Vor ein paar Tagen habe ich „Schluss jetzt“ gesagt und bin aus einem Projekt ausgestiegen und habe meine Grenzen gesetzt. Ich habe mit mir gerungen. Kann ich nicht noch dranbleiben? Ist das ganze Projekt jetzt zum Scheitern verurteilt, wenn ich loslasse?
Ich habe mir wochenlang Mühe in einem Projekt gegeben, aber von meinen Mitstreiterinnen zu wenig Resonanz erfahren. Wieder und wieder habe ich mir weiteren Einsatz abgerungen. Soll das jetzt alles vergeblich gewesen sein?
Meine Meditationspraxis lehrt mich, angenehme und unangenehme Erfahrungen zu unterscheiden. Ich weiß: Nur die interessierte, achtsame Auseinandersetzung mit dem, was unangenehm, ist, ermöglicht dauerhafte Veränderung. Also übe ich mich im Verweilen mit dem Unangenehmen. Ich bebrüte es wie ein Ei, aus dem das Neue schlüpfen wird.
In jungen Jahren habe ich solchen Entwicklungen keinen Raum gelassen, wollte nur schnelle Lösungen sehen. Inzwischen bin ich Königin im Ausharren, im Erleben von Frustration und Verstrickung. Aber auch da gibt es Grenzen, die beachtet werden wollen.
Grenzen zu setzen fällt mir manchmal richtig schwer, besonders in Stresszeiten. Wenn man extra Kraft braucht, um Nein zu sagen, dann scheint es vordergründig leichter, weiterzumachen wie bisher. Ich argumentiere mit mir selbst, hin- und hergerissen zwischen dem Verweilen mit dem Unangenehmen und dem Erkennen und Loslassen der Überforderung.
Wann ist der Punkt erreicht, an dem ich mir erlauben darf, einen Schlussstrich zu ziehen? Wann darf ich sagen: Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr, ich habe jetzt genug. Millionen Menschen überfordern sich Tag für Tag und enden im Burn-out, in Depressionen, sie erleiden Herzversagen und viele andere Erkrankungen, weil ihr Denken keine Abgrenzung erlaubt und der Körper irgendwann nicht mehr kann. Wie krank müssen wir werden, um unsere Körpersignale zu respektieren?
Für mich ist das eine Frage des inneren Gleichgewichts. Wenn ich keinen Abstand mehr herstellen kann, wenn mein persönliches Wohlergehen zu abhängig wird vom Gelingen eines Projekts, dann muss ich innehalten und einen Schritt zurücktreten. Ich fordere mich gerne. Zeitweilige Anstrengung kann durchaus meine Kräfte bündeln. Aber eine Überforderung, die zu lange anhält, fällt auf mich zurück. Wenn der Körper Schmerzen produziert, wird es höchste Zeit, genauer hinzuhören.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung № 123: „Buddha heute"
Ich habe allen Mut zusammengenommen und meinen Arbeitseinsatz für beendet erklärt. Die Wirkung war frappierend. Mit meinem Zurücktreten konnten die anderen in den Vordergrund treten und zeigen, wie wichtig ihnen die gemeinsame Aufgabe war. Plötzlich wachgerüttelt, wurden sie aktiv, und es setzte genau das Verstehen ein, das ich vorher die ganze Zeit vermisst hatte. Das Projekt bekam einen gewaltigen Energieschub, weil ich losgelassen hatte.
Im allerletzten Moment bin ich noch einmal mit ganzer Kraft spontan hinzugekommen, und gemeinsam konnten wir erfolgreich abschließen, was ohne mein vorheriges Loslassen nicht möglich gewesen wäre. Welch ein Prozess – welch ein Aufatmen allerseits!
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