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Leben

Die Gemeinschaft, der Geist und die Gesellschaft – drei queere Buddhist*innen berichten über ihre Erfahrungen.

Welche Bedeutung hat Buddhismus in Ihrem Leben?

Cornelis Händel: Es ist meine spirituelle Ausrichtung. Ich schätze unter anderem, dass sich hier tiefgründige intellektuelle Auseinandersetzung und spirituelle Praxis ergänzen. Sie sind nicht, wie so oft, Gegensätze.

Mechthild Rutzen: Jetzt in Corona-Krisenzeiten eine sehr große. Vieles ist ja gerade nicht möglich. Aber ich kann mich täglich darin üben, mehr Ruhe und Geduld mit mir selbst und anderen zu haben. Ich vertraue darauf, dass ich mit allen schwierigen Momenten irgendwie umgehen kann. Ich erfreue mich auch an scheinbar kleinen, unwichtigen Dingen.

Yotin Tiewtrakul: Buddhismus ist für mich ein Aspekt in meinen mehrdimensionalen kulturellen, spirituellen und engagierten Zugehörigkeiten.

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Ist es für Sie in Ordnung, wenn man Sie auf Ihre Queernes anspricht?

Händel: Ja, voll. Solange der gegenseitige Respekt die Grundlage der Kommunikation ist.

Rutzen: Ja, kein Problem. Es ist mir lieber, wenn jemand etwas naive, unbedarfte Fragen stellt, als wenn da irgendein Unbehagen ist, das in Schweigen mündet. Andersherum frage ich mich allerdings auch zwanzig Jahre nach meinem ersten Coming-out immer wieder, wann und wo es sinnvoll ist, dass ich meine Queerness selbst anspreche – zum Beispiel im beruflichen Kontext oder wenn ich im Ausland bin.

Tiewtrakul: Ehrlich gesagt, passiert mir das kaum. Aber es wäre natürlich in Ordnung. Allerdings darf man dann nicht von mir erwarten, dass ich Experte fürs Schwulsein oder die Gay-Community bin.

Haben Sie im buddhistischen Kontext schon mal Diskriminierung erfahren?

Händel: Ja, habe ich, indirekt und direkt. Zum Beispiel binäre Cisgeschlechtlichkeit als „Natürliche Tatsache“ hingestellt bekommen und dabei sogar mit Leerheit argumentieren. So, als ob das Normative kein ebenso von Ursachen und Bedingungen abhängiges Konstrukt wäre. So, als ob keine relative Wirklichkeit existiere.

Rutzen: Zum Glück nicht oft. Ich habe mir aber auch gezielt Gruppen und Orte herausgesucht, an denen mir die Wahrscheinlichkeit gering erschien. Früher habe ich viel Yoga gemacht. Dort musste ich mir schon ab und zu homophobe Kommentare anhören. In Bezug auf spirituelle Lehren, etwa das Shiva-Shakti-Prinzip, nach dem das ganze Universum aus männlicher und weiblicher Energie besteht. Diskriminierung kann ja überall vorkommen, in der Schule, bei der Arbeit, aber auch in der queeren Szene selbst. Deshalb finde ich es am wichtigsten, ob es ein Bewusstsein dafür gibt und wie innerhalb einer Gemeinschaft mit Diskriminierungen umgegangen wird.

Tiewtrakul: Nein. Eher in der abgemilderten Form, dass ich mich – das mag jetzt überraschend sein – als asiatischer Mensch in manchen Kontexten nicht sonderlich wohlfühlte. Zum Beispiel, wenn man mir eine bestimmte Mentalität unterstellt. Es gibt zu viele positive und negative starre kulturelle Zuschreibungen über Ost und West.

Wie sollten Sanghen sein, damit sie sich dort angenommen fühlen?

Händel: Der Fokus sollte bei Studium und Praxis liegen. Offenheit und Inklusion darf nicht nur auf dem Papier stehen. Das betrifft nicht nur Queers. Was ist mit der Präsenz von BIPoC? Wie ist der Umgang mit Behinderungen? Besteht eine Tendenz zu Klassismus? Ein weites Feld …

Rutzen: … vielfältig, offen, hierarchiearm, solidarisch, diversitätssensibel. Sie sollten Raum für eine konstruktive Konfliktkultur bieten.

Tiewtrakul: Buddhistische Gruppen sollten reflektieren, warum nur bestimmte Bildungsschichten in ihnen zu finden sind. Weiße Buddhist*innen sollten den Begriff „White Gaze“ kennen und reflektieren, welche Aspekte ihrer Praxis auch durch Orientalismus geprägt sind.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung Special №. 1: „Buddhismus unter dem Regenbogen"

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Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft?

Händel: Jede Community ist nur ein Spiegel der Gesellschaft. Daher wünsche ich mir eine gesamtgesellschaftliche Veränderung hin zu mehr Verständnis und Normalisierung von Diversität.

Rutzen: Ich möchte weiterhin in so hilfreichen Gemeinschaften praktizieren können, wie ich es jetzt gerade tue. Irgendwann einmal sollte das auch offline möglich sein!

Tiewtrakul: Immer wieder die Hände öffnen. („Opening the hand of thought“ – Uchiyama Roshi)

 

Cornelis Händel ist transgender, lebt in Berlin und praktiziert Buddhismus in der indotibetischen Tradition.
 
Mechthild Rutzen  ist Psychologin, Lehrerin (Russisch/Französisch) und praktiziert in der Theravada-Tradition. Sie lebt in Berlin.
 
Yotin Tiewtrakul in Thailand geboren, Kirchenmusiker, Zen-Übender.
 
Header / Teaser © unsplash
Bilder Interviewpartner von links nach rechts © Händel - Sarah Estio, Rutzen - privat, Tiewtrakul - privat
 
Redaktion Ursache\Wirkung

Redaktion Ursache\Wirkung

Hier finden Sie Beiträge, die das Ergebniss einer gemeinsamen Arbeit sind. Die Redaktion von Ursache\Wirkung hat hier zusammengearbeitet und diese Texte gemeinsam realisiert. 
Kommentare  
# Mario Zwetti 2021-10-14 00:33
wie können wir gemeinsam - dort wo wir wirken - mehr erschaffen, als Ressourcen verbrauchen. Dort wo wir wirken, soll ein "Mehr" entstehen. Lasst es uns tun, in dem wir auf das "Ich" verzichten und das "Wir" entdecken!
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