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Leben

Markus Hoffmann besucht regelmäßig Kuschelpartys. Für Ursache\Wirkung berichtet er über die Fremde Berührungen.

An der Tür verabschiede ich mich von meiner Freundin, um im Umdrehen noch einmal ihre mahnenden Worte zu vernehmen: „Aber nur mit den Dicken und Hässlichen!". Ich nicke verständnisvoll, ohne noch einmal den vergeblichen Versuch zu unternehmen, ihr begreiflich zu machen, dass es bei einem Kuschelseminar nicht um ‚das Eine' geht. 

Worum es bei einer Kuschelparty eigentlich geht, ist ja schließlich ... ja, worum eigentlich? Genau genommen habe ich natürlich keine Ahnung, worum es bei einer Kuschelparty geht. Wobei ich den Text auf der Website des Veranstalters eingehend studiert habe: „Körperkontakt und Kuscheln sind menschliche Grundbedürfnisse (...)", steht dort etwa zu lesen und: „Unsere Kuschelpartys bieten einen geschützten Raum, um diese natürliche Sehnsucht auszuleben." Da meine Freundin das Angebot, zur Party mitzukommen, dankend abgelehnt hat, habe ich mich für meinen Bruder als Begleitung entschieden. Seine Begeisterung hält sich in Grenzen. Mit dem Argument, dass ich schließlich nicht Teilnehmer eines Phänomens wie dem ‚Rudelkuscheln' sein und gleichzeitig eine neutrale Außenperspektive einnehmen kann, entkräfte ich aber letztlich seinen Versuch, sich der Veranstaltung durch die provokante Frage zu entziehen, ob ich mich alleine nicht trauen würde.

 

„Unsere Kuschelpartys bieten einen geschützten Raum, um diese natürliche Sehnsucht auszuleben."

 

Auf der Treppe zum Veranstaltungsort versucht sich gerade ein Rollstuhlfahrer den Weg zu bahnen. Er wird dabei von einem Mann unterstützt, der mit seinen Sicherheitsschuhen sowie den etwas schmuddeligen Cargohosen nicht unbedingt den Eindruck macht, als ob er auf dem Weg zu einer gemütlichen Kuschelveranstaltung wäre. Wie sich später herausstellt, ist er es – im Gegensatz zu uns auch nicht zum ersten Mal. Wir gehen in den eigentlichen Veranstaltungsraum, in dem sich zu diesem Zeitpunkt schon etwa 25 Teilnehmer versammelt haben. Ein etwa 160 qm großer Raum, der Holzboden wird von zahlreichen Matratzen bedeckt, die mit Betttüchern in warmen Farben bezogen sind. Es läuft leicht psychedelische Musik, die Atmosphäre wirkt sehr entspannt. Nachdem ich einen Platz auf der großen Liegefläche eingenommen habe, lasse ich meinen Blick über die im Kreis sitzenden Teilnehmer schweifen. Mein Bruder und ich zählen hier mit Mitte 30 zu den Jüngeren und da die Männer deutlich in der Überzahl sind, muss man kein Meister in Kombinatorik sein, um sich auszurechnen, dass an diesem Abend wohl auch Berührungsängste mit dem eigenen Geschlecht abgebaut werden dürfen.

Fremde Berührungen

Es läuft leicht psychedelische Musik, die Atmosphäre wirkt sehr entspannt.

 

Die Kursleiterin am heutigen Abend heißt Eva und fordert zunächst alle Anwesenden auf, sich kurz vorzustellen. Neben unserem Vornamen sollen wir noch unsere Erwartungen und auch Befürchtungen nennen sowie das Kuscheltier, als das wir an diesem Abend gekommen sind. Nach einigen Bären, Hasen, einer Maus sowie einem Polarhund oute ich mich als ‚Anfänger' sowie als Erdmännchen. Befürchtungen habe ich keine. Bevor die Veranstaltung beginnt, erläutert Eva uns noch die wichtigsten Regeln, die während der Kuschelveranstaltung gelten: Bevor Körperkontakt aufgenommen werden darf, muss um Kuschelerlaubnis gebeten werden und auch dann sind der Intimität klare Grenzen gesetzt: Küssen sowie die Berührung der weiblichen Brust und des Intimbereichs sind ebenso wenig gestattet wie das sogenannte ‚Dry Humping'. Gott sei Dank habe ich diesen Hinweis (dass ich nicht mehr zur Generation Y gehöre) unter den Veranstaltungsregeln im Vorfeld gelesen und herausgefunden, dass damit das Ausführen eindeutiger Bewegungsmuster mit starker sexueller Konnotation gemeint ist. Soweit sind die Regeln verstanden. Als ‚Warm Up' beginnen wir zunächst mit einer freien Tanzübung, bei der sich alle Teilnehmenden auf der Matte zur Musik bewegen, um sich bei deren Ende vor den am nächsten stehenden Partner zu stellen und um Kuschelerlaubnis zu bitten. Eine ‚Reise nach Jerusalem' für Kuschelwillige quasi. Als die Musik im ersten Durchgang endet, stehe ich vor ... meinem Bruder. Diesmal hält sich bei uns beiden die Begeisterung in engen Grenzen.

 

Befürchtungen habe ich keine.

