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Leben

Burn-on statt Burn-out: Trotz hohen Leidensdrucks kommt es nicht zum Zusammenbruch, aber zu gravierenden seelischen und körperlichen Folgen.

Im Falle eines Burn-outs geraten Menschen in eine negative Spirale aus Überarbeitung und immer weiter abnehmender Leistungsfähigkeit. Viele versuchen, dies durch die Erhöhung der Arbeitsstunden zu kompensieren, was für Betroffene und Angehörige schon ein erstes Warnzeichen darstellen kann. Charakteristischerweise entsteht zudem ein regelrechter innerer Widerwille gegen die eigene Tätigkeit, weil es kaum mehr Erlebnisse von Erfolg und positiver Identifikation gibt.

Die chronische Form der Erschöpfungsdepression schleicht sich ein und höhlt die Betroffenen häufig regelrecht innerlich aus.

Verschlimmert sich der Zustand, weil er nicht erkannt wird oder Hilfe ausbleibt, führt der Burn-out als akute Erschöpfungsdepression zum psychischen Zusammenbruch. Und genau dieser Zusammenbruch passiert beim „Burn-on“ nicht: Diese chronische Form der Erschöpfungsdepression schleicht sich ein und höhlt die Betroffenen häufig regelrecht innerlich aus. Aus Angst vor dem persönlichen Crash steuern die Betroffenen gegen, um immer weiter an der Belastungsgrenze möglichst erfolgreich weiterarbeiten zu können. Der Moment, der das Fass zum Überlaufen bringt, fehlt hier – und das macht es für die Betroffenen so schwer, etwas zu verändern. Dabei stehen sie ständig unter Spannung. Ihr Aktionismus ist ebenso maßlos wie ihre Erschöpfung.

Die Betroffenen haben das Gefühl, als wäre ihnen eigentlich immer alles zu viel, finden jedoch alleine keinen Ausweg aus ihrer Situation. Sie funktionieren. Dieser Zustand, unter dem sie leiden, ist dann vermutlich ein Burn-on. Diese Verfassung lässt sich gut mit einem Bild beschreiben: ein Kunstturner, der mit einem gequälten Lächeln stolz in einen scheinbar mühelosen und doch schmerzhaften Spagat geht, und der nicht bemerkt, wie der Boden unter seinen Beinen rissig wird, bis sich ein Abgrund unter ihm auftut. Mit unglaublicher Kraft muss er immer weiter für die nötige Anspannung sorgen, um nicht in die Tiefe zu fallen. Und genau dieser brennende Spagat wird zum Dauerzustand, zum Burn-on.

Zusammenbruch

Im Alltag sind dann alle Lebensbereiche dem betriebsamen Arbeitsmodus unterworfen. Patienten, die mit der Diagnose der chronischen Erschöpfungsdepression in einer psychosomatischen Klinik aufgenommen werden, erzählen, dass sie im Berufsleben durch die oft fristgebundenen Aufgaben zwar noch performen, im privaten Bereich aber prokrastinieren. Die Dinge, die man immer genossen hat, fühlen sich inzwischen wie eine Verpflichtung an. Sie schieben Einladungen vor sich her. Haben keine Kraft, sich bei Freunden zu melden und verlieren auch den Draht zu sich selbst. Alles, was keine unmittelbar negativen Konsequenzen nach sich zieht, lassen sie schleifen. Alles, was sie aus sich selbst heraus anpacken könnten, kommt zu kurz. Langfristig führt das zu einer großen Freudlosigkeit. Betroffene empfinden sich als leere Hülle, die ohne eigenen Inhalt völlig fremdgesteuert und automatisiert durchs Leben geht. Und das oft über Jahre.


Durch die Coronapandemie sind derzeit viele ganz besonders belastet. Vor allem Menschen in helfenden Berufen, wie etwa in Medizin und Pädagogik. Auch berufstätige Eltern sind seit über einem Jahr massiven Belastungen ausgesetzt. Es mag in der Pandemie ein Segen sein, dass mit den digitalen Technologien viel im Homeoffice erledigt werden kann, aber es führt auch zu einer räumlichen und zeitlichen Entgrenzung von Arbeit.

Andere haben in den letzten Monaten ihren zuvor sicheren Job verloren oder bekommen als Selbstständige keine Aufträge mehr. „Man darf sich in diesen Zeiten glücklich schätzen, wenn man überhaupt Arbeit hat“, solche Durchhalteparolen sind in vielen Köpfen. So arbeiten sie fleißig weiter, achten darauf, eben nicht zusammenzuklappen. Das zehrt ungemein an den seelischen wie auch an den körperlichen Kräften. Man kann nicht mehr, muss aber doch irgendwie diszipliniert bleiben und weiter funktionieren. Diese Art zu denken und zu handeln kann allerdings direkt in den Burn-on führen. Gerade in der Pandemie schämen sich viele Menschen dafür, zuzugeben, dass sie nicht mehr können.

Betroffene empfinden sich als leere Hülle, die ohne eigenen Inhalt völlig fremdgesteuert und automatisiert durchs Leben geht.

Um aus einem Burn-on herauszukommen, ist der erste Schritt, innezuhalten und die eigene Haltung ehrlich zu hinterfragen. Muss es wirklich immer und unter jeder Voraussetzung weitergehen? Möchten wir der Arbeit und ihren sich in alle Lebensbereiche ausdehnenden Ansprüchen wirklich unsere Gesundheit und Zufriedenheit opfern? Auch wenn der Begriff der Achtsamkeit aktuell inflationär benutzt wird, die Inhalte, die sich dahinter verbergen, können ganz konkret helfen, besser für sich Sorge zu tragen. Wir können nur jedem dazu raten, sich ernsthaft die Frage zu stellen, ob die Arbeit noch in einem umfassenden Sinne dem Leben dient oder es nicht längst umgekehrt ist. Wer die Grenze zu einem Burn-on überschritten hat, braucht professionelle Hilfe, zumindest eine ambulante Psychotherapie. Oft braucht es aber auch eine Auszeit im Rahmen einer stationären Psychotherapie.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 117: „Meditation"

UW117 Cover


Prävention beginnt bei dem eben beschriebenen achtsamen Umgang mit sich selbst. Wo bemerke ich, dass meine Lebensführung nicht mehr mit meinen Werten übereinstimmt? Wo ist in meinem Leben der professionelle Ausnahmezustand zur Normalität geworden – und möchte ich das so beibehalten? Es ist im Alltag hilfreich, bereits während der Tätigkeit, von der man eine Pause braucht, auf sich zu achten. Sich regelmäßig selbst zu fragen, wie man sich fühlt, bevor die Belastungsgrenze überschritten und man emotional ausgelaugt ist. Viele Menschen sind im Zuge der Pandemie einen Schritt zurückgegangen und haben sich gefragt: Wie und wie viel will ich eigentlich arbeiten, heute und in Zukunft? Man lernt, dass innegehalten werden muss und dass Pausen unabdingbar sind.

Prof. Dr. Bert te Wildt ist Chefarzt der Psychosomatischen Klinik im Kloster Dießen am Ammersee. Seine klinischen und wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen im Bereich der Verhaltenssüchte, insbesondere der Internetabhängigkeit sowie der Nutzung digitaler Technologien in der Psychotherapie.

Timo Schiele ist leitender Psychologe der Psychosomatischen Klinik im Kloster Dießen am Ammersee.

Tipp: Bert te Wildt, Timo Schiele: Burn On – Immer kurz vorm Burn Out, Drömer HC 2021

Bild Teaser & Header © Pixabay

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