Krankheit, Depression und Schmerz: Meditation gilt als starkes Mittel gegen die verschiedensten Leiden. Doch wer nur auf dem Meditationskissen sitzt, um sich von einer bestimmten Krankheit zu lösen, wird vermutlich scheitern.
Er war ein hilfsbereiter Kollege. Wer bei einem Projekt Unterstützung brauchte, ging zu ihm. Er saß schon früh am Morgen am Schreibtisch. Auch am Abend brannte in seinem Zimmer noch Licht. Er machte Überstunden. Denn er brauchte das Geld, um einen Kredit für sein Haus abzuzahlen. Plötzlich war der Kollege verschwunden. Er habe ein Burn-out, hieß es. Er wurde nicht ersetzt. Denn die Firma mache zu wenig Gewinne und könne sich kein zusätzliches Personal leisten, lautete die Begründung. Dann traf es eine Kollegin. Sie kam nicht mehr zur Arbeit, weil sie Panikattacken hatte. Solche Vorfälle sind kein Einzelfall. Die Geschäftsberichte der Krankenkassen zeigen, dass die Fehltage wegen psychischer Leiden in den vergangenen Jahren massiv angestiegen sind. Viele Kranke können nicht mehr in den Arbeitsprozess integriert werden. In Deutschland werden die Kosten, die durch depressionsbedingte Frühpensionierungen entstehen, jährlich auf 1,5 Milliarden Euro geschätzt. Alarmierend ist auch, dass jeder zehnte Österreicher Psychopharmaka verschrieben bekommt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass Depressionen in den führenden Industriestaaten schon bald auf Platz eins liegen und Herz-Kreislauf-Krankheiten verdrängen werden.
Mehr Erfolg mit Meditation?
Damit der Stress besser bewältigt werden kann, bieten viele Unternehmen ihren Mitarbeitern Fitness- und Entspannungsprogramme an. Die Palette reicht von Yoga über Shiatsu bis zu Achtsamkeits- und Meditationskursen. Manchmal gewinnt man allerdings den Eindruck, dass Meditationsübungen in Firmen eingesetzt werden, um aus den Beschäftigten noch mehr herauszuholen. ‚Meditation – die schärfste Waffe gegen Stress', titelte die deutsche Tageszeitung ‚Welt'. Egal, ob Angst, Bluthochdruck oder Schmerzen: Meditation wird in der Zeitung als besonders mächtiges Werkzeug zur Bekämpfung verschiedenster Leiden angepriesen. Mit detaillierten Prozentsätzen lässt die Frauenzeitschrift ‚Brigitte' aufhorchen. Demnach leiden Meditierende um 87 Prozent weniger an psychischen Krankheiten wie Angststörungen oder Depressionen. Die Heilung soll besonders schnell erfolgen. Laut ‚Brigitte' schneiden Testpersonen schon nach vier Wochen Meditationspraxis bei Prüfungsfragen und Konzentrationsaufgaben um 40 Prozent besser ab als Meditationsmuffel. Auch bei Krebs soll die Erfolgsquote hoch sein. Ob sich das auch der frühere US-Präsident Bill Clinton gedacht hat? Bei Clinton wurde vor zwei Jahren eine Krebserkrankung festgestellt. Zeitungen schrieben, er habe sich daraufhin dem Buddhismus zugewandt. Mit Meditation wolle er seinen Geist stählen und den Krebs besiegen.
Meditation ist mehr als nur Entspannung
‚Gesund durch Meditation' lautet der Titel eines Buches des früheren US-Professors Jon Kabat-Zinn, der die MBSR-Methode entwickelt hat. Das ‚Mindfulness-Based Stress Reduction'-Programm wird auch im deutschsprachigen Raum immer populärer. Der MBSR-Kurs besteht aus acht wöchentlichen Treffen zu jeweils 2,5 Stunden. Zudem sollten die Teilnehmer täglich 30 bis 45 Minuten üben. MBSR wurde auf Basis von buddhistischen Meditations- und Yoga-Praktiken entwickelt. Im Fokus steht die Förderung der Achtsamkeit. Dies stärkt das persönliche Wohlbefinden und verhilft zu einem besseren Umgang mit Stress. „Darüber hinaus trägt Achtsamkeit zu mehr Lebensqualität und zur persönlichen Entwicklung bei", heißt es in einem MBSR-Prospekt. Religion und Spiritualität spielen bei MBSR keine Rolle. Kabat-Zinn lässt bei den Kursen die buddhistischen Weisheiten weg. Übrig geblieben sind säkulare und pragmatische Entspannungs- und Meditationsübungen. Damit steht MBSR jedem Menschen, unabhängig von seiner Weltanschauung, zur Verfügung. „Wir nehmen jeden, solange er noch atmet", soll Kabat-Zinn gesagt haben. Das Stressabbau-Programm wird in den USA in über 200 Kliniken angewendet.
