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Leben

‚Johannes Paul, Superstar' betitelte der dpa-Auslandskorrespondent Hans-Jochen Kaffsack am 1. Mai 2011 einen Artikel über die eilige Seligsprechung des Papstes Johannes Paul II. Mit ‚tosendem Jubel, Tränen der Freude', so der Bericht, wird der erste Schritt des toten Papstes zum heiligen Papst verfolgt.

Ein nicht ganz uninteressantes und auch ein nicht ganz selbstverständliches Phänomen.

Man könnte sich fragen, was ändert sich für einen Gläubigen oder einen neugierigen Touristen durch die Seligsprechung des Papstes, das solche Tränen der Freude erklären würde? Ist es vielleicht die Tatsache, dass das Bedürfnis nach Verehrung nunmehr amtskirchlich legitimiert ist? Oder macht Heiligenverehrung mehr Spaß, wenn sie von vielen geteilt, also nicht mehr nur Privatsache ist? Oder ist es am Ende die gleiche Art von Begeisterung wie bei einem Ländermatch? Karl Farkas hätte dazu wahrscheinlich gesagt: „Schauen Sie sich das an."

Das Wort ‚heilig' leitet sich aus dem germanischen Wort ‚Heil' ab. ‚Heil' bezeichnet eine Ganzheit, im Sinne von Vollständigkeit. Das englische Wort ‚health' für Gesundheit enthält noch diese Wurzel; übrigens auch ‚whole' (ganz), ‚hale' (Heil, als Zuruf), ‚holy' (heilig). Die alte quasi-rituelle Formel ‚Heile heile Segen', mit der man früher Kinder beruhigte, die sich kleinere Verletzungen zugezogen hatten, nimmt noch einen symbolischen Bezug auf die Idee, dass die Heilung im Sinne einer Reparatur von Verletzungen einen Segen, etwas Transzendentales, etwas, das von jenseits kommt, benötigt. Damit ist ein zweites Assoziationsfeld des Begriffes ‚heilig' aufgespannt: Die aus dem griechischen άγιος (hagios, hebräisch קדוש – kaddosch) stammende Bedeutung meint das Sakrale, das dem Gewöhnlichen, dem Profanen Entrückte. Die Idee, dass der gesunde, ganze, vollständige Mensch eine sakrale, transzendente Komponente benötigt, um ganz, um ‚heil' zu sein, ist offenbar schon lange vor dem Christentum anzutreffen. Und das ist das Trickreiche an dieser Idee: Sie ist so alt, dass sie schon zu jenen Teilen des gedanklichen Inventars gehört, die so selbstverständlich sind – oder erscheinen –, dass es Mühe macht, über sie auch nur nachzudenken. Wenn sie sich aber einerseits, weil schon zur Quasi-Natur geworden, der bewussten Reflexion ein Stück weit entzieht und andererseits ins aufgeklärte Denken schlecht hineinpasst, weil die moderne Wissenschaft Schwierigkeiten hat, das Heilige, das Entrückte empirisch zu erforschen, dann haben wir ein Problem. Und eine der Methoden, Probleme zu lösen, die schwer besprechbar sind, ist der Witz. Und so landen wir dann beim heiligen Bimbam.

Es ist also wahrscheinlich nicht ganz verfehlt zu behaupten: In einer Gesellschaft, die sich selbst als aufgeklärt versteht, ist eine gewisse Tendenz, mit Heiligem – und Heiligen – spöttisch umzugehen, vorprogrammiert.

Das ist aber noch nicht das ganze Problem. Denn wenn Ideen einmal so weit ins Selbstverständliche und damit ins weitgehend Unbewusste abgeglitten sind, dass sie in der subjektiven Wahrnehmung so ausschauen, als würden sie zum ‚natürlichen' Inventar des Denkens und Fühlens gehören, dann ist es nicht mehr so leicht auszuhalten, wenn sich jemand anderer darüber lustig macht. Die obige Behauptung gehört also wie folgt ergänzt:

In einer Gesellschaft, die sich selbst als aufgeklärt versteht, ist der Konflikt zwischen den einen, die mit Heiligem spöttisch umgehen, und den anderen, die das Heilige als elementaren Teil ihrer eigenen Existenz begreifen, vorprogrammiert.

Ganz besonders interessant wird es dann, wenn sich Spötter und Verteidiger in derselben Person vereinigen, auch das kommt vor. Die haben dann ein Problem mit sich selber. Eine der gängigen Methoden, mit so etwas umzugehen, besteht darin, die eine der beiden Komponenten aktiv zu verdrängen, was leichter geht, wenn man die andere übertreibt. So kann es passieren, dass die Verteidiger den Spöttern mit Mord drohen oder sie tatsächlich ermorden. Diese Variante ist dramatisch und spektakulär und bereichert die Medienberichterstattung in höchst unliebsamer Weise, aber sie ist zum Glück nicht sehr häufig. Häufiger bedient sich die Verteidigung des Heiligen schon der institutionellen Unterstützung. Im christlich-abendländischen Kulturkreis ist die bekannteste Variante die Heiligsprechung, eine Art posthum verliehenes Diplom, das dazu qualifiziert, verehrt zu werden. Wer kirchenamtlich bestätigte Heilige beleidigt, hat nicht nur den individuellen Zorn der Personen zu fürchten, die die jeweils beleidigte Person verehren, sondern auch den informellen – in krassen Fällen sogar den formellen – Ausschluss aus der kleiner werdenden, aber immer noch sehr großen Gemeinschaft der gläubigen Christen.

