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Leben

Im engagierten Buddhismus vollendet sich die Meditationspraxis. Engagement ohne spirituelle, ethische Grundlage bleibt blind, neigt zu Ungeduld und Gewalt; Meditation ohne Mitgefühl im Alltag bleibt leer. Erst zusammen sind sie der ‚Mittlere Weg'.

Meditation hat viele positive Wirkungen. Einige davon werden inzwischen auch von Neurowissenschaftlern entdeckt und untersucht. Wenn man also fragt, wozu Meditation dient und darauf antwortet: Sie fördert Entspannung, Gesundheit, macht glücklicher und erlaubt, den Alltag besser zu bewältigen, so ist das eine völlig korrekte Antwort. Doch es gibt immer viele korrekte Antworten auf jede Frage. Eine andere korrekte Antwort lautet: Meditation dient – wenigstens im Buddhismus – dazu, die eigene Ich-Verblendung zu durchschauen und schrittweise durch Mitgefühl zu überwinden. Das Mitgefühl, wenn es nicht nur eine neue Verzierung für unser Ego sein soll, muss praktisch werden.

Verschiedene Meditationsformen helfen, Entspannung zu finden, Kraft zu sammeln, vielleicht auch verständnisvoller mit anderen umzugehen oder effektiver zu arbeiten. Kein Zweifel: Meditation ist auch eine große Hilfe im Alltag. Doch buddhistische Meditation, und davon soll hier die Rede sein, ist noch etwas anderes. Wenn man schon die Meditation als ein Mittel betrachten möchte, dann ist sie vor allem ein Mittel, die Wahrheit zu finden. Entspannung oder mehr Effizienz im Beruf sind nur – durchaus positive – Nebenwirkungen. Der Buddha lehrte ursprünglich das, was heute gemeinhin ‚Meditation' genannt wird (stilles Sitzen, Achtsamkeit auf den Atem usw.), als Teilstück des Edlen Achtfachen Pfades. Er wird in drei Gruppen eingeteilt: (1) Einsicht (prajna) – also kritische, analytische Erkenntnis der irrenden Denkformen; (2) Ethik (sila) – mitfühlendes Handeln, soziales Engagement und (3) Versenkung (dhyana) – Beruhigen des Geistes. Dieser Edle Achtfache Pfad ist die vierte der Vier Edlen Wahrheiten. Buddhistische Meditation ist also eingebettet in einen ganzen Weg, der nicht nur die Wahrheit über uns selber und die Welt zu erkennen erlaubt, sondern der schließlich auch hilft, diese Wahrheit zu verkörpern. Dies unterscheidet die buddhistische Meditation von anderen Formen.

Dass der denkende Geist, als alltägliches inneres Geplapper, Ruhe findet, ist ein wichtiges Element der buddhistischen Meditationspraxis. In dieser inneren Stille liegt eine Kraftquelle, die auch in anderen spirituellen Traditionen bekannt ist. Ein Wochenende im Kloster, das wird als Angebot von sonst hektischen Managern gerne in Anspruch genommen. Auch wenn hier tiefere Wirkungen nicht ausgeschlossen sind, so ist auch Meditation in diesem Sinn doch nur eine psychologische Technik, die vielleicht Beruhigungsmittel und Schlaftabletten ersetzen kann.

Das stille Sitzen (shamata) ist im buddhistischen Verständnis eine wesentliche Voraussetzung, um mit der Dynamik des eigenen Denkens, seiner Kraft und Wildheit – Buddha vergleicht den Geist mit einem wilden Affen – vertraut zu werden. Es wäre aber ein Missverständnis, im Stillwerden schon die Wahrheit zu vermuten, die zu erkennen der Dharma-Weg dient. Jeder, der schon Meditation praktiziert hat, kennt diese Erfahrung: Da erlebt man Momente tiefer Stille, eine im Alltag ungeahnte innere, offene Weite. Vielleicht sogar ein kleines Satori. Doch dann ist das Räucherstäbchen abgebrannt, die Zeit ist um. Man steht auf und schon beim ersten Telefonanruf hat uns der Alltag wieder, sind Ängste und Zweifel wieder da. Die Erfahrung, dass hinter oder in all dem Lärm des Tages immer eine tiefe Stille darauf wartet, entdeckt zu werden, bleibt zwar; und sie ist unabdingbare Voraussetzung. Doch das reicht nicht. Deshalb hat der Buddha das ruhige Sitzen durch eine analytische Meditation (vipassana) ergänzt. Die analytische Meditation flieht nicht vor dem aufgewühlten Geist des Alltags, der Verwirrung, der ungeordneten Gedanken, sondern sie nimmt sie als willkommenes Übungsobjekt. Die Achtsamkeit ist ja im Lärm des Alltags nicht verschwunden. Sie beginnt dort nur, wie wild zu flackern, wird unaufhörlich abgelenkt, aber sie verschwindet nicht. Deshalb gilt es zu verstehen, wie und warum wir immer wieder abgelenkt werden.

 

Der alltägliche Denkprozess dient vor allem dazu, unser Ego-Territorium immer wieder neu aufzubauen und zu verteidigen.

 

Der alltägliche Denkprozess dient vor allem dazu, unser Ego-Territorium immer wieder neu aufzubauen und zu verteidigen. Die Gedanken greifen als Hoffnung nach dem, was wir begehren, und sie wehren ab, was uns unliebsam ist, wovor wir uns ängstigen. Wir vergessen in dieser Denkbewegung immer wieder die Wahrheit: Dass wir in unserem Körper, unserem Denken völlig von anderen abhängig sind, von der Natur und der Umgebung. Die Haltung, die dieser Wahrheit entspricht, ist das Mitgefühl. Deshalb ist es für eine wirkliche Meditationspraxis unerlässlich, systematisch den Blick für diese Abhängigkeit zu üben, also das Mitgefühl zu entfalten.

Weshalb ist das nur so unendlich schwierig? Viel einfacher ist es, täglich eine halbe Stunde auf einem Zafu zu sitzen und seinen Atem zu beobachten. Weshalb ist es viel leichter, von Mitgefühl zu sprechen, als es zu üben? Und wie genau übt man Mitgefühl? Auch hier gibt es viele Antworten – genauso viele, wie es Egos gibt. Der erste Grund liegt sicher darin, dass wir die vielen Tricks unseres Egos nicht durchschauen. Doch es gibt einen zweiten, einen, den auch Buddhisten leider sehr selten bemerken. Die Verblendung ist nicht einfach nur eine psychologische Tatsache. Die Ich-Verblendung ist lange schon soziale Wirklichkeit geworden. Die Unwissenheit erscheint in der Wirtschaft, im Geