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Achtsamkeit & Meditation

Der bekannte amerikanische Zen-Buddhist David Loy über Buddhismus und wie dieser uns helfen kann, zum Wohl aller Menschen zu handeln.

Was verstehen Sie unter zeitgenössischem Buddhismus?

Die Welt unterliegt einer ständigen Veränderung und genauso ist es auch mit dem Buddhismus. Jedes Mal, wenn der Buddhismus mit einer anderen Kultur in Berührung kommt, finden Interaktionen statt, was zu Veränderungen führt. So ist etwa in China der Zen-Buddhismus entstanden. Der Buddhismus ist im Westen, in der modernen und globalisierten Welt, angekommen. Ich würde sagen, es ist die größte Veränderung, die er je bewältigen musste. Es ist sehr spannend zu sehen, wie der Buddhismus darauf reagieren und zu welchen Veränderungen dies führen wird.

Welche Interaktionen finden derzeit statt?

Es kommt zu vielen wechselseitigen Interaktionen, etwa zu einem interreligiösen Austausch mit dem Christentum. Mit am einflussreichsten derzeit ist jedoch der Austausch mit der Psychotherapie. Es gibt viele westliche Psychotherapeuten, die auch praktizierende Buddhisten sind und die buddhistische Perspektiven und Praktiken, allen voran die Achtsamkeit, in ihre Arbeit einbinden. Die Achtsamkeit hat in den letzten Dekaden einen großen Aufschwung erlebt und wird in vielen Lebensbereichen integriert, wie etwa in Schulen oder bei psychischen Krankheiten.

Zeichnen sich schon neue Entwicklungen durch die Interaktionen ab?

Es entstand der sogenannte sozial engagierte Buddhismus, dem ich angehöre. Im traditionellen Buddhismus war das soziale Engagement etwas begrenzt, heutzutage hat sich dies gewandelt. Buddhistische Sozialeinrichtungen sind sehr wichtig geworden, etwa die Obdachlosenhilfe oder das Gefängnis-Dharma (Anmerkung der Redaktion: Unterstützung von Häftlingen durch Meditation und kontemplative Praxis im Gefängnis). In letzter Zeit beschäftigen sich viele Buddhisten nicht nur mit der Linderung des jeweiligen individuellen Leids, sondern auch mit dem System, in dem dieses Leid reproduziert wird, sowie mit den institutionalisierten und strukturellen Folgen. Eine weitere interessante Entwicklung ist das Ökologie-Dharma, in dem nach Lösungen für die ökologische Krise gesucht wird.

Glauben Sie, dass der moderne Buddhismus uns helfen kann, unsere sozialen Probleme zu lösen?

Ich glaube, der Buddhismus kann uns dabei unterstützen und Wichtiges zur Lösung beitragen. Im traditionellen Buddhismus wird oft von den ‚drei Giften‘ gesprochen, die man als Gier, Übelwollen und Verblendung bezeichnet. Ich glaube, eines unserer Hauptprobleme ist, dass wir die ‚drei Feuer‘ in unserem Wirtschaftssystem institutionalisiert haben. Wenn ich unter Gier verstehe, nie genug zu bekommen, und mir unser Wirtschaftssystem anschaue, dann wird genau das reproduziert. Wir sollen immer mehr konsumieren und die Firmen sollen immer mehr produzieren. Das ganze Wirtschaftssystem ist auf Wachstum aufgebaut und ohne Wachstum bricht es zusammen. Warum ist es unser Ziel, immer mehr zu wollen, wenn wir doch nie genug bekommen können? Auf diese Weise haben wir hier in den USA die Missgunst institutionalisiert. Zusätzlich vermehren die Medien die Verblendung. Das Hauptanliegen der Medien ist es, unsere Aufmerksamkeit an sich zu reißen und diese an die Werbung zu verkaufen. So verdienen sie ihr Geld. Die Medien werden unser Konsumverhalten nie infrage stellen, weil sie davon leben.
Die buddhistischen Lehren können uns eine andere Perspektive auf diese grundlegenden Probleme eröffnen. Viele Menschen haben das Gefühl, von anderen Menschen getrennt zu sein. Dieses Gefühl führt dazu, dass ihnen das Wohl anderer gleichgültig ist. Was aber, wenn wir nicht von anderen getrennt sind und unser Wohl zusammenhängt? Die überlieferte Aufgabe der Bodhisattvas ist es, dieses Getrenntsein aufzulösen.

Gilt das auch für unsere Umweltprobleme?

