Von der "Kampfmaschine" zum friedlichen Buddhisten. ‚Ex-Pate' Richard Steiner erzählt im Interview mit Ursache\Wirkung wie aus dem ehemaligen Rotlichtboss und Fremdenlegionär ein Buddhist wurde, der sein ganzes Leben von Grund auf änderte, damit keine andere Kreatur wegen ihm leiden muss.
Sie waren jahrelang Boss des Wiener Rotlichtmilieus und haben durch Ihre Aktivitäten den teuersten Strafprozess in der österreichischen Geschichte verursacht. Nach über 24 Monaten Haft wurden Sie jedoch in den wesentlichen Anklagepunkten freigesprochen. Wie kam es dazu?
Ich habe nie angestrebt, ein Unterweltboss zu werden, es hat sich so ergeben und ich habe das Beste daraus gemacht. Bevor mein Aufstieg in der sogenannten ‚Unterwelt' begann, war die Szene ein gefährliches Pflaster. Attacken, Messerstechereien oder auch Schlimmeres waren keine Seltenheit. Ich habe damit radikal aufgeräumt und für Recht und Ordnung bei uns im Gewerbe gesorgt. Wenn es in meinen Kreisen Probleme gab, sind die Menschen zu mir gekommen, statt zur Polizei zu gehen. In meiner Zeit gab es keine Toten oder Schwerverletzten und auch keine Waffen. Ich habe versucht, für Ethik zu sorgen. Das hat dem Staat natürlich gar nicht gefallen, dass die Menschen nicht mehr zur Polizei gehen, sondern gleich zum Richard Steiner.
„Ich habe damit radikal aufgeräumt und für Recht und Ordnung bei uns im Gewerbe gesorgt."
Dies hat dazu geführt, dass Ihnen der Prozess wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung gemacht wurde.
Ich wurde angeklagt wegen Bildung eines sogenannten ‚Staates im Staat'. Ich habe in meiner kleinen Welt für Recht und Ordnung gesorgt und das war dem österreichischen Staat nicht recht. Ich wurde damals als ‚Staatsfeind Nummer 1' tituliert. Schlussendlich wurde ich dann lediglich wegen einer leichten Steuerhinterziehung verurteilt, bekam aber trotzdem eine drakonische Strafe.
Sie waren zwei Jahre im Gefängnis und hatten einen spektakulären Prozess durchzustehen. Wie ging es Ihnen in dieser Zeit?
Damals habe ich eine sehr tiefe Kraft aus dem Buddhismus geschöpft. Ich bin ein stoischer Buddhist und als Stoiker und Buddhist ist man ein Gerechtigkeitsfreund. Man beugt sich niemals und schon gar nicht einem ungerechten Regime. Daher konnte mich auch die Zeit im Gefängnis nicht einschüchtern, denn ich werde bis zum Schluss das Wahre reden und das Rechte tun. Die Unterwelt habe ich ja schon, bevor ich verhaftet wurde, verlassen. Jedenfalls hat der Prozess dazu geführt, dass ich auf das Gröbste diffamiert wurde.
„Ich habe versucht, für Ethik zu sorgen."
Wie stehen Sie heute zum Rotlichtmilieu? Haben Sie noch Kontakt oder ist es nur noch ein Teil Ihrer Vergangenheit?
Es ist Teil meiner Vergangenheit, aber ich kenne noch viele Menschen dort. Auch im Rotlichtmilieu gibt es wirklich gute Menschen mit Handschlagqualität.
Wie kamen Sie überhaupt zum Buddhismus?
Nun ja, eigentlich kam ich durch Dostojewski zum Buddhismus. Meine ersten Erfahrungen mit Dostojewski haben mich so bewegt, dass ich begann, mich mit der Bibel auseinanderzusetzen. In der Bibel fand ich jedoch nicht die Antworten auf meine brennenden Fragen und im Zuge meiner Suche nach Antworten bin ich dann irgendwann auf den Buddhismus gestoßen.
„Man beugt sich niemals und schon gar nicht einem ungerechten Regime."
Verena Pichler im Gespräch mit Richard Steiner.
Menschen im Gefängnis wenden sich immer wieder dem Buddhismus zu. Woran, glauben Sie, liegt das?
Im Gefängnis hat man viel Zeit zur Selbstreflexion und zur Kontemplation. Schlussendlich bereut man meistens seine Taten. Es ist jedoch oft nur ein temporäres Bereuen. Ich halte von diesem Bereuen nicht viel. Oft ergibt sich der Wandel nur, weil man im Gefängnis vollkommen auf sich alleine gestellt ist. Daher begibt man sich auf die Suche nach etwas Neuem, das einem Halt gibt. Im Gefängnis wendet man sich der Religion zu, doch wenn man wieder frei ist, ist man derselbe wie vorher. Wenn man sich jedoch wirklich radikal ändern will, dann muss man auch alles verändern, sein Inneres, seine Haltung, einfach alles. Mein Ziel ist es, ein besserer Mensch zu werden, und ich bin noch lange nicht angekommen.
