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Diskurs

Groß ist die Gruppe in Berlin nicht mehr. Gerade einmal eine Handvoll Menschen zählen zu den Mitgliedern der Mumon-Kai, also der „Gemeinschaft ohne Tor“.

Das ist eine buddhistische Gruppe, die in Berlin eine japanische Form des Buddhismus praktiziert, das Zen. Zen ist allgemein bekannt für seine Einfachheit, seine Klarheit und Ordnung. Ziel ist, wie in jeder buddhistischen Richtung, die Erleuchtung zu erlangen.

Um das zu erreichen, hat der Leiter der Gruppe, „Zen-Meister“ Sotetsu Yuzen, mit bürgerlichem Namen Klaus Zernickow, allerdings zu äußerst fragwürdigen Maßnahmen gegriffen. Früher waren im Haupttempel bis zu vierzig Menschen aktiv. Doch die Vorwürfe gegen den Lehrer wurden über die Jahre immer lauter. Vor allem eine diesbezügliche Studie, die 2012 auf diversen Blogs veröffentlicht wurde, war der Gruppe ein Dorn im Auge. Nun hat ein Berliner Gericht in erster Instanz entschieden, dass die Studie allen Versuchen der Mumon-Kai zum Trotz, sie verbieten zu lassen, bleiben darf. Und in dem bahnbrechenden Urteil wurde noch viel mehr Haarsträubendes festgestellt.

So hatte Zernickow laut Gericht für die Gruppe eine sogenannte Unachtsamkeitskasse eingerichtet. Wer sich nicht an Vereinsregeln hielt, musste eine Mahngebühr entrichten. Bis zu 500 Euro soll der Leiter laut Erinnerung von ehemaligen Mitgliedern verlangt haben. Ab dem Frühjahr 2008 gab es eine vereinsinterne Schutztruppe, die immer ein Notfallhandy mit sich tragen musste. Ex-Mitglieder erinnern sich, dass diese mit Schlagstöcken bewaffnet wurde. Angeblich, um weibliche Mitglieder zu beschützen.

Im Rahmen von Therapiesitzungen hatte der vermeintliche Zen-Meister seinen männlichen Schülern zur Sterilisation geraten. Mit weiblichen Schülerinnen ist es bei den Sitzungen immer wieder zu sexuellen Aktivitäten gekommen. „Dein Thema ist die Hingabe – das Sich-Öffnen“, soll er dabei etwa gesagt haben. „Fang doch mal an und öffne dich doch mal.“ Der Leiter der Gruppe bestreitet das. Das Urteil wurde in erster Instanz gefällt und ist rechtskräftig.

Hinter dem sogenannten Zen-Meister steckt der 1940 in Deutschland geborene Dr. Klaus Zernickow. Er hat in Berlin Medizin studiert und betreibt eine Gynäkologie-Praxis in der deutschen Hauptstadt. Bereits seit 1976 ist er als Arzt tätig. Früh begann sich der Arzt auch für Zen zu interessieren. 1971 gründete er die „Erste Berliner Zen-Gemeinschaft“, Mumon-Kai. Laut Vereinshomepage sieht er in der ärztlichen Tätigkeit die Verwirklichung des Zen im Alltag.

Wenn Schüler oder Schülerinnen aus der Gruppe ausgetreten sind, hat Zernickow den Verbliebenen geraten, den Kontakt zu ihnen zu meiden. In der vereinsinternen Zeitschrift ließ er Passagen aus Texten von Mitgliedern ohne Rücksprache abändern. Mit der ärztlichen Schweigepflicht nahm er es wohl auch nicht so ernst: Über Themen und Inhalte von Therapiesitzungen hat er mit anderen Schülern offen gesprochen. Und von den Schülern hat er verlangt, dass sie Sitzkleidung, Kissen und Bücher von ihm kaufen müssen.

Dies und vieles mehr hat der Deutschkanadier Christopher Hamacher in der 2012 erschienenen Studie über Missbrauch im Buddhismus festgehalten. In seiner Analyse „Zen Has No Morals!“ wird das Verhalten von Zernickow als autoritär und selbstherrlich beschrieben. Hamacher ortet in den darin dokumentierten Zeugenberichten Machtmissbrauch verschiedener Natur.

Mumon-Kai

Zernickow selbst stritt das vehement ab. Die Studie beruhe auf unwahren Tatsachen, es habe keinen irgendwie gearteten Missbrauch gegeben. Bereits kurz nach Erscheinen der Studie erreichte er 2013 durch Klageandrohung, dass der persönliche Erlebnisbericht eines ehemaligen Mitglieds aus dem Netz genommen wurde. Dieser Bericht war überhaupt erst der Anlass für Hamacher, seine Studie zu schreiben. Dann war aber mehrere Jahre Stille. Doch im März 2020 bekam Hamacher eine Abmahnung – und mit ihm sämtliche Blogger, über deren Seiten die Studie verbreitet worden war. Die gesamte Studie sollte aus dem Netz entfernt werden.

Aber Hamacher dachte nicht daran. Er war sich seiner Sache sicher: Er konnte alle seine Behauptungen belegen. Seine Studie stützte sich auf Informationen der Leitstelle für Sektenfragen des Berliner Senats und auf diverse Zeugenaussagen, darunter die eidesstattliche Erklärung eines Betroffenen. Darin stellt er im Übrigen fest, dass er mindestens zwölf Frauen kenne, mit denen Zernickow im Rahmen von Therapiesitzungen sexuellen Kontakt hatte oder sie dazu aufforderte. Er gibt in der eidesstattlichen Versicherung außerdem an, er habe eine Erklärung mit seinem eigenen Blut unterschreiben müssen, in der er dem Meister ewige Treue schwor. In einer E-Mail gibt ein Zeuge an, dass sich Zernickow bei einer gynäkologischen Untersuchung von einer Patientin mit Sex bezahlen ließ.

