Der Vorteil von Auszeiten ist ja unter anderem, dass man lernt. Und das muss gar nichts Großartiges sein, wenn auch etwas Großartiges daraus resultieren kann.
Während meines Urlaubs ist etwas eingetreten, was ich für unmöglich gehalten hätte: Ich habe mich tatsächlich in den Bergen entspannt. In den sozialen Medien stünde an dieser Stelle nun dieses Emoticon, das sich den Kopf hält und ein Gesicht macht, als wäre es Edvard Munchs „Der Schrei“ entsprungen. Ich bin sicher, Sie kennen das. Meint: absolutes Entsetzen! Doch andererseits bin ich wirklich glücklich darüber, dass das Experiment derart gut funktioniert hat.
Was mir allerdings auch hier wichtig war: die Aussicht. Wenn Berge meinen Horizont beschränken, dann empfinde ich nach wie vor einen unbändigen Fluchtreflex. Jetzt könnten Sie sagen, dass Berge dazu da sind, sie zu erklimmen. Das überlasse ich gerne anderen, ich bevorzuge die entspannte Art des Anstiegs, und der erfolgt eben über Lift oder Auto. Und diese Einstellung hatte ich bereits vor meiner Raucherkarriere. „Papa, tragen!“ ist noch jetzt ein beinahe geflügeltes Wort, wenn zwischen meinen Eltern und mir Kindheitserinnerungen ausgetauscht werden.
Während ich also nun auf diesem Berg in einem unendlich paradiesischen Hotel gesessen bin, hatte ich ausreichend Zeit, um meinen Geist fliegen zu lassen. Wenn man in luftigen Höhen in der Sonne sitzt und außer zirpenden Grillen nichts hört, kehrt eine unglaubliche Ruhe ein. Und die Niederungen werden einem bewusst, vor allem die emotionalen. Ich bin ja der Meinung, dass wir uns selbst nie wirklich kennen, doch das Kennenlernen finde ich ziemlich spannend. Weil uns das dazu bringt, eine Entwicklung 24/7 mitzuverfolgen. Bei anderen passiert das ja immer nur in Zeitfenstern, mit uns selbst verbringen wir das ganze Leben. Und das Sitzen auf einer Bank mit Blick über ein weites Tal befördert eine Bestandsaufnahme der emotionalen Befindlichkeit ungemein.
Während das Meer, das ja bislang meine bevorzugte Reisedestination war, vielfach Gedanken, Sorgen oder sonstige Malaisen wegzutragen pflegt, ermöglicht die entgegengesetzte Richtung einen Überblick. Gibt es außer besagter Grillen keine sonstigen Reize, die einen zerstreuen, fällt das Wesentliche umso mehr ins Gewicht. Das, was dem Leben Sinn gibt oder geben könnte, wenn man es nur zulässt. Oder vielleicht auch, dass der bisherige Sinn des Lebens gar nicht mehr stimmt. Weil eben eine Entwicklung stattgefunden hat, die man in der alltäglichen Getriebenheit noch nicht wahrnehmen konnte.
In der Abgeschiedenheit eröffnen sich ganz andere gedankliche Möglichkeiten. Weil man den Luxus genießen kann, sich wieder zu entdecken. Durchzuatmen und dabei vieles loszulassen, was beschwert, ohne dass man sich dessen bewusst war. Und während man den Grillen beim Springen zuschaut, kommt die Idee plötzlich daher, dass man ja auch hüpfen könnte. An Ort und Stelle, aber auch aus Gewohnheiten und Konditionierungen heraus, die einem nicht mehr entsprechen. Dabei entsteht ein weiter Raum, den man neu besetzen und einrichten kann. Oder einfach nur dessen Weite und Leere genießen kann.
In dieser Weite treffe ich Aris, den griechischen Gärtner. Ich habe es nicht so mit Griechenland, war auch noch nie dort, denn als ich mit 16 hin wollte, durfte ich nicht. Und als ich konnte, war es schon überlaufen. Aris betreibt ein Hotel in Athen, das aber mehr Geld braucht, als die Touristen zahlen. Also arbeitet er im Sommer in den österreichischen Bergen und bringt den Hotelgarten samt Gemüsebeeten in Ordnung. Er ist erstaunt, dass ich seine Heimat noch nie besucht habe und schreibt mir eine Liste mit Inseln, die ich unbedingt sehen sollte. Weil sie eben nicht übervölkert sind. Und in meiner inneren Weite denke ich, dass ich diesen Wink nie wahrgenommen hätte, würde ich noch in meinen Konditionierungen stecken. Die Wahrscheinlichkeit ist also groß, dass mein nächstes Ziel Griechenland ist. Sie werden es erfahren.