Was sagen Wissenschaftler?
Auch in der psychiatrischen Universitätsklinik der Charité in Berlin nutzt man meditative Verfahren bei der Behandlung von Patienten. In der Forschungsdatenbank der Charité finden sich 16 Einträge zum Thema Meditation. Mit Hilfe neurowissenschaftlicher Verfahren kann man die Wirkungen von Meditationsübungen auf die Aktivitäten des Gehirns untersuchen. Wissenschaftler der Universität Gießen in Deutschland, des Massachusetts General Hospital und der Harvard Medical School in Boston, USA, haben dazu eine umfangreiche Studie veröffentlicht. Federführend war dabei unter anderem die deutsche Wissenschaftlerin Britta Hölzel. Für die Studie wurden zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten Kernspintomographieaufnahmen der Gehirne von 16 Personen gemacht: zunächst zu Beginn des achtwöchigen MBSR-Kurses und dann nach Ende des Kurses. Zum Vergleich machte man auch Aufnahmen der Gehirne von Kontrollpersonen, die nicht meditiert haben. Das Ergebnis war, dass in den Gehirnen von Meditierenden eine Zunahme der Dichte der grauen Substanz (Hirnzellen) im Hippocampus, der Lern- und Gedächtnisprozesse unterstützt, gefunden wurde. Auch in Gehirnregionen, die für Mitgefühl und Selbstwahrnehmung zuständig sind, gab es Zunahmen. Im Gegensatz dazu nahm die Dichte der grauen Substanz in der Amygdala ab. Die Amygdala spielt eine wichtige Rolle in der Verarbeitung von Angst und Stress.
Bewusstseinsveränderung durch Meditation
Der Psychologe und Meditationsforscher Ulrich Ott von der Universität Gießen schreibt im Buch ‚Meditation für Skeptiker', in der Meditation geschehe eine Bewusstseinsveränderung. Meditation diene dazu, das Bewusstsein zu erweitern und sich von eingefahrenen Denkmustern und Verhaltensweisen zu lösen. Zudem können im Zuge der Meditationspraxis außergewöhnliche Bewusstseinszustände auftreten, ‚die eine neue Sicht der Realität und der eigenen Identität eröffnen'. Laut Ott ist es bisher allerdings kaum möglich, eine Empfehlung zu geben, welche Meditationsmethode bei welcher Erkrankung die besten Ergebnisse erwarten lässt. „Auch die Frage, welche Meditationsmethode zu welcher Person passt, ist bisher ebenso ungeklärt wie die Frage nach der Dosis, also der Übungsdauer und Übungshäufigkeit, die erforderlich ist, um eine gewünschte Wirkung zu erzielen."
Leer werden
Meditation gelingt umso leichter, wenn sie absichtslos ist. Wer sich krampfhaft jeden Tag auf ein Meditationskissen begibt, um sich von einem bestimmten Leiden zu lösen, wird scheitern. Wird jemand mit Hilfe der Meditation gesund, ist das eine schöne Sache. Doch wir sollten das nicht zur Bedingung machen. Der buddhistische Mönch Mahathera Gunaratana verweist auf elf Punkte, die für die Meditation wichtig sind:
- Erwarte nichts.
- Mühe Dich nicht ab.
- Beeile Dich nicht.
- Hänge an nichts und weise nichts ab.
- Lass los.
- Nimm alles an, was auftaucht.
- Geh sanft mit Dir um.
- Erforsche Dich selbst.
- Betrachte alle Probleme als Herausforderung.
- Grüble nicht.
- Verweile nicht bei Gegensätzen.