Anders als die besagten Zeugen hatte Hamacher mehr Distanz zu dem Verein – und damit auch den nötigen persönlichen Freiraum, trotz Klageandrohung darauf zu beharren, dass die Studie öffentlich und „die Wahrheit auf Google findbar“ bleiben müsse, wie er sagt. „Es ist keine Herzensangelegenheit von mir, diese ganzen Gurus bloßzustellen“, stellt er klar. Es war viel eher ein Zufall, dass er überhaupt auf den Fall um Zernickow aufmerksam wurde.

Mumon-Kai

Selbst war er nie Teil von Mumon-Kai. Als Zen-Buddhist leitet er ein Zentrum in München. Mitte der Nullerjahre hat er in der Linie eines Zen-Meisters in New York praktiziert, Eido Shimano. Damals kamen Missbrauchsvorwürfe gegen Shimano auf. In einer ersten Reaktion wollte er das gar nicht glauben. Doch die Vorwürfe erhärteten sich. Er half dann dabei, ein Onlinearchiv zu gründen, in dem Betroffene sich zu Wort melden konnten. Über das Internet stieß Hamacher schließlich auf einen Bericht aus Deutschland, in dem Zernickow diverse Verfehlungen vorgeworfen wurden.

Der studierte Jurist beschloss, auch diesen Fall zu beleuchten, um andere zu warnen. Also veröffentlichte er 2012 seine Studie „Zen Has No Morals!“, die kurz darauf auch auf Deutsch auf diversen Blogs erschien.

Das war noch bevor die #MeToo-Bewegung weltweit Aufmerksamkeit auf missbräuchliche Akteure und Systeme lenkte. Im Buddhismus ist #MeToo spätestens mit dem Fall um Sogyal Lakar 2017 angekommen. Zweifelsohne schuf der Fall ein neues Bewusstsein für die Frage: Was dürfen buddhistische Lehrer, Gurus und Zen-Meister? Wann missbrauchen sie ihre Position? Wann spielen sie mit dem Unwissen ihrer Schülerinnen und Schüler? Wann nutzen sie unter dem Deckmantel von exotischen Philosophien die Faszination der Schülerinnen und Schüler, ihr Vertrauen und manchmal sogar ihre Körper zur eigenen Bedürfnisbefriedigung aus?

Im Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht wiege die Meinungsfreiheit schwerer.

Hamachers Studie verglich Shimanos Fall mit dem von Zernickow, ortete autoritäres Verhalten, finanzielle Ausbeutung und Missbrauch. Er zog den Schluss, dass Zen hierfür über eine latente Anfälligkeit verfüge. Doch durfte er das überhaupt? Durch Zernickows Klage musste sich nun ein Berliner Gericht mit dem Fall beschäftigen und kam zu dem klaren Urteil: Ja, durfte er. Seine Interpretationen und Beobachtungen seien laut Richter von der Meinungsfreiheit gedeckt. Im Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht wiege die Meinungsfreiheit schwerer, vor allem wenn es sich um Berufsausübung handle. Was Tatsachenbehauptungen in der Studie betrifft, so habe es der Kläger außerdem versäumt, konkrete Gegendarstellungen anzubieten.

Im Übrigen zog das Gericht den Titel Zernickows als „Zen-Meister“ in Zweifel: Es fehle an tauglichen Beweisangeboten für die Mönchs- und auch Meistereigenschaft von Zernickow.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 120: „Lebendiger Buddhismus"

UW120


Auf eine Anfrage von Ursache\Wirkung zur Stellungnahme reagierten die Gruppe und Klaus Zernickow nicht. Auf der Homepage des Vereins erschien aber Anfang 2022 ein Hinweis, der drei Vorwürfe aufgriff: Dass Zernickow ein Zen-Meister ist, könne „zweifelsfrei“ bewiesen werden. Was den Vorwurf der finanziellen Ausbeutung betrifft, so sei es viel eher der Fall, dass Zernickow insgesamt vierzehn Sitzhallen in verschiedenen Ländern ins Leben gerufen hätte und „für ihren Fortbestand finanziell Sorge getragen hat“. Auch habe er seine Mitglieder nicht ausgebeutet: Im Gegenteil, Zernickow habe einen „erheblichen Teil seines Vermögens“ zum Nutzen der Mitglieder aufgebracht. Auf Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs wird nicht weiter eingegangen.

Bereits kurz nach dem Urteil im Dezember machte die Gruppe auf der Homepage deutlich, wie sie zu dem Fall steht: Hamacher würde „unwahre Beschuldigungen“ ins Netz stellen. „Wäre Hamacher so groß, wie er unwahre Beschuldigungen ins Netz stellt, oder – bei völligem Unverständnis des ZEN – andere diskriminierende Informationen streut, dann könnte er dem Mann im Mond kniend die Hand reichen.“

Darüber kann sich Hamacher nur amüsieren. Mit dem Urteil ist er äußerst zufrieden. Er wolle einfach, dass niemand mehr auf Zernickow reinfällt. „Im Zeitalter des Internet kann jeder googeln“, erklärt er. „Wenn jemand irgendwelche Zweifel an Zernickow hat, wird meine Studie auftauchen. Und das muss so bleiben.“

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Dr. Anna Sawerthal

Dr. Anna Sawerthal

Dr. Anna Sawerthal ist Tibetologin und Journalistin. Sie studierte in Wien, Nepal, Lasha und Heidelberg. Sie lebt in Wien.
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