Wie in vielen Bereichen des Lebens gibt es auch beim Meditieren kein eindeutiges ‚Richtig‘, aber viel ‚Falsch‘. Meine – nicht abgeschickte – E-Mail an einen Freund beschäftigt sich mit der Antwort auf seine in einer E-Mail gestellte Frage: „Wie meditiere ich richtig?“
Lieber Sebastian,
schön, von Dir zu hören! Deine Frage kommt für mich überraschend, denn bis jetzt dachte ich, Du interessierst Dich nicht für Meditation. Andererseits erstaunt es mich auch wieder nicht. Denn ich weiß, wie viel Stress Du in der Firma hast. Bei unserem letzten Spaziergang hast Du mir erzählt, dass Du oft bis 8 Uhr am Abend im Büro bist und häufig schon am Sonntag ins Flugzeug steigst, um am Montag bei Verhandlungen vor Ort zu sein. So lange wie Du schon in diesem Hamsterrad steckst, ist das der direkte Weg zum Burn-out.
Erst vor kurzem habe ich in einem Magazin einen Artikel über Stress und Burn-out gelesen. In diesem wurde Meditation zur Stressbewältigung empfohlen. Jetzt meinst Du, Meditation könne auch Dir helfen, und willst wissen, wie man ‚richtig‘ meditiert.
Gleich mal vorneweg: Ich weiß es zu schätzen, dass Du mich fragst. Andere surfen im Internet und laden sich eine Anleitung herunter. Das kann auch schiefgehen, denn nicht für jeden ist jede Anleitung die richtige. Andererseits ist die Art, wie Du Meditation lernen willst, nämlich als so eine Art Quick-Fix-Anleitung über Telefon, auch typisch für unsere Zeit.
Wenn Menschen in der Vergangenheit in Japan Zen lernen wollten, mussten sie Mönche oder Nonnen werden. Sie warteten drei Tage lang vor der Klostertür – ob bei Hitze oder Schnee – und wurden wieder und immer wieder abgelehnt. Erst am Ende des dritten Tages, wenn sie Durchhaltevermögen bewiesen hatten, wurden sie eingelassen. Denn ohne Durchhaltevermögen braucht man Zen gar nicht zu beginnen.
Du fragst mich in der E-Mail, wann wir telefonieren können, damit Du in ein paar Minuten die Essentials lernen kannst.
Ich kann Dir gerne einiges erklären, doch rate ich Dir, Dir einen guten Lehrer oder eine gute Lehrerin zu suchen. In einer Großstadt wie München wirst Du sicherlich jemanden finden, der passt.
Warum? Im Zen lernt man nicht aus Büchern und nicht aus dem Internet. Diese Art der Wissensvermittlung wird bei uns in Europa im Allgemeinen überschätzt. Wenn Du Dir ein E-Book ‚So meditiere ich richtig‘ herunterladen würdest, wäre es so, wie wenn Dir jemand eine Speisekarte mailt, wenn Du hungrig bist. Gehst Du direkt zu einem guten Koch, wird er Dich fragen, ob Du Vegetarierin bist, ob Du gerne Steaks isst und Ähnliches. Der Vergleich hinkt zwar etwas, doch eine gute Lehrerin wird Dir eine Einführung geben, Du wirst Fragen stellen können und sie wird erspüren, wie es Dir bei der Meditation geht.
Möglicherweise brauchst Du eine spezielle Übung, denn jeder Mensch ist anders. Vergangene Erfahrungen schlagen sich in Deinem Atemrhythmus nieder, verstörende Bilder können auftauchen oder hemmende Gedanken. Da brauchst Du jemanden, dem Du vertrauen kannst und der die nötige Erfahrung hat, Dich auf einen guten Weg zu leiten. Wenn Du Dich für einen Lehrer entschieden hast, dann zögere nicht, mit ihm oder ihr zu sprechen, sobald Fragen oder Zweifel auftauchen. Allerdings lernst du viel, indem Du Deine Lehrerin beobachtest. Nur ein Bruchteil wird durch Worte gelehrt. Auch gibt es meist kein Kurssystem wie in anderen Bereichen des Lebens. Sondern Du gehst quasi in eine Lehre. Manches wird Dir erklärt werden, anderes musst Du selber erkennen.
Neben dem Lehrer ist eine Gruppe wichtig. In eine Gruppe gehst Du ein- oder zweimal in der Woche zum Meditieren. Da alle auf dem gleichen Weg sind, ist schon die Anwesenheit Gleichgesinnter eine gegenseitige Motivation. In einer Gruppe zu meditieren ist einfacher. Nicht nur, weil es alle machen, sondern weil die Konzentration im Raum größer ist und diese Dich dabei unterstützt. Wenn Du Dich mit anderen nach der Meditation unterhalten willst, ist es ok, wenn Du für Dich bleiben willst, ist es auch ok. In manchen Gruppen gibt es die Übereinkunft, dass die Teilnehmer vor und nach der Meditationseinheit schweigen. Meistens gibt es auch Vorträge des Lehrers, die Dir weitere Einsichten vermitteln können. Suche Dir eine Gruppe, die Dir sympathisch ist, sodass Du gerne hingehst. Das wird Dir helfen, an Deiner Meditation dranzubleiben.
