Bin ich heute mit dem Einatmen oder dem Ausatmen aufgewacht? Woran habe ich gedacht in dem Moment? Und welcher Fuß hat beim Aufstehen zuerst die Erde berührt?
Den größten Teil unseres alltäglichen Wachseins verbringen wir im Autopilot-Modus, verloren in Gedankenwelten, während der Körper macht, was er gerade soll. Achte mal darauf, wie lange es am Morgen dauert, bis du erstmals bewusst im Hier und Jetzt ankommst!
Neulich habe ich bei einer Freundin übernachtet, die sich angewöhnt hatte, beim Wasserkochen den Deckel des Schnellkochers offen stehen zu lassen. So widersinnig mir das auch erschien, erinnerte es mich doch an eine Übung, die ich in Studienzeiten immer wieder begeistert gemacht habe: jeden Tag eine andere Gewohnheit entlarven und dann das Gegenteil davon machen und sich fragen: Wie fühlt sich das an? Im ersten Moment mag das einfach klingen. Putze ich meine Zähne eben mit der linken Hand, statt mit der rechten. Stelle ich die Schuhe mal anders herum ab und esse das Dessert am Anfang und nicht zum Schluss. Wie bitte? Da regt sich Widerstand. Ich werde doch nicht bewusst etwas machen, das meinen Vorlieben widerspricht. Und wie schwierig es ist, überhaupt meine Gewohnheiten zu erkennen und meine Komfortzone zu verlassen. Wir richten unser Leben bis ins allerletzte Detail entsprechend unseren Vorlieben und Abneigungen ein und sind darauf bedacht, nur nichts daran zu ändern. Eigene Marotten erkennt man oft erst im Kontrast zu den Gewohnheiten von anderen: Kaffee muss man im Kühlschrank aufbewahren … in dem Geschäft würde ich niemals einkaufen ... ich reise immer mit Wärmflasche ...
Gewohnheiten prägen unser Dasein. Sie erlauben uns, ohne großes Nachdenken routiniert Aufgaben zu erledigen, und führen bei dem einen zur Meisterschaft, bei dem anderen im Extremfall zu Sucht oder Zwängen. All unser Handeln wird regiert von eingeschliffenen Denkgewohnheiten. Sie verklumpen sich zu Ansichten, Überzeugungen und Glaubensvorstellungen und bringen alle Probleme dieser Welt hervor. Die Macht von Denkgewohnheiten zeigt sich auch als Rassismus, Nationalismus und sonstigen -ismen. Neues zu denken ist eine gigantische Herausforderung für die meisten Menschen. Um in uns selbst die eingefahrenen Denkspuren zu erkennen, ist es überaus hilfreich, Meditation zur Gewohnheit werden zu lassen. Meditation ist eine Art Meta-Gewohnheit, die es ermöglicht, uns von Denkzwängen zu befreien. Der regelmäßige Impuls, das geistige Geschehen in der Meditation bewusst zu betrachten, lüftet die Gedanken aus. Wir erkennen sich wiederholende Muster und ihre Wirkung auf Herz und Gemüt. Und wenn wir dieses genaue meditative Hinschauen mit in unseren Alltag hineinnehmen und jeden Daseinsmoment mit Achtsamkeit durchdringen, können sich Automatismen auflösen. Achtsames Wahrnehmen granuliert Gewohnheiten. Legen wir also die lieben Gewohnheiten in die eine Waagschale und extrawache Aufmerksamkeit von Moment zu Moment in die andere, um gut in unserer Mitte zu ruhen.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 119: „Zukunft gestalten"'
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