Im März fand in Bhutan der ‚Vajrayana-Gipfel‘ statt. Die Diskussionen drehten sich um die Stufen zur Erleuchtung, um Romantik und die Rolle der Frauen im Buddhismus.
Metsal Wangmo und Jagyür Dorje sind ein buntes Paar, egal, ob in Bhutan oder im Westen. Der Brite und die Britin tragen beide reinweiße Kleider mit blitzblauen und roten Oberteilen, beide haben langes Haar. Bevor sie ihren Vortrag beginnen, bedankt sie sich bei ihm, ihrem Lehrer. Und er bedankt sich bei ihr, seiner Lehrerin. Gemeinsam leben sie das, über das sie gleich sprechen werden: ‚Vajra Romance‘. Im Vajrayana-Buddhismus, in Tibet entstanden und im Himalaya verbreitet, nimmt der Lehrer eine wichtige Rolle auf dem Erlösungsweg ein. Der Guru soll angemessene Herausforderungen und Aufgaben stellen, um den Schüler voranzubringen.
Die zwei Briten möchten als Paar zeigen, dass dieses spezielle Verhältnis nicht unbedingt im zölibatären oder gar monastischen Kontext stattfinden muss. Die beiden sind Laienpraktizierende, die sich auf eine Tradition berufen, die von Lehrern seit dem 19. Jahrhundert an Schüler weitergegeben wurde. Sie haben Gelübde abgelegt, darunter aber eben keine zölibatären. ‚The History and Practice of Vajra Romance: Relationships and Vajrayana Principles‘ heißt der volle Titel ihres Vortrags, mit dem sie eine Lanze für Laienpraktizierende brechen. Dass die Mönche sie damit nicht ganz ernst nahmen, sorgte für Ärger – und offenbarte die Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Buddhismus in Asien und im Westen heute.
Thimphu, die Hauptstadt Bhutans, Ende März. Einige hundert Menschen versammelten sich drei Tage lang auf den Gründen der Royal University of Bhutan. Etwa die Hälfte von ihnen reiste aus der ganzen Welt an, ein weiteres Viertel der Besucher waren Mönche und Nonnen. Es ist das zweite Mal, dass das Centre for Bhutan Studies gemeinsam mit dem Royal Institute of Gross National Happiness zum Gipfel der bhutanischen Staatsreligion ruft. Für das ‚einzige Vajrayana-Königreich in der Welt‘, wie viele Sprecher betonen, ist die Konferenz ein Staatsakt. Premierminister Tshering Tobgay eröffnete den Reigen an Präsentationen und nutzte die Gelegenheit, das revolutionäre Konzept des ‚Bruttonationalglücks‘ auch für Unternehmen vorzustellen. In Zukunft wird im kleinen Land im Himalaya nicht nur der Staat selbst nach dem Glücks-Maßstab gemessen, sondern auch Unternehmen.
In Bhutan sind Politik und Religion eng verwoben. Das wird bei der Konferenz klar. Die Granden des monastischen Establishments waren geladen. Mönche eröffneten die Konferenz mit bunten Ritual-Tänzen, vor der Halle stellten vier Mönche geduldig ein Sand-Mandala her. Der ganze Konferenzsaal war zu einem Tempel umdekoriert: Thangkas hingen an den Wänden, bunte Behänge von den Decken, ein Altar stand auf der Bühne.
Wenn das politische Establishment von Religion spricht, dann meint es bestimmte monastische Traditionen.
Alles, was im monastischen Bhutan Rang und Namen hat, nahm über die drei Tage auf einem Thron auf dem Podium Platz und referierte über seine Interpretationen des monastischen Buddhismus. Und dieser hat nicht nur Schnittmengen mit dem, was Metsal und Jagyür referierten. Im Buddhismus gehe es um graduelle Erleuchtung, um den Stufenweg, um Entsagung und nicht um ‚Romance‘, so der Tenor der Mönche. Die Paar-Belehrungen von Metsal und Jagyür finden tatsächlich keine Anwendung im Kloster. Im Westen jedoch locken gerade diese Praktiken viele Menschen an.