Und damit sind wir bei einem dritten Assoziationsfeld des Heiligen angelangt: die Schutzfunktion der gemeinsamen Verehrung. Schon sehr bald, nachdem die Erde von größeren Säugern bevölkert wurde, haben diese die Schutzfunktion der Hordenbildung entdeckt und auch uns Menschen ist sie nicht verborgen geblieben. Da wir aber, anders als die meisten Säuger, eine nur sehr mangelhafte Instinktsteuerung aufweisen, brauchen wir eine ganze Menge Rituale, um den für die Hordenbildung notwendigen temporären Verzicht auf individuelle Triebbefriedigung sicherzustellen. Heiligenverehrung ist ein solches Ritual. Ihr großer Vorteil liegt darin, dass Heilige Personen sind (oder waren), und Personen kann man sich leichter vorstellen als Abstraktionen. Vergesellschaftung ist ein Prinzip und über Prinzipien kann man streiten. Heilige sind Personen und mit denen kann man sich identifizieren, man kann sie sogar mystisch verehren.

Wenn wir die äußeren Erscheinungsbilder dieser mystischen Verehrung untersuchen, dann finden wir auffallende Parallelen zwischen amtlich bestätigten Heiligen und anderen, nennen wir sie mal ‚profanen Heiligen'. Elvis lebt noch immer, gemäß einer fast schon sprichwörtlichen Redewendung, Michael Jackson wird posthum in einem Ausmaß verehrt, das durch die Qualität seiner Darbietungen zu Lebzeiten (zumindest nach meiner unmaßgeblichen Ansicht) in keiner Weise gerechtfertigt erscheint. Ohnmachtsanfälle von 14-jährigen, vorwiegend weiblichen Fans anlässlich von Auftritten der von ihnen verehrten Pop-Heiligen könnten, wäre das nicht so blasphemisch, auf mögliche Parallelen zur religiösen Ekstase der einen oder anderen Klosterfrau untersucht werden.

Falls wir uns also mit dem Gedanken befassen wollen, dass es möglicherweise ein recht weit verbreitetes Bedürfnis gibt, bestimmte Personen mystisch zu überhöhen und ihnen Eigenschaften zuzuschreiben, die ein wenig ans Überirdische heranreichen, dann würde uns ein solcher Gedanke notwendig zu zwei Fragen hinführen: erstens, woher mag wohl dieses Bedürfnis kommen, und zweitens, was sind diese Heiligen für Personen und – falls man selber so jemand werden möchte – wie macht man das?

Zur ersten Frage können wir aus den vorangegangenen Überlegungen drei Antworten ableiten: Das Bedürfnis nach Überhöhung kommt erstens aus der Sehnsucht nach Heilung, nach Ganzheit, nach Vervollständigung, zweitens aus der Sehnsucht nach Transzendenz, nach Einswerden mit dem Überirdischen und der daraus erhofften Entrückung von den irdischen Sorgen, drittens aus der Sehnsucht nach der sicheren Position im Inneren der Herde, wo man vor Angreifern besser geschützt ist als am Rand.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 80: „Dalai Lama"

Johannes Paul II


Zur zweiten Frage gibt es eine Antwort, die etwas leichter, und eine andere, die wahrscheinlich etwas weniger leicht zu ertragen ist, und beide Antworten enthalten wahrscheinlich ein Körnchen Wahrheit. Die erste Antwort lautet: Wenn man gerne ein Heiliger – im sakralen oder im profanen Sinn – werden möchte, dann muss man irgendetwas haben, was die anderen nicht haben, aber gerne haben möchten und von dem sie ein wenig zu erlangen hoffen, wenn sie sich mit dem oder der Heiligen identifizieren. Die zweite Antwort lautet: Wenn man gerne ein Heiliger werden möchte, dann muss es einem gelingen, es so einzurichten, dass die anderen glauben, dass man etwas hat, was die anderen gerne haben zu wollen glauben. Ein guter Manager kann in solchen Fällen sehr hilfreich sein und die Popmusikbranche, die Politik und noch viele andere Wirtschaftszweige liefern eine große Menge von Anschauungsmaterial, wie man so etwas erreicht.

Dr. Anselm Eder, geboren 1947 in Wien, hat bis 2012 als Universitätsprofessor am Institut für Soziologie mit Forschungsschwerpunkten unter anderem in den Bereichen ‚Medizinische Soziologie‘, ‚Körpersprache als Beobachtungsfeld‘ und ‚Simulation sozialer Interaktionen‘ gearbeitet. Seit 2012 macht er alles andere.
 
Dr. Anselm Eder

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Dr. Anselm Eder, geboren 1947 in Wien, hat bis 2012 als Universitätsprofessor am Institut für Soziologie mit Forschungsschwerpunkten unter anderem in den Bereichen ‚Medizinische Soziologie‘, ‚Körpersprache als Beobachtungsfeld‘ und ‚Simulation sozialer Interaktionen‘ gearbeitet. Seit ...
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