Ja, unsere Umweltprobleme fußen darauf, dass viele Menschen sich abgetrennt von ihrer Umwelt fühlen. Wir sehen die Umwelt nur als Ressource, an der wir uns nach Gutdünken bedienen können. Wir glauben, es habe keine Auswirkungen, wenn wir sie zerstören oder verschmutzen. Dies kommt daher, dass wir die Natur wiederum als abgetrennt von uns selbst betrachten. Ich glaube, die buddhistische Lehre könnte uns bei diesen Problemen helfen und mögliche Lösungen aufzeigen. Der Weg des Bodhisattvas hat zwei Aspekte, einerseits das Praktizieren, die Vertiefung, das eigene Erwachen, andererseits zu erkennen, dass wir nicht getrennt von anderen Menschen sind. Deshalb sollte es ganz selbstverständlich sein, sich mit Problemen wie der Umweltzerstörung und der Flüchtlingsbewegung auseinanderzusetzen.

Steht für viele Menschen, die sich dem Buddhismus zuwenden, nicht die Linderung ihres eigenen Leids im Vordergrund?

Viele Menschen kommen zum Buddhismus, weil in ihrem Leben etwas nicht stimmt. Anfangs sind sie oft sehr mit sich selbst beschäftigt, mit ihren eigenen Neurosen und Problemen. Sie wollen sich selbst heilen, denn dann, so glauben sie, würde das Drumherum auch gut. So ist es aber nicht. Wir leben in einer leidhaften Welt und viel Leid hat damit zu tun, wie unsere Gesellschaft organisiert ist. Der Weg des Erwachens bedeutet, dass wir auch sehen, was um uns herum passiert, und unsere Probleme nicht mehr losgelöst vom Rest der Welt betrachten.

Was bedeutet das zum Beispiel für die Situation im Nahen Osten?

Wir können uns gar nicht losgelöst von den Menschen im Nahen Osten betrachten, denn unser Wohl hängt mit dem Wohl der Menschen dort zusammen. Solange wir das verkennen, werden wir den Kreislauf aus Angst und Krieg nicht beenden. Die USA ist die am stärksten militarisierte Gesellschaft, wenn man nach den Ressourcen geht, die dafür aufgewendet werden. Wir haben das Übelwollen somit institutionalisiert. Wer so viele Ressourcen ins Militär steckt, muss ständig neue Feinde finden, um Kriege führen zu können. In dieser Situation befinden wir uns momentan.

Wie können uns die buddhistischen Lehren helfen, mit der Angst, die sich derzeit in Europa ausbreitet, umzugehen?

Jeder Einzelne wird verfolgt von Angst und ist ständig auf der Suche nach Sicherheit. Wir schaffen es aber nicht ausreichend, die Angst zu überwinden. Mit der buddhistischen Lehre kann man diese Angst, die aus dem Gefühl des Getrenntseins entsteht, überwinden und merken, dass jeder Einzelne nicht unabhängig vom Rest der Welt existiert. Nisargadatta sagte, wenn ich nach innen blicke und sehe, ich bin nichts, ist das Weisheit. Wenn ich nach außen blicke und sehe, ich bin alles, ist das Liebe. Das wahre Gegenteil von Angst ist Liebe. Ich kann mich jeden Tag zwischen Liebe und Angst entscheiden. Die Angst wird gewinnen, solange ich mich getrennt fühle und nur auf mein eigenes Wohlbefinden bedacht bin. Die Lösung ist es, sich als Teil der Welt zu sehen. Im Buddhismus reden wir von Mitgefühl, dies ist nur ein anderes Wort für Liebe. Wir sollten mal genau überlegen, wie viel Angst dadurch entsteht, dass wir uns als von den anderen getrennt wahrnehmen.

Wie wirkt sich diese Angst in der Welt aus?

Als Amerikaner schaue ich mir die Politik meines Landes im Nahen Osten an und kann verstehen, wie viel Mitverantwortung wir an der Entstehung des IS haben. Wir haben kein Problem, Angst und Schrecken im Nahen Osten zu verbreiten, den Irak einzunehmen und in Afghanistan die Bevölkerung mit Drohnen zu terrorisieren. Man könnte sagen, der Terror ist Karma, das jetzt zurückkommt und uns heimsucht. Europa ist geografisch wesentlich näher zum Nahen Osten. Ich glaube, es geht wieder darum, uns nicht getrennt vom Nahen Osten zu betrachten. Solange wir unser Wohl nicht von ihrem Wohl abhängig machen, wird es Terror geben. Wir können dem Leid nicht gleichgültig gegenüberstehen, wir müssen akzeptieren, dass wir eine Mitverantwortung haben. Jeder Einzelne soll nicht nur seiner Regierung gegenüber kritisch sein, sondern auch seine eigenen Beziehungen und seine eigenen Ängste betrachten. Die Lebensentscheidung besteht in der Wahl zwischen Liebe und Angst. Der Weg der Liebe ist nicht immer einfach und ungefährlich, aber es ist der Weg, den wir nehmen sollten.

David Loy

Warum spielen die Religionen in den aktuellen Konflikten der Welt eine so große Rolle?

