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Achtsamkeit & Meditation

Wurzeln, Ärger, Schätze: Auf einem Waldspaziergang kann man vieles erleben, auch Dinge der anderen Art.

Schon wieder so ein Waldspaziergang. Also ich geh ja gern in den Wald. Die Bäume, die Natur und das alles. Weil ich bin ja sehr für die Natur. Auch sonst, und überhaupt. Und wie ich so geh, im Wald, haut mir – also da haut mir doch plötzlich einer von hinten einen Ast hinauf. Einen ganz dicken. 

„Au“, sag ich, „was is denn?“, dreh mich um, aber da ist niemand. Nur ein Baum, so ein fetter, der hat mit dem Ast ausgehaut. „Was is denn – was soll denn – warum haust mich du?“, frag ich ihn. „Ich hab dir nix getan! Gar nix!“
„Nix getan? Auf die Wurzeln bist du mir gestiegen! Glaubst du, das ist lustig, mit deinen fetten, dicken Treterschuhen?“
„Na, wenn du da deine Wurzeln mitten auf den Weg – und – Moment einmal – du kannst reden? Du bist ein Baum, der reden kann?“
„Natürlich kann ich reden. Alle Bäume können reden. Reden allerdings meistens nix G’scheites. Jammern dauernd über ihre Beschwerden, Baumschwamm, Borkenkäfer, die Äste gehen ihnen aus mit dem Älterwerden. Überhaupt die Alten. Die sind fast nicht zum Anhören.“
„Hab ich aber noch nie gehört, dass ein Baum redet.“
„Hast halt nicht g’scheit hingehört.“
„Und dich – wieso hab ich dann dich gehört?“
„Du hast ja mich angeredet. Nicht ich dich.“
„Und du hast dann zurück ... Also wenn das so ist, bist du dann ein Zauberbaum, oder so?“
„Na jaaa – also Zauberbaum, jetzt, wo du das sagst, also irgendwie Zauberbaum – eigentlich, wenn ich’s so bedenk, Zauberbaum klingt eh nicht schlecht – also Zauberbaum, ja, vielleicht eigentlich eh.“
„Na, dann zauber mir halt amal was G’scheites vor: Verzauberte Prinzessin, bist du vielleicht eine? Bist du vielleicht überhaupt ein weiblicher Baum mit ganz supertollen Formen und – weißt eh, und so?“
„Kann schon sein.“
„Und – muss ich dich jetzt vielleicht irgendwie erlösen, oder so, damit wir dann, ich mein, damit ich dann mit dir, also, weißt eh, na ja ...“
„Schäm dich. An was du schon wieder denkst.“
„Schämen? Ich? – Jetzt soll ich mich auch noch schämen, wo du mich immer haust? Da kannst mich aber gleich am Arsch lecken.“
„Irgendwie schwierig.“
„Was?“
„Na, deine Forderung. Das mit dem Herunterbiegen, in meinem Alter, und dann das mit der Zunge …“
„Aber nein, du bist ganz blöd. – Au, hau doch nicht schon wieder mit dem Sch... mit dem Ast …“
„Wenn du zu mir so grob bist, dann ...“
„Also nein, das mit dem Arschlecken, das war doch mehr so metaphorisch.“
„Metaphorisch? Was heißt das?“
„Mein Gott, jetzt weiß der nicht einmal, was metaphorisch heißt. Wie erklärt man einem Baum, was metaphorisch ist? Also metaphorisch, das heißt, das is ... also wenn man ... also wenn man was sagt und das heißt dann aber ...“
„Ganz was anderes?“
„Ja, irgendwie so.“
„Also ein anderes Wort für Lügen?“
„Aber nein, nicht, also ... irgendwie ... jetzt …“
„Drum habt’s ihr so viele Wörter fürs Lügen, damit sie euch nicht ausgehen, wenn ihr dauernd lügen tuts.“
„Blödsinn. Au! Hau nicht schon wieder, du, ich sag dir’s, ich komm mit der Kettensäge, wenn du mich dauernd ...“
„Das tät ich nicht. Ich trage schließlich goldene Früchte.“
„Was? Wie? Wo? Wo hast du goldene Früchte?“
„Heute kannst du sie nicht sehen. Aber wenn du morgen kommst, dann wirst du sie sehen. Lauter goldene Früchte.“
Also eigentlich hab ich ihn ja stehen lassen wollen, diesen depperten Baum, und vergessen, das Ganze, den ganzen saublöden Diskurs. Aber dann hat’s mich doch irgendwie interessiert, das mit den goldenen Früchten. Hab mir gedacht, wenn dann am Ende wer anderer daherkommt, wär’ doch auch wieder schad’, irgendwie. Bin ich halt doch am nächsten Tag wieder hin. Ist er dagestanden, wie wenn gar nix gewesen wär’. Und eh klar: Goldene Früchte? Keine Spur.
„Na, und wo sind sie jetzt, deine goldenen Früchte?“
„Jetzt kommst du daher, jetzt sind sie natürlich nicht mehr da. In der Morgensonne hättest du kommen müssen. Da wären sie alle da gewesen.“
„Das hast du aber gestern nicht gesagt.“
„Mein Gott, muss man euch denn wirklich alles erklären? Von selber verstehen sie wirklich gar nix, diese Menschen. Ein Irrtum der Schöpfung seid ihr.“

