Sitzen, Gehen und Essen können zu etwas Besonderem werden. Unter Anleitung von Bhante Seelawansa wird in Wien das Hier und Jetzt zelebriert. Ein Schnuppersonntag.
Sonntagmorgen, 7:30 Uhr, die Straßen sind menschenleer, die Sonne scheint und die Luft ist noch kalt an diesem Frühlingstag in Wien. Im Westen der Stadt, schon eher am Stadtrand gelegen, im zweiten Stock eines strahlend gelben Gründerzeithauses befindet sich das Dhammazentrum Nyanaponika. Dort findet einmal im Monat ein ‚Tag der Achtsamkeit‘ statt.
Im Vorraum stehen viele Schuhe, Mäntel hängen auf den Kleiderständern und Taschen stehen auf dem Boden. Rechts davon befindet sich ein großer Tisch, auf dem alle von den Teilnehmern für das gemeinsame Frühstück mitgebrachten Speisen angerichtet sind. Daneben steht ein kleiner Korb für Dana – die freiwillige Spende. Die großen, alten Holztüren zum Meditationsraum sind geöffnet, davor liegen Hausschuhe. Telefone, Taschen und Schuhe müssen im Vorzimmer bleiben, ist auf einem Schild zu lesen. Im Meditationsraum selbst sind schon mehrere Reihen von weißen Kissen mit schwarzen Sitzkissen darauf aufgelegt. In der Mitte ist ein breiter Gang frei geblieben, vorne im Raum, unter einem Baldachin, ist ein Altar aufgebaut. Eine große Buddha-Statue wird umgeben von vielen blühenden Blumen, mehrere kleine Artefakte sind liebevoll angeordnet. Drei Kerzen brennen, dahinter steht ein kleines Foto von Bhante Bhaginda Maha Thero, dem Lehrer von Bhante Seelawansa, dem Leiter des Zentrums. Der Mönch Bhante Seelawansa ist ein bekannter buddhistischer Theravada-Lehrer, stammt aus Sri Lanka und lebt in Wien.
Das Hier und Jetzt lernen
Zehn Personen, ganz in Weiß gekleidet, sind zum Tag der Achtsamkeit gekommen. Sie sitzen im Meditationsraum und warten auf ihren Lehrer. Wolfgang, ein Musiker, der bei der Organisation von Veranstaltungen im Zentrum hilft, hat alle Teilnehmer per Mail im Vorfeld gebeten, in Weiß zu erscheinen. „Damit auch die Fotos des heutigen Tages besonders schön werden“, sagt er. Bhante Seelawansa betritt gemeinsam mit zwei weiteren Mönchen, die derzeit in Wien auf Besuch sind, wie er später erzählen wird, den Raum. Er nimmt rechts vom Buddha, unter einem Bodhi-Baum, Platz. Die zwei Mönche setzen sich vor ihn, dem Buddha zugewandt. Sie verneigen sich vor dem Buddha, dann begrüßt Bhante Seelawansa die Teilnehmer. Er erklärt, dass der Tag der Achtsamkeit dem Buddha, Dharma, der Lehre, und Sangha, der Gemeinschaft, gewidmet sei.
Der Tag beginnt mit einer Meditation. Alle sitzen schweigend mit geschlossenen Augen auf den Kissen, manche haben sich auch mehrere aufeinandergelegt, um es bequemer zu haben. Erst als Bhante Seelawansa nach circa einer halben Stunde wieder den Gong erklingen lässt, öffnen die Menschen im Raum die Augen. Zeit zum Frühstücken.
Gemeinschaft erleben
In einem großen Zimmer neben dem Meditationsraum wird in geschäftiger Stille ein Plastiktischtuch auf dem Boden ausgelegt. Das Essen – Brot, Marmelade, Käse, Gemüse und Müsli – wird aus dem Vorraum geholt und darauf angerichtet. Gläser und Teller werden aus der Küche gebracht und zu guter Letzt um das Tischtuch herum Matten aufgelegt. „Haben alle auch genug Platz?“, fragen sich die Teilnehmer, als sie die Meditationskissen auf den Matten platzieren. Und dann wird ein bisschen gerutscht und umgeschichtet, bis es geht.
Die drei Mönche nehmen am Kopfende Platz, Bhante Seelawansa in der Mitte, die anderen Mönche links und rechts von ihm. Bevor mit dem Essen begonnen wird, wird noch ein Gebet gesprochen, von einem Teilnehmer werden die Regeln des achtsamen Essens vorgelesen, welche in einem Bilderrahmen am Rande des Raumes auf einem kleinen Tisch liegen. Die Speisen werden herumgereicht, gesprochen wird nur, wenn es unbedingt notwendig ist, sonst isst jeder für sich, bewusst und schweigend. Als alle fertig sind, wird genauso schnell, wie aufgedeckt wurde, alles wieder weggeräumt. Das passiert ganz automatisch – die meisten sind nicht das erste Mal hier.