Eine der aktuellen Herausforderungen besteht darin, wie sich die Religionen – und damit auch der Buddhismus – in der modernen Welt bewegen und mit den modernen Technologien und Kommunikationsmöglichkeiten umgehen. Alle Religionen sind stärker in Kontakt mit den anderen Religionen als früher und das ist eine große Herausforderung. Die Welt, wie wir sie sehen, ist ein psychologisches und soziales Konstrukt, das von Religionen beeinflusst wird. Wenn religiöse Menschen auf Menschen mit einer anderen Religion treffen, dann ist das eine Herausforderung an ihren religiösen Glauben und an ihre Ansichten. Früher hatte jede Religion ihr eigenes Territorium. Sie waren zwar nicht völlig voneinander getrennt und es gab sehr wohl Kontakte, aber die Menschen fühlten sich sicher mit ihren religiösen Ansichten. Heutzutage treffen die unterschiedlichen Religionen ständig aufeinander und interagieren. Wir können darauf reagieren, indem wir uns zurückziehen und fundamentalistisch werden – es gibt ja auch buddhistische Fundamentalisten – und uns denken, meine Religion ist die einzig wahre.

Welche Alternative sehen Sie?

Wir können von den unterschiedlichen Religionen lernen und Gemeinsamkeiten finden, um die voranschreitende Globalisierung, die unsere Umwelt und uns Menschen zerstört, zu bekämpfen. Denn heutzutage ist unsere Religion in Wahrheit doch oft der Konsum. Diese ‚Religion‘ lässt die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergehen. Der gemeinsame Feind aller Religionen müsste die dadurch entstehende Armut sein. Es sollte keine Energie verschwendet werden, indem man sich gegenseitig bekämpft oder den Islam zum Feind erklärt.

Wie kann, buddhistisch betrachtet, mit diesen Herausforderungen umgegangen werden?

Der Buddhismus bietet uns keine genauen Lösungen für die aktuellen Probleme an, sondern er gibt uns viele Erkenntnisse, wie wir damit umgehen können. Wir haben eine gegenseitige Verantwortung, wir sollten uns nicht losgelöst vom IS betrachten und diesen dämonisieren, denn es wird immer Extremisten geben. In der buddhistischen Lehre ist es ganz klar, dass wir die Verbindungen zwischen uns und den anderen sehen sollten. Die Welt ist nicht geteilt in Gut und Böse. Der IS will, dass wir Angst haben, uns fürchten, wütend und gewalttätig werden. Wenn wir dies tun, gewinnen sie. Sicherlich müssen wir uns in irgendeiner Form gegen so verrückte Gruppen wie den IS verteidigen. Und es ist schwer, dabei den richtigen Weg zu finden. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass der IS – wie auch Al-Qaida – größtenteils eine Reaktion auf den Umgang des Westens mit dem Nahen Osten ist. Wir können keine Lösung finden, solange sich unsere Einstellung nicht ändert.

Gibt es wirklich kein Gut und kein Böse?

Unsere spirituelle Basis im Westen ist mehrheitlich im Christentum zu finden. Viele Menschen glauben heutzutage zwar nicht mehr daran, aber die Einteilung in Gut versus Böse besteht weiterhin. Es gibt Gott und Satan und die Hauptfrage ist, auf welcher Seite wir stehen. Im Buddhismus gibt es ein anderes Denkkonzept: Wir können die Welt entweder mit Verblendung und Unwissenheit oder mit Weisheit und Erwachen betrachten. Der Buddhismus lehrt uns, dass die Trennung eine Illusion ist und wir alle voneinander abhängig sind. Deshalb soll ich mich nicht nur um mich selbst kümmern, sondern auch um alle anderen. Unser Wort dafür ist Mitgefühl. Diese buddhistische Perspektive kann sehr hilfreich sein in der modernen Welt.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 95: „Keine Angst"

UW95 COVER


David Loy, geboren 1947 in Amerika, ist Autor, buddhistischer Sozialtheoretiker und Lehrer für Zen-Buddhismus. www.davidloy.org

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Ester Platzer

Ester Platzer

Ester Platzer, lebt in Wien und ist Mitglied der Chefredaktion bei Ursache\Wirkung. Davor lebte und arbeitete sie viele Jahre in Ostafrika. Ester absolvierte ihr Magisterstudium in internationaler Entwicklung an der Universität Wien.
Kommentare  
# Uwe Meisenbacher 2017-07-19 14:53
Der Artikel von David Loy hat gute aufklärerische Qualitäten. Er sagte z.B.: „Sicherlich müssen wir uns in irgendeiner Form gegen so verrückte Gruppen wie den IS verteidigen. Und es ist schwer, dabei den richtigen Weg zu finden.“ Ich bin der Meinung, wir sollten keine verblendeten Fanatiker dulden, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnen, die unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit Hassbotschaften verbreiten und zum Kampf gegen Nichtgläubige und Andersgläubige aufrufen.
Mit freundlichen, Aberglaubens- und verblendungsfreien buddhistischen Grüßen
Uwe Meisenbacher
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# Margit 2019-03-05 15:01
Ich schließe mich ihrer Meinung zu 100prozent an!
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