Einen achtsamen und liebevollen Umgang mit sich und seinen Mitmenschen finden. Als menschliche Wesen kommunizieren wir ständig – mit anderen und auch mit uns selbst.
Wenn es im Leben nicht glatt läuft, sprechen viele innerlich mit sich eher schroff und wenig wertschätzend. Diese inneren Stimmen sind nur selten zufrieden und treiben uns an. Jede Unvollkommenheit wird mit beißenden Kommentaren bestraft, das löst oft Stress und schwierige Gefühle aus. „Wie kann man nur so blöd sein?“, „Das ist mal wieder typisch, alle anderen kriegen es hin, nur du nicht!“, „Heul hier nicht rum und reiß dich zusammen!“, „Na los, streng dich mal an, das geht doch noch besser!“ – kaum jemand würde einen guten Freund oder eine gute Freundin so zu „trösten“ oder zu motivieren versuchen, nachdem er beziehungsweise sie einen Fehler oder eine schmerzhafte Erfahrung gemacht hat. Eher würde man einer Person, die so mit einem spricht, die Freundschaft aufkündigen. Wie kommt es aber dazu, dass das oft der vertrauteste Weg der „inneren Kommunikation“ mit sich selbst ist? Wie kann man statt eines inneren Kritikers einen inneren Helfer in sich kultivieren?
Jon Kabat-Zinn, der Begründer des Mindfulness-Based Stress Reduction Programs (MBSR), sagte einmal in einem Interview, dass Achtsamkeit „Bewusstheit und Bezug“ gleichermaßen vereint. Es geht also nicht nur darum, bloße Aufmerksamkeit und Gewahrsein im gegenwärtigen Moment zu üben. Es geht auch darum, auf heilsame Art und Weise die Beziehung zum Leben, zu anderen und zu sich selbst zu gestalten: freundlich, nicht automatisch bewertend und mit Mitgefühl. Achtsamkeit ist also eine Grundvoraussetzung für einen freundlicheren Umgang mit uns selbst.
Von Paul Gilbert, der viele Jahre zum Thema Mitgefühl geforscht hat, stammt eine prägnante Definition von Mitgefühl: Es beinhaltet erstens eine Sensitivität gegenüber Leid in uns und anderen. Zweitens den Wunsch und das Bestreben, dieses Leid zu mildern oder zu verhindern.
Dabei lassen sich drei Richtungen unterscheiden, in die Mitgefühl fließen kann: von anderen zu uns selbst, von uns selbst zu anderen und von uns selbst zu uns selbst.
Achtsamkeit ist also eine Grundvoraussetzung für einen freundlicheren Umgang mit uns selbst.
Wo Achtsamkeit unsere Sinne öffnet und einen klareren Blick und Einsichten ermöglicht, weitet Mitgefühl unser Herz und eröffnet einen Weg, uns auf das Leiden, dem wir begegnen, zu beziehen. Herz und Geist lassen sich nicht trennen, und tatsächlich können auch Achtsamkeit und Mitgefühl nicht getrennt werden. Sie sind wie die beiden Flügel eines Vogels. Inzwischen gibt es einige Trainingsprogramme, bei denen Achtsamkeit und Mitgefühl im Mittelpunkt stehen, so auch beim Mindfulness-Based Compassionate Living Program, kurz MBCL. Dieses achtwöchige (Selbst-)Mitgefühlstraining wurde von Frits Koster und Erik van den Brink entwickelt. Das säkulare, nicht religiöse Programm wurde speziell für Menschen konzipiert, die bereits ein Achtsamkeitstraining wie etwa einen MBSR- oder Mindfulness-Based-Cognitive Therapy-(MBCT)-Kurs absolviert haben, und wird vor Ort oder auch online per Livestream unterrichtet. Wie bei MBSR/MBCT gibt es acht zweieinhalbstündige Module und eine extra Übungseinheit in Stille. MBCL enthält viele Möglichkeiten, Mitgefühl zu nähren und zu entwickeln und dabei gleichzeitig die eigene Achtsamkeitspraxis zu vertiefen.
Wie findet man einen Achtsamen Umgang mit seinen Mitmenschen?
MBCL kombiniert altes Wissen aus den kontemplativen Traditionen mit modernen Erkenntnissen aus den Neurowissenschaften, der Evolutionspsychologie, der Bindungstheorie, der positiven Psychologie und der dritten Generation der Verhaltenstherapie. Die Zahl der wissenschaftlichen Studien zum MBCL-Programm wächst und liefert vielversprechende Ergebnisse, sowohl im klinischen als auch außerklinischen Kontext, im Gruppen- und im Einzel- sowie im Onlinesetting.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 115: „Rede mit mir!"
Mitgefühl beinhaltet eine Sensitivität gegenüber Leid in uns und anderen.
Viele Teilnehmende berichten, dass sie im Laufe der Wochen in diesem Trainingsprogramm erkennen konnten, dass ihre eigenen Quälgeister innere Anteile sind, die ursprünglich unterstützend waren, inzwischen jedoch leider übers Ziel hinausgeschossen sind. Mitgefühl hilft, ihre guten Absichten zu fühlen und wertzuschätzen, auch wenn sie Leid verursachen. Auf diese Weise kann sich die Beziehung zu ihnen zum Positiven wandeln. Gleichzeitig ist es möglich, einen inneren Helfer oder eine innere Helferin zu kultivieren, der oder die uns motiviert und uns mit weisem, mitfühlendem Rat zur Seite steht.
Die Kernthemen im MBCL sind:
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Buchtipp: Christian Stocker, Jana Willms, Frits Koster und Erik van den Brink, Mitgefühl üben – Das große Praxisbuch Mindfulness-Based Compassionate Living (MBCL) Springer Verlag 2020
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