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Neulich in der Großstadt. Ich weiß, wann ich wo sein soll, wie ich dorthin komme und was ich dort wie lange zu tun habe. Was wie ein Abfragen der journalistischen W-Fragen klingt, ist in meiner Welt Fokussierung. Das von anderen zu erwarten, stellt sich immer wieder als Fehler heraus.

Wir alle haben bei unserer Geburt einen relativ überschaubaren Zeithorizont zur Verfügung gestellt bekommen. Auch wenn die moderne Medizin diesen inzwischen immer weiter in Richtung Unendlichkeit zu schieben scheint, ist meine Generation doch noch eher befristet auf diesem Planeten. Ein Lebenserwartungsrechner hat mir kürzlich „88“ ausgeworfen, was im Prinzip noch ein ganzes, weiteres Leben bedeutet. Ich habe mich gefreut, vor allem, weil sich dieses Ergebnis TROTZ meines Raucherlasters ergeben hat. Doch das ist eine anderer Geschichte.

Auf jeden Fall: Ich bin wild entschlossen, dieses weitere Leben so positiv und erfreulich zu gestalten wie nur möglich. Erleben, was auf dem Weg liegt. Lernend verfolgen, was mich fasziniert. Gestalten, was diese Welt an Spielraum eröffnet. Und dazu gehört das Staunen über ein Spinnennetz ebenso wie das Perfektionieren von Bauchtanzen und das Unterstützen von Menschen, die andocken (wollen). Ich finde das alles gerade sehr an- und aufregend. Leben eben.

Um das alles zu erfüllen, muss ich allerdings aus dem Haus. Und da fängt das Gebremse schon an. Wenn ich meinen himmelblauen Flitzer aus der Einfahrt ruckelt, kommt bestimmt ein anderes Auto daher, das unbedingt und am liebsten gestern vorbei will. Das gleiche passiert übrigens, wenn ich heimkomme und dabei für zehn Sekunden die heimatliche Nebenstraße blockieren muss. Fahre ich mit dem Bus, musste ich heuer im sommerlichen Festspielstau registrieren, dass ich zu Fuß schneller in der Stadt gewesen wäre. Der kürzlich stattgefundene Tag der deutschen Einheit hat alles rundum so dicht gemacht, dass ich für normale fünf Minuten das Neunfache an Zeit gebraucht habe. Das Auto als Symbol von Freiheit? Ich hoffe, Sie hören mich lachen. Laut. Mit einem leicht hysterischen Unterton.

Befinde ich mich dann schlussendlich unter den Menschen, komme ich mir vor wie Melvin Udall in „Besser geht’s nicht“. Der auch keine geraden Wege gehen kann, weil immer irgendetwas in seinem imaginären Gehfluss liegt oder steht. Nicht, dass ich an einer Zwangsneurose leiden würde – ich möchte einfach nur ankommen. Doch auf geheimnisvolle Art und Weise werden mir grundsätzlich Menschen über den Weg geschickt, die es GAR NICHT eilig haben. Ich habe es ja auch nicht eilig, sondern nur meine eigene Geschwindigkeit. Weshalb mich meine Eltern daher immer wieder fragen, ob ich auf der Flucht sei. Nein, lieber Vater!

Einkaufen beispielsweise ist für mich eine praktische Angelegenheit. Ich brauche etwas, also gehe ich in das passende Geschäft und erwerbe es. In der Außenwelt allerdings bekomme ich verstärkt das Gefühl, dass Einkaufen gehen eine Freizeitbeschäftigung ist. Ein Hobby quasi. Statt sich die Natur oder Architektur anzuschauen, geht man shoppen – unabhängig, ob man etwas braucht oder sogar kauft. Schaufensterbummel hat man das früher genannt, und schon als Kind verfing sich bei mir der Sinn dahinter nicht. Die Parallele zu Katalogen und Werbeprospekten liegt auf der Hand: Bedürfnisweckung. Und statt Bedürfnisse im Voraus zu klären und sie dann gezielt zu befriedigen, scheint diese Klärung heute ein ständiger „work in progress“ zu sein. Überlegen im Gehen, quasi. Und das geht eben nur langsam. Zu langsam für mich.

Oder hängt das mit einer gewissen Ziellosigkeit zusammen? Dass man zwar „rausgeht“, aber im Grunde nicht wirklich weiß, warum? Weil es tausend Dinge zu tun und zu sehen gibt und man sich einfach nicht entscheiden kann oder will? Es stimmt schon: Das Gehen bringt etwas in Bewegung. Bei meinen täglichen Spaziergängen merke ich das immer wieder. Allerdings nur, wenn ich meine Geschwindigkeit selbst bestimmen kann. Wird sie „von außen“ beschränkt, gerate ich in Stockung. Auch innerlich. Und beginne mich zu fragen, ob kein Bewusstsein dafür vorhanden ist, dass unser Dasein viel Schöneres bereithält, als ziellos durch die Straßen zu wandeln. Ich bin auch manchmal eine Herumtreiberin und genieße das auch. Doch unter zwei Schritte pro Sekunde komme ich selten. Warum auch? Sehe ich dadurch weniger Reizvolles, Betrachtenswertes, Aufregendes? Mitnichten. Ein Blick in die Gesichter der Langsamgeher zeigt mir immer wieder: Wer einen halben Meter pro Sekunde bewältigt, ist richtig schlecht gelaunt. Verstehe ich. Nur bitte hinter mir, wenn's geht. Ich hab' noch ein ganzes Leben vor mir.

Claudia Dabringer

Claudia Dabringer

Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg mit allem, was zu einer Studentenzeit dazugehört. Mehrjährige Konzentration aufs Radiomachen, bis alles durchexerziert war und das Schreiben wieder im Kopf präsent wurde. Seitdem freie Journalistin und als Fachtrainerin & Schreibpädagogin...
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