Es gibt im Buddhismus heilsame und unheilsame Tätigkeiten. Kann man im Rotlichtmilieu überhaupt heilsam arbeiten?
Natürlich kann man auch dort heilsam arbeiten. Ich habe in diesem Milieu viele Mädchen abgefangen und zurück auf den richtigen Weg gebracht. Ich habe manchen sogar Geld gegeben, damit sie gehen und etwas Anständiges machen. Ohne Anstand und Vernunft kann man nicht zufrieden werden, egal, ob als Zuckerbäcker oder als Rotlichtchef.
„Mein Ziel ist es, ein besserer Mensch zu werden, und ich bin noch lange nicht angekommen."
Haben Sie schon, bevor Sie Buddhist wurden, versucht, ethisch zu handeln?
Ich war fast mein ganzes Leben lang in einem sehr gewalttätigen und traurigen Umfeld zu Hause. Egal, ob im Krieg, davor oder später im Rotlichtmilieu. In diesem sozialen Umfeld kann man sich leider oft nur mit Gewalt behaupten. Was anderes hatte ich ja auch nie gelernt. Trotzdem hatte ich immer schon einen sehr hohen Gerechtigkeitssinn und auch Hilfsbereitschaft. Mit meinem heutigen Leben als Buddhist hat das natürlich nur sehr wenig zu tun, trotzdem habe ich, wo immer es geht, versucht, den Umständen entsprechend ethisch zu handeln. Mein echter Wandel begann dann mit Dostojewski, Dalai Lama und den anderen Philosophen. Von da an hat sich mein Leben wirklich verändert, ich wurde, wenn Sie so wollen, vom ‚Saulus zum Paulus'.
Sie erwähnten, dass Sie früher sehr gewalttätig waren, wie vereinbaren Sie das mit Ihrem heutigen Lebensstil?
Es tut mir natürlich weh. Ich versuche, mich bei den Leuten, denen ich Gewalt angetan habe, zu entschuldigen. Diese Menschen sind leider durch die Gewalt, die von mir ausging, das ganze Leben traumatisiert. Ich würde ihnen gerne helfen, es irgendwie zu verarbeiten. Natürlich will ich auch mein Karma reinigen.
„Natürlich will ich auch mein Karma reinigen."
Den Buddhismus kann man sehr religiös sehen oder auch als Philosophie, Ethik oder Lebensanleitung. Welcher Zugang ist Ihrer?
Der Buddhismus ist mein Lebensstil beziehungsweise meine Lebensaufgabe. Es ist ganz klar, der Buddhismus gibt keine Dogmen vor, sondern Antworten. Ich bin sehr dankbar für die Weisheiten, die ich im Buddhismus finde, ich sehe diesen jedoch nicht religiös.
Waren Nächstenliebe und Mitgefühl schon immer ein wichtiger Teil Ihres Lebens oder entwickelte dieser sich erst mit dem Buddhismus?
Ich habe diesen Kern schon immer in mir gehabt. Mitgefühl und Nächstenliebe gegenüber Menschen, aber auch gegenüber Tieren, ist sehr wichtig für mich. So spielt die vegane Ernährung auch in meinem Leben eine zentrale Rolle. Für mich ist jede andere Ernährungsform Tierquälerei. Ich sehe auch das Melken einer Kuh als eine Tierquälerei an. Ich konnte Tieren nie ein Leid antun. Ich habe Menschen geschlagen, ich war eine Waffe, aber ein Tier konnte ich nie verletzen.
„Der Buddhismus ist mein Lebensstil beziehungsweise meine Lebensaufgabe."
Sind Sie durch den Buddhismus vegan geworden?
Ich habe fast gleichzeitig mit der veganen Ernährung angefangen und mich dem Buddhismus zugewandt. Richtige Ernährung ist mir ein großes Anliegen. Wir zerstören durch die Massentierhaltung unsere Umwelt, quälen Tiere und vernichten uns im Endeffekt dadurch selber. Tolstoi sagte auch: „Solange es Schlachthöfe gibt, wird es auch Schlachtfelder geben."
Was bedeutet Glück für Sie?
Glück ist relativ. Für mich ist Zufriedenheit wichtiger als Glück. Dem Glück nachjagen macht nicht glücklich. Wenn man anständig lebt, wird man automatisch zufrieden.
„Dem Glück nachjagen macht nicht glücklich."
Wenn Sie an Ihre Kollegen von damals denken, kann es sein, dass da jemand den Kopf schüttelt und sagt: „Der ist jetzt total verrückt geworden."?
Ich bin zwar Buddhist, bin aber noch immer körperlich sehr fit. Da würde es zuerst zumindest eine Verwarnung geben (lacht).