Für den Körper sorgen
Jeder wird im Laufe der Zeit seine Meditationsform finden. Eine der einfachsten und besonders wirkungsvollen Übungen in der Meditation ist bewusstes Atmen. Dabei wird ganz regelmäßig entspannt ein- und ausgeatmet. Wir beeinflussen unseren Atem nicht, jeder findet seinen natürlichen Rhythmus selbst. Mit dem Atmen sorgen wir für unseren Körper. Es gibt auch Meditationsformen, die uns zur bewussten Wahrnehmung unseres Körpers führen. Wie fühlt sich unser Körper an? Spüren wir wo einen Druck? Sind wir verspannt? Manche Menschen ignorieren die Empfindungen ihres Körpers. Sie bekämpfen oder verdrängen Schmerzen, negative Gefühle und Ängste – mit Alkohol, mit zu viel Essen oder mit anderen Süchten. Das wirkt sich verheerend auf unseren Körper und auf unseren Geist aus. Jeder besteht aus Körper und Geist, beides macht als Ganzes den Menschen aus. Es ist nicht gesund, dauerhaft vor den Empfindungen des Körpers davonzulaufen. Der Überlieferung zufolge war Buddha einmal ein Asket. Doch er sah ein, dass Askese in ihrer extrem strengen Form nicht zur Erleuchtung führt.
Achtsames Essen, Trinken und Konsumieren
Durch regelmäßige Meditation kultivieren wir Achtsamkeit. Wir entwickeln Mitgefühl für unsere Mitmenschen und auch für uns selbst. Gerade in helfenden und sozialen Berufen kommt es immer wieder vor, dass Menschen sich primär für andere einsetzen, sich aber schwertun, einen achtsamen und liebevollen Umgang mit sich selbst und mit ihrem Körper zu entwickeln. Wir können für unseren Körper sorgen, beispielsweise mit mehr Bewegung, mit mehr Sport, mit gesunder und ausgewogener Ernährung. Der buddhistische Mönch Thich Nhat Hanh betont immer wieder, wie wichtig nicht nur die geistige, sondern auch die körperliche Gesundheit ist: „Ich gelobe, mich für die körperliche und geistige Gesundheit meiner selbst, meiner Familie und der Gesellschaft einzusetzen, indem ich achtsames Essen, Trinken und Konsumieren übe. Ich gelobe, nur in mich aufzunehmen, was meinem eigenen Körper und Geist sowie dem kollektiven Körper und Geist meiner Familie und Gesellschaft Frieden, Wohlbefinden und Freude erhält. Ich bin entschlossen, auf Alkohol und andere Rauschmittel zu verzichten und keine Nahrungsmittel oder andere Dinge zu konsumieren, die mir schaden könnten."
Nicht nur Symptome behandeln
Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert Gesundheit als ‚Zustand von vollständigem physischen, geistigen und sozialen Wohlbefinden, der sich nicht nur durch die Abwesenheit von Krankheit oder Behinderung auszeichnet'. Die westliche Medizin und leider auch viele Psychotherapie-Richtungen sind zu sehr auf Symptombehandlung ausgerichtet. Das mag in manchen Fällen wirkungsvoll sein. Wenn ich mir beim Skiunfall ein Bein breche, brauche ich nicht lange nach den Ursachen zu suchen, sondern es steht fest, dass ich einen Gips benötige. Doch bei vielen Beschwerden ist das anders. Eine Bekannte arbeitete in einer Bank. Sie war unter anderem für die Buchhaltung verantwortlich und saß meist vor dem Computer. Eines Tages hielt sie es nicht mehr aus. Sie zitterte und bekam Schweißausbrüche. Der Arzt verschrieb ihr Psychopharmaka. Doch die halfen nur kurzfristig. Dann ging sie zu einem Psychotherapeuten, der auf Verhaltensänderungen spezialisiert war. Sie trainierte mit ihm Entspannungsübungen, die sie später mehrmals am Tag anwendete. Doch nach einigen Wochen traten die Probleme erneut auf. Schließlich hatte sie einen Freund, der ihr achtsam zuhörte und ihr Zeit schenkte. Sie kam zur Erkenntnis, dass ihr die Arbeit vor dem Computer keine Freude machte. Sie ließ sich umschulen und jetzt geht es ihr besser. Auch wer regelmäßig meditiert und sein Leben nach der buddhistischen Lehre ausrichtet, hat keine Garantie, ständig gesund zu bleiben. Es sind auch buddhistische Lehrerinnen und Lehrer an Krebs gestorben, obwohl diese zu Lebzeiten viel meditiert haben. Buddha ging von der Tatsache aus, dass das Leben auch Leiden ist, weil wir krank und alt werden sowie sterben müssen. Viele Menschen tun sich schwer, diese Tatsachen zu akzeptieren. Alter, Krankheiten und der Tod sind existenzielle Themen. Niemand kann vor ihnen davonlaufen. Auch Buddha nicht. Doch wie überwinden wir das Leiden? Buddha hat sich in den ‚Vier Edlen Wahrheiten' nicht nur mit dem Leiden auseinandergesetzt, sondern auch einen Weg aufgezeigt, wie wir uns davon befreien können.