Meditiere täglich. Meditieren ist nicht nur eine Sache des Geistes, sondern auch des Körpers.
Erinnerst Du Dich? Als Du vor fünf Jahren angefangen hast, zusätzlich zu Deinem Lauftraining auch noch Krafttraining zu machen, warst Du am Anfang ziemlich demotiviert. Deine Arme waren schwach und Du hast in der ersten Woche keinen Fortschritt bemerkt. Doch erinnere Dich, als wir damals vier Wochen später an einem heißen Sommertag in Deinem Garten gesessen sind. Da hast Du mir stolz gezeigt, wie Dein Bizeps sich entwickelt hat. So ähnlich ist es auch mit dem Meditieren. Gib Dir Zeit und erwarte keine schnellen Ergebnisse. Denn so wie beim Sporttraining ist der Anfang nicht leicht.
Möglicherweise werden Tausende Gedanken durch Deinen Kopf schwirren, Du wirst unruhig werden und Dir denken: „Wozu mache ich das? Ich kann es doch nicht. Macht das überhaupt Sinn?“ Setzt Du Dich aber jeden Tag zur gleichen Uhrzeit auf Deine Matte, dann lernen Dein Körper und Dein Geist, dass diese Praxis jetzt zu Deinem Leben gehört. Die Gedanken werden sich nach und nach beruhigen und Du wirst anfangen zu spüren, dass sich in Deinem Kopf und Deinem Körper Dinge verändern.
Nimm Dir am Anfang nicht zu viel vor. Beginne mit zehn oder 15 Minuten und steigere die Dauer erst später. Denn es werden Tage kommen, an denen Du es eilig hast. Dein innerer Schweinehund wird sich hundert Argumente einfallen lassen, warum Du gerade heute nicht meditieren kannst. Doch wenn Du Dir nur zehn Minuten am Anfang vornimmst, ist Dein Tagesablauf nicht massiv verändert. Wie lange es braucht, dass Deine neue Gewohnheit in Deinem Leben angekommen ist? Erst dann, wenn Du spürst, dass Dir wirklich etwas abgeht, wenn Du nicht meditierst. Es dauert, so haben Forscher herausgefunden, ungefähr zwei Monate, bis die Meditation Bestandteil Deines Lebens geworden ist. Dann kannst Du Deine Meditationszeit auf 25 Minuten oder sogar 45 Minuten steigern.
Wenn Du täglich meditierst, dann wirst Du merken, dass Dich Deine morgendliche Meditation den ganzen Tag begleitet – wie ein Lied, das Du am Morgen im Radio gehört hast.
Zum Schluss rate ich Dir noch eines: Sei gütig zu Dir selbst. Nur sehr wenige Menschen starten in die Meditation und lassen nie einen Tag aus. Als ich angefangen habe zu meditieren, blieb ich einige Wochen dran und dann hörte ich auf. Ich hatte zwar ein schlechtes Gewissen, aber der Alltag war stärker. Die Sehnsucht nach der Meditation war noch immer in meinem Herzen und sie blieb. Deshalb nahm ich ein halbes Jahr später wieder an einem Zen-Wochenende teil. Beim zweiten Mal waren es schon einige Monate, doch wieder flachte die Erinnerung ab und die Motivation, täglich zu meditieren, wurde weniger. Das ging über einige Zen-Wochenenden so, bis sich mein Körper mit jeder Zelle ‚erinnerte‘, dass er die Zen-Praxis braucht. Sie machte die Melodie des Tages.
Es macht also nichts, wenn Du wieder aufhörst. Bleibe trotzdem dran und fange immer wieder damit an. Vertiefe Deine Praxis durch ein ‚Retreat‘ (Sesshin) über drei, fünf oder sieben Tage. Das wird Dir helfen, neue Tiefen zu erschließen. ‚Richtig‘ meditieren heißt, immer wieder und immer länger zu meditieren. Es ist gut, wenn Du jetzt meinst, mit Meditation vor allem ein Mittel gegen Deinen Stress zu haben. Das kann ein Anfang sein. Du wirst jedoch erfahren, dass sie Dir einen Weg zur Fülle des inneren Seins erschließen wird.
Ich wünsche Dir das Beste!
Fleur
Weitere Artikel zu diesem Thema finden Sie hier.