Im Laufe des Vormittags kommen immer weitere Teilnehmer hinzu – bis Mittag ist die Gruppe auf 18 Personen angewachsen. Ein kurzes Läuten an der Tür und eine weitere Person fügt sich fast unmerklich in die Gruppe auf den Meditationskissen ein. Meistens wird im Sitzen meditiert, mit einer Gehmeditation dazwischen. Immer wieder spricht Bhante Seelawansa über die Freude im Leben und in der Meditation. Er selbst in seiner orangen Mönchsrobe strahlt eine große Freundlichkeit und Ruhe aus. „Vergangenheit ist verlorenes Jetzt“, sagt er zum Beispiel lächelnd und betont, wie wichtig es ist, in der Gegenwart zu leben.
Vor dem Mittagessen spricht Bhante Seelawansa noch über Achtsamkeit beim Essen, für ihn ein Anlass, auch die Speisen wertzuschätzen. Er will der Gruppe bewusstmachen, wie viele Schritte es braucht, bis das Essen auf dem Tisch steht, er erinnert an die mühevolle Arbeit des Reisbauern auf dem Feld, die Sorgfalt bei der Ernte, aber auch an die Mühe all jener, die den Reis an diesem Tag für die Gemeinschaft hier zubereitet haben. Es herrscht absolute Stille im Raum – alle hören gespannt zu.
Dankbare Stille
Deshalb empfiehlt Bhante Seelawansa auch, in Stille zu essen, sich auf diese Tätigkeit zu konzentrieren, als Zeichen des Respekts für all die geleistete Arbeit. Da die Mönche zu Besuch sind, gibt es vor dem Essen noch eine Puja, eine Ehrerweisung an die Speisen. Eine kleine Gruppe hat, während die anderen meditierten, in der Küche die Speisen aufgewärmt. Zur Puja kehren sie zurück in den Meditationsraum, denn die Danksagung für das Essen will niemand versäumen. Die Speisen werden in kleinen Schüsseln mit einem Tuch abgedeckt zum Altar getragen. Auf dem Weg dorthin berührt jeder einmal die Speisen – als Geste der Dankbarkeit und des Respekts vor der Natur. Die drei Mönche rezitieren Gebete, während die Schüler mit gefalteten Händen zuhören oder die Worte nachsprechen. Den Abschluss macht ein gemeinsames Gebet, dann wird in derselben geschäftigen Stille wieder das Plastiktischtuch ausgelegt und die Speisen in Töpfen im Vorraum angerichtet. „Nicht vergessen, die Regeln des achtsamen Essens noch vorzulesen“, sagt ein Teilnehmer um die 40, bevor mit der Mahlzeit begonnen wird. Die Mönche essen diesmal getrennt in der Küche.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 108: „Anleitung zum Glücklichsein"
Nach dem Essen ist eine kleine Pause, manche ruhen sich aus, andere unterhalten sich leise. Monika, eine Mitorganisatorin, unterhält sich mit einer anderen Dame im Flüsterton über das kommende Retreat von Bhante Seelawansa und was dafür noch zu organisieren ist. Die meisten hier kennen sich. Um 14 Uhr machen sich alle fertig für den nächsten Programmpunkt, einen Spaziergang durch die Parkanlage des nahe gelegenen Schlosses Schönbrunn. Die drei Mönche in ihren farbenfrohen Roben gehen voraus, gefolgt von der Gruppe weiß gekleideter Teilnehmer. Die Sonne hat viele Menschen in den Park gelockt. Die ersten Blumen blühen schon und die Bäume sind in ein zartes Grün gehüllt. So manch Wiener Spaziergänger bestaunt die Gruppe, die Mönchsroben erregen Aufmerksamkeit. Umgekehrt ist es weniger so: Viele in der Gruppe sind in Gespräche vertieft. Ein Herr erzählt, wie er nach einer Krise durch den Buddhismus wieder Sinn und Halt im Leben gefunden hat. „Bhante Seelawansa ist nicht nur mein Lehrer, sondern auch ein Freund geworden“, sagt er.
Zum Abschluss folgt noch eine letzte Meditation. Die Gruppe hat sich wieder etwas verkleinert. Mit einem Ausblick auf zukünftige Veranstaltungen und einem Gebet wird der Tag beendet. Bhante Seelawansa verlässt den Raum, seine Schüler verbeugen sich vor ihm. Und sofort geht die geschäftige Stille wieder los, diesmal säubern alle gemeinsam den Raum, die Meditationskissen werden gestapelt und auch die letzten herumstehenden Gläser aus dem Vorraum in die Küche getragen. „Bist du Buddhistin?“, fragt eine Teilnehmerin beim Hinausgehen. „Nein, aber so ein Tag tut schon gut und ich komme immer wieder gerne her“, antwortet die andere, bevor sie sich in die Nachmittagssonne verabschiedet.
Fotos © Apollonia Bitzan
Seine gebündelten Vorträge- das beste in meiner Bibliothek.