Schulung des Geistes
Eine Essenz der buddhistischen Lehre ist, dass wir letztendlich die Wurzeln unseres Leidens in unserem eigenen Geist finden. „Der Geist geht allem voran", soll Buddha gesagt haben. Eine wirkungsvolle Medizin gegen Leiden ist die Schulung des Geistes in der Meditation. Es hängt von uns ab, wie wir auf bestimmte Gegebenheiten reagieren. Oft können äußere Veränderungen sinnvoll sein. Doch es gibt Leidenszustände, die wir nicht ändern können – Alter, Tod, körperliche Gebrechen, Behinderungen und Krankheiten. Hier hilft eine Schulung des Geistes, um zu neuen Einsichten zu kommen. Wie gehen wir mit Problemen und Hindernissen um? Nicht selten läuft unser Verhalten nach bestimmten Mustern ab. Diese Muster haben wir jahrelang, vielleicht sogar seit der Kindheit antrainiert. Das Erkennen unserer inneren Automatismen ist ein erster Schritt in Richtung Veränderung. Doch eine solche Neuorientierung ist alles andere als einfach. Denn Gewohnheiten können hartnäckig sein. Welche unheilsamen Einstellungen sollen wir aufgeben? Welche heilsamen Ressourcen können wir fördern? Meditation kann uns stärken, dass wir trotz Krankheiten, Ängsten und inneren Widerständen loslassen können und unseren inneren Frieden finden. Wir erkennen, dass alles, was wir erleben, vergänglich ist. Doch so schnell erleuchten wir uns nicht. Niemand wird immer nur mit positiven Gedanken herumlaufen. Auch buddhistische Nonnen und Mönche können hin und wieder traurig und ängstlich sein. Doch sie lassen sich von diesen Empfindungen nicht überwältigen.
Mit dem Schicksal versöhnen
Viele von Schicksalsschlägen gezeichnete Menschen stellen sich immer wieder die Schuldfrage. Warum werde ich vom Schicksal oder vom Leben so bestraft? Was habe ich falsch gemacht? Ursachenforschung kann unter Umständen sinnvoll sein, sofern sich daraus neue Perspektiven und neue Einsichten für Veränderungen ergeben. Doch die Suche nach den Gründen darf keine selbstzerstörerischen Züge annehmen. Irgendwann soll der Zeitpunkt kommen, wo wir uns mit uns selbst und unserem Schicksal versöhnen. Ich hatte einen Freund, dessen achtjähriger Sohn – er hieß Martin – an Krebs erkrankt war. Es war für die Familie anfangs schwer, dies zu akzeptieren. Die Eltern versuchten alles, um den Krebs zu besiegen. Sie konsultierten die besten Mediziner in der Umgebung. Doch die Chemotherapie hatte leider nur kurzfristigen Erfolg. Schließlich erklärten die Ärzte, dass Martin nur noch wenige Wochen zu leben hatte. In dieser Situation gab es für die Familie zwei Möglichkeiten. Jammern, über das Schicksal klagen und bis zum letzten Atemzug weiterkämpfen. Oder mit Martin noch schöne Wochen verbringen. Die Familie wollte zunächst weiterkämpfen. Der Vater überlegte, Martin in eine Spezialklinik ins Ausland zu bringen. Es war Martin, der das nicht mehr wollte. Irgendwann kam für alle in der Familie der Punkt, an dem sie das Schicksal annahmen. Das war eine bewusste Entscheidung. Die Ärzte sorgten dafür, dass Martin wenig Schmerzen hatte. Die Eltern nahmen sich Urlaub und verbrachten mit ihm eine schöne Zeit. In diesen Wochen konnten die Familie und die Freunde Abschied von Martin nehmen. Nach seinem Tod gab es für die Familie eine lange Trauerphase. Doch die letzten Wochen mit Martin haben der Familie geholfen, sich mit dem Schicksal zu versöhnen.
Bilder © Unsplash