reden„Du – fangst du schon wieder an, mich zu beleidigen? Dann komm ich aber wirklich mit der Kettensäge.“
„Das tät ich nicht. Ich halt nämlich ein goldenes Schatzkästlein mit meinen Wurzeln fest.“
„Wo?“
„Heute kannst du es nicht sehen. Aber wenn du morgen kommst, dann wirst du es finden.“
Bin ich wieder nach Haus. Hab mir gedacht, noch einmal lass ich mich nicht pflanzen. Goldenes Schatzkästlein. Dass ich nicht lach. Aber am nächsten Tag dann, in der Früh, und geträumt hab ich auch von diesem blöden Schatzkästlein, hab ich mir gedacht, bevor es wer anderer findet, schaust doch hin. Bin ich also hin. Spaten hab ich auch mitgenommen, was weiß ma? Am End’ hat er wirklich …
„Na, und wo is es jetzt, das Schatzkästlein?“
„Unter meinen Wurzeln ist es versteckt. Musst nur graben.“
Hab ich also gegraben.
„Nicht, nein, das kitzelt! Aufhören!“, hat er gerufen.
„Also was jetzt? Wo ist denn jetzt das Schatzkästlein?“
„Darfst nicht so kitzeln, musst irgendwie anders graben, dass es nicht so – hach – nein, das kitzelt schon wieder! Aufhören! Aufhören!“
„So, also jetzt reicht’s aber“, hab ich gesagt. „Jetzt geh ich die Kettensäge holen und den Krampen, dann schneid ich dich um, die Wurzeln grab ich aus und dann werden wir sehen, was da los ist, von wegen goldene Früchte, Schatzkästlein und lauter so Kaas!“
„Das tät ich nicht!“, hat er gesagt. Hat aber jetzt schon so geklungen, wie wenn er sich fürchten tät, ein bissl. „Ich hab nämlich in meinen Blättern ein goldenes Prinzenkleid!“
„Prinzenkleid? Für mich? Ich Prinz, du Prinzessin?“
„Kann schon sein.“
„Und wo isses, das Prinzenkleid?“
„Heute kannst du es nicht sehen, aber morgen, wenn du kommst, dann wirst du es sehen.“
„Ja, ja. Pflanzen kannst du wen anderen, aber nicht mich. Zum dritten Mal!“
„Pflanzen? Welch interessantes Wort!“
„Ja, aber das erklär ich dir jetzt nicht auch noch.“
Dann bin ich abgehaut. Now it’s Kettensägetime. War ich ganz sicher. Hab gar nicht so gut geschlafen. Und am nächsten Tag dann hab ich sie gleich mitgenommen, die Kettensäge. Hab mir gedacht: „Find’t am End wer anderer das Prinzenkleid, wär’ ja doch auch wieder irgendwie blöd.“ Bin ich halt doch hin, aber gleich mit der Kettensäge, braucht er sich nix einzubilden. Na, was soll ich sagen? Natürlich wieder keine Spur von Prinzenkleid. Nix. Jetzt war ich aber wirklich ... also jetzt hab ich wirklich ... Hab ich gesagt: „Also pass einmal auf: Goldene Früchte – nix. Schatzkästlein – wieder nix. Prinzenkleid – schon wieder nix. Warum tust mich du die ganze Zeit verarschen?“
„Tu ich ja nicht“, hat er gesagt. Das mit den goldenen Früchten und mit dem Schatzkästlein und mit dem Prinzenkleid, das war ja nur metaphorisch.“
„Metaphorisch? Das hast du von mir, das Wort. Das ist ... das hat ... das kannst du gar nicht ... wieso überhaupt?“
„Ach, weißt du“, hat er gesagt, „ich wollte halt so gern, dass du wiederkommst.“
„Wieso?“
„Na, weil ich hab doch sonst niemanden zum Reden!“
„Und die ganzen anderen Bäume?“
„Aber die reden ja doch nur Schwachsinn, die ganze Zeit. Hab ich dir ja gesagt.“
„Und ich? Ich bin also gescheit?“
„Ja. Also jedenfalls gegen die Bäume, immerhin.“
„Du, pass einmal auf, ich sage nur: Kettensäge!“
„Nein, nein, du bist sehr, also du bist richtig gescheit! Du bist der gescheiteste Mensch, mit dem ich jemals gesprochen hab!“
„Na also. Geht doch. Ich bin also g’scheit. Kant, Schopenhauer und ich. Übrigens: Mit wie vielen Menschen hast du bis jetzt gesprochen?“
„Schmeiß deine Kettensäge weg, dann sag ich’s dir.“
Na ja, also was soll ich sagen? Für Kant hat sich der überhaupt nicht interessiert. Schopenhauer auch nicht. Rechnen, also nicht einmal die Grundrechnungsarten. Literatur, nix. Zu viel darf man halt nicht verlangen von einem Baum. Aber irgendwie ... wir haben uns halt doch gewöhnt aneinander. Und außerdem: Daheim in der Lade hab ich ja immer noch den Fuchsschwanz.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 106: „Handbuch Achtsamkeit"

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Dr. Anselm Eder, geboren 1947 in Wien, hat bis 2012 als Universitätsprofessor am Institut für Soziologie mit Forschungsschwerpunkten unter anderem in den Bereichen ‚Medizinische Soziologie‘, ‚Körpersprache als Beobachtungsfeld‘ und ‚Simulation sozialer Interaktionen‘ gearbeitet. Seit 2012 macht er alles andere.

Bilder © Pixabay

Dr. Anselm Eder

Dr. Anselm Eder

Dr. Anselm Eder, geboren 1947 in Wien, hat bis 2012 als Universitätsprofessor am Institut für Soziologie mit Forschungsschwerpunkten unter anderem in den Bereichen ‚Medizinische Soziologie‘, ‚Körpersprache als Beobachtungsfeld‘ und ‚Simulation sozialer Interaktionen‘ gearbeitet. Seit ...
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