, damit dieses Wirtschaftssystem nicht kollabiert. Obwohl allen, die über mehr als ein paar Monate hinausschauen können, klar ist, dass ein solches Weiterwachsen für unser Biotop so fatal ist wie ein Jahr für Jahr um drei Prozent metastasierender Krebs. Schon ein Beibehalten des aktuellen Raubbaus an der Natur zerstört das uns tragende Biotop. Ein Weiterwachsen wie bisher wäre für uns alle noch schneller letal.
Seit dem Report „The Limits of Growth“ von 1972, einer wissenschaftlichen Studie des Club of Rome, ist das allen bekannt, die es wissen wollen. Al Gores Doku „An Inconvenient Truth“ von 2006, der Klimagipfel in Paris 2015, Greta Thunbergs Streik im Sommer 2018, der die „Fridays for Future“-Bewegung zur Folge hatte, sind weitere Verkünder dieser Botschaft.
Je leichter es mir fällt, etwas Gegebenes, Vorhandenes als genug zu empfinden, desto bereiter bin ich für Glück.
Einen Heroinsüchtigen wird der Hinweis auf die gesundheitlichen Folgen seines Tuns jedoch nicht davon abhalten, weiterzumachen. Dazu benötigt es eine Änderung im Innern. Er müsste sich mit seiner eigenen Angst konfrontieren, mit seinem stündlichen, ja minütlichen Wechsel der Gefühle, seinem alltäglichen Scheitern, dem Auf und Ab von Trauer und Freude, Genuss und Schmerz. Hier gilt, was Buddha über die Gier und den unersättlichen Durst „tanha“ als Ursache des Leidens lehrte. Ähnlich bei anderen spirituellen Wegen, die eigene Antworten auf die Conditio humana des Ich-will-mehr fanden: So lehrt der traditionelle indische Yoga den Verzicht, und die christlichen Wüstenväter zogen sich in den frühen Jahrhunderten unserer Zeitrechnung für ein mönchisches Eremitenleben in die ägyptischen und syrischen Wüsten zurück.
Den Kaufrausch kennen viele von uns. Da berauscht das Gefühl, mit dem Erwerb einer Ware dem Glück einen Schritt näher gekommen zu sein. Unsere ganze Wirtschaft basiert auf dieser Droge. Es gibt jedoch auch noch viele andere Räusche, die alle das Mittelmaß scheuen, das „Es ist genug“. Einige berauschen sich sogar an einem Weniger. Da muss dann das Abnehmen zunehmen, wie etwa in der Magersucht. Noch extremer waren die Lichtnahrungsexperimente der Australierin Jasmuheen, die eine völlige Befreiung von Hunger und Durst erstrebten. Einige ihrer Anhänger überlebten das nicht. Extremer Sport ist generell ungesünder als ein Mittelmaß an Bewegung. Sogar das milde Runner’s High des Joggers kann süchtig machen, und gewiss auch der Schauspielern und Politikern bekannte Rausch der Bühne. Um noch denselben Adrenalin- oder Serotoninrausch zu erleben, muss dabei jeweils die Dosis erhöht werden. Wie soll da Zufriedenheit entstehen?
Ein Freund von mir ist seit ein paar Jahren mit seinem Unternehmen Umsatzmillionär. Nachdem er die 200 Millionen geknackt hatte, gestand er mir, dass er in den nächsten drei Jahren die Milliarde knacken will, um sich dann zurückzuziehen. Warum erst dann? Wenn unsere Wirtschaft erst dann vom Wachsen zum Schrumpfen übergeht, wenn in der Tundra die Permafrostböden auftauen und das Methan freilassen, wird es zu spät sein für eine Verhinderung noch viel schlimmerer Hitzewellen und Stürme, als wir sie im vergangenen Sommer erlebt haben. Bangladesch, die Niederlande und Städte wie New York und Tokio werden dann vom Meer geflutet, und bald darauf die höher liegenden Länder von den Migrationswellen der Überlebenden.
Ohne ein Beenden der krassesten unserer Süchte werden wir nicht glücklich sein können. Das gilt für uns Individuen ebenso wie für die Kollektive des Homo sapiens. Und weil der Konsum in den sogenannten entwickelten Ländern bereits für das Biotop unerträglich ist, braucht es vor allem dort ein Schrumpfen. Wir müssen ohne das Verbrennen fossiler Energieträger auskommen, mit weniger geografischer Mobilität und mehr gemeinsamem Wohnen und Teilen von materiellem und geistigem Besitz. Ein zufriedener, in sich ruhender Mensch braucht nur wenige Dinge um sich, die er sein Eigen nennt. Die meisten wird er nicht allein nutzen. Verbrauchsgüter wird er wiederverwenden, Kleidung überwiegend secondhand kaufen und bei seinen Maschinen und Geräten langlebige bevorzugen und sie reparieren lassen, solange das möglich ist.
Um aus dem Rattenrennen auszusteigen, müssen wir erst einmal innehalten und still werden. Die Narrative erkennen, die uns steuern. Weniger haben, mehr sein. Für viele gilt auch: die eigene Ernährung ändern. Sich Zeiten der Erholung gönnen vom Lärm der Sensationsmeldungen und den Input auf Weises und Nützliches ausrichten. All das kann Wunden heilen, und es macht zufriedener. Wenn immer mehr von uns diese Wende vollbringen, wird schließlich auch die Gesellschaft, in der wir leben, die Wende schaffen.
Glückliche Menschen sind nicht neidisch. Sie prahlen nicht mit Dingen und Erfolgen und versuchen nicht, andere zu übertrumpfen. Vielleicht sind sie stiller als andere, aber keineswegs ohnmächtig, denn sie vereinfachen Umständliches. Das reduziert Bürokratie und den gesellschaftlichen Lärm und schafft Zeit für Muße, Gemeinsamkeit, Liebe, Verständigung und Kooperation. Zufriedenheit basiert auf Frieden. Und sie ist ansteckend! Möge sie zu einer Pandemie werden, die sich exponentiell ausbreitet in der ganzen Welt.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 120: „Lebendiger Buddhismus"
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