 

Wieder entscheide ich, mich darauf einzulassen, und beginne damit, achtsame Berührungen auszuführen. Leichte Berührungen der Schulter, am Arm, später das Streicheln über den Rücken. Was sehr gewöhnungsbedürftig beginnt, fühlt sich schon nach kurzer Zeit völlig normal an. In der Zwischenzeit lasse ich meinen Blick durch den Raum streifen, in dem bereits intensiv berührt und gekuschelt wird. Einige Teilnehmer sind deutlich weiter in ihren Übungen als wir. Mich überrascht der Grad an Intimität, mit der wildfremde Menschen sich hier nach so kurzer Zeit gegenüberstehen.Nach zwei weiteren Durchgängen fühle ich mich bereits sehr viel entspannter und bin bereit für die anschließende Gruppenkuschelphase. In Kleingruppen von fünf bis sechs Personen legen sich ein oder zwei Teilnehmer als Empfangende auf die Matte, während der Rest der Gruppe um sie herum kniet und sie sanft berührt. Aus unserer Gruppe macht Julia den Anfang, die offensichtlich schon mit der Übung vertraut ist und das anfängliche Zögern der restlichen Teilnehmer überbrückt. Sie genießt es offenbar sehr, über einen Zeitraum von etwa fünf Minuten zu den sanften Klängen der Musik gestreichelt und berührt zu werden, so dass nach der anfänglichen Zurückhaltung nun jeder der Nächste sein möchte. In der Tat fühlt es sich ausgesprochen schön an, so aufmerksam berührt zu werden, und so vergeht die eigene Kuschelphase viel zu schnell. Die Übung endet erneut mit einem Dankesritual, mit dem die Gruppe sich verabschiedet und die freie Kuschelphase eröffnet wird.

 

Leichte Berührungen der Schulter, am Arm, später das Streicheln über den Rücken.

 

Während sich in der Mitte der Matte eine größere Gruppe spontan zum ‚Rudelkuscheln' zusammenschließt, hat mich die warmherzige und sympathische Art von Julia, andere Menschen zu berühren, so neugierig gemacht, dass ich sie direkt um Kuschelerlaubnis bitte. Sie sagt ohne zu zögern Ja und wir verbringen die nächsten Minuten weitgehend schweigend, dafür aber in angenehmer Berührung und Umarmung. Während wir nebeneinander auf der Matte liegen, uns im Arm halten und über den Körper und die Haare streicheln, gelingt es mir nur noch flüchtig, einen Eindruck von den übrigen Geschehnissen im Raum zu gewinnen. In der Berührung und Umarmung habe ich offensichtlich mein Zeitgefühl verloren, denn die Worte, dass die Veranstaltung sich nun dem Ende zuneigt, dringen nur schwer an mein Ohr. Ich verabschiede mich mit aufrichtigem Dank von Julia und anschließend etwas übereilt auch vom Veranstalter, denn mein Bruder gemahnt bereits zur Eile, um den letzten Zug nach Hause nicht zu verpassen. Wir ziehen uns um und erreichen den Zug etwas außer Atem, aber irgendwie auf eigentümliche Weise entspannt. Ein in jeder Hinsicht berührender Abend, von dem ich verschiedene Gedanken und Gefühle mit nach Hause nehme: neben einer neuen Selbstverständlichkeit beim Wunsch nach körperlicher Nähe und dem Einlassen auf andere Menschen auch die Absicht, die erlebten Eindrücke mit meiner Freundin zu teilen und zu vertiefen. So hat sie am Ende doch noch etwas vom Abend, auch wenn ich ihre Begrüßungsfrage, ob ich denn nur mit den Dicken und Hässlichen gekuschelt hätte, mit einem entschuldigenden Kopfschütteln beantworte. „Beim nächsten Mal dann", entgegne ich und lächle sie an.

 

Die Übung endet erneut mit einem Dankesritual, mit dem die Gruppe sich verabschiedet und die freie Kuschelphase eröffnet wird.

 

 

Markus Hoffmann, Jahrgang 1979, studierte Psychologie und Kommunikationswissenschaften an den Universitäten Tübingen und Essen. Neben seinem Studienschwerpunkt ‚Medienpsychologie' hat er sich intensiv mit den Themen ‚Interpersonelle Attraktion', ‚Sozialpsychologie der Partnerwahl' und ‚Psychologische und biologische Grundlagen von sozialen Beziehungen' beschäftigt. Aktuell arbeitet er in der Geschäftsführung eines IT-Unternehmens.
 
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Kommentare  
# Anton Baumeister 2017-12-27 07:28
Also ich finde das ist ein schwieriges Thema. Meiner Freundin gefiel es zu beginn auch nicht sonderlich , dass das ein Rückzugsort für mich war. A´Dadurchdass ich in meiner Jugend selber nur wenig liebe erfuhr, hilf mir das "aufzuwachen" und liebe zuzulassen. Ich kann jedoch auch verstehen wenn es nicht gefällt. Meine Freundin und ich haben mittlerweile "Kuschelstunden" in denen wir nur kuscheln.
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# Waltraud 2018-01-15 10:10
Ich kann das verstehen, wenn mein freund mit fremden kuscheln möchte wäre ich auch sehr skeptisch...
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