„Vajrayana ist kein Witz.“
Drikung Kyabgon Chetsang Rinpoche
„Nur wenige wissen, welcher mächtige Schlüssel romantische Liebe ist, um Leerheit zu verstehen“, lassen Metsal und Jagyür wissen. Shubham Arora von der Nalanda Universität in Indien ging in seinem Vortrag über tantrische Aphrodisiaka noch weiter: Der Text, den er studierte, liest sich wie ein zweites Kamasutra, er beschreibt sexuelle Praktiken in grafischen Details. Und er erinnert das Publikum: „Es waren Mönche, die diesen Text geschrieben haben.“ Auch wenn die Laientradition historisch aus einer Frustration über die monastischen Institutionen entstanden ist: Im Saal war spürbar, dass sich die Zeiten geändert haben. „Vajrayana ist kein Witz“, macht Drikung Kyabgon Chetsang Rinpoche seine Meinung über solche Ansätze deutlich. Dass das VajraPaar oder Arora ihre Vorträge alles andere als als Witz gemeint hatten, ging unter.
Fakt ist, dass die Laientradition heute auch in Bhutan stark ist. Neben 10.000 Mönchen gibt es im Land offiziell 1.600 Laienpraktizierende, so Karma Ura, Direktor des Centre for Bhutan Studies und Hauptorganisator der Konferenz. Und das sind bloß die offiziellen Zahlen. Zur Vajrayana-Konferenz kamen keine Vertreter. Die Mönche würden nur auf sie herabschauen, ließen manche ausrichten, erzählt Ian Baker, Ko-Organisator der Konferenz. „Das Problem ist, dass die Konferenz von Mönchen des Central Monastic Bodies vereinnahmt wurde“, attestiert er. „Wir sind hier quasi im Vatikan.“
Eine Revolution gab es aber doch. Überaus zahlreich erschienen Nonnen zur Konferenz, und zwar nicht nur als passive Zuhörerinnen, sondern als aktive Vortragende. Das war im patriarchalen Bhutan eine Premiere. Ani Kinley Dem stellte das Leben der historischen Nonne Gelongma Palmo vor. „Seid ihr wirklich bereit für Frauen im Vajrayana?“, wollte dann Barbara Morrison von der Utsunomiya University aus Japan wissen. Gelug-Mönch Khensur Geshe Jangchub Choeden erwiderte, dass Frauen ihren Platz einfach einfordern und nehmen müssten. Zumindest bei der Konferenz gelang das. Das Publikum war durchwegs begeistert.
„Es ist inspirierend, die Nonnen zu sehen“, meint etwa Lama Namgyal, der zu Fuß zur Großveranstaltung gekommen ist. Er zeigt auf die Spitze eines Berges, der hoch über Thimphu thront. Dort oben auf 4.000 Metern fahren keine Busse mehr. Stolz erzählt er, dass er dort ein Kloster leitet. Die jungen Mönche, die in seine Obhut kommen, werden nicht geschlagen. Gewalt in der Erziehung ist sonst Standard in Bhutan. Der Erfolg gäbe ihm recht, sagt er. Begonnen hat er mit fünf Mönchen, heute zählt sein Kloster 100 Bewohner.
Diese und andere Geschichten zeigen, dass im Klosterwesen in Bhutan vieles im Argen liegt. Tashi Zangmo etwa bestätigt, dass auch Missbrauch ein Problem ist. Ihre Organisation ‚Bhutan Nuns Foundation‘ hat es sich zum Ziel gesetzt, Nonnen zu unterstützen. Aus westlicher Sicht brennende Themen fanden wenig Platz. In einer Diskussionsrunde sagte ein Teilnehmer aus Bhutan: „Ich habe das Gefühl, dass im Westen die HoneymoonPhase für den Buddhismus vorbei ist.“ Tatsächlich geriet der Buddhismus in den vergangenen Monaten im Westen immer wieder in die Schlagzeilen: In Myanmar und Sri Lanka verüben Mönche im Namen des Buddhismus Gewalt. In Dharma-Zentren im Westen nützen Lehrer ihre Guru-Stellung und das Unwissen der Neulinge aus und missbrauchen ihre Schüler.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 104: „Wie Gelassenheit geht"
Ist der ‚Honeymoon‘ nun vorbei? Auf die Frage gab es keine konkreten Antworten. Den bhutanischen Würdenträgern fiel es sichtlich schwer, das Problem zu verstehen, geschweige denn ernst zu nehmen. Einig war man sich, dass der buddhistische Weg Schritt für Schritt zu erfolgen hat. Der tantrische Weg müsse mit einem fundierten Basisstudium betreten werden. Am Ende kam noch einmal Premierminister Tshering Tobgay auf das Podium. Unter Applaus gab er bekannt, dass er das Budget, um eine weitere Vajrayana-Konferenz nächstes Jahr abzuhalten, bereits abgesegnet hat. Ob seine Idee, eine internationale Vajrayana-Organisation zu gründen, Früchte tragen wird, bleibt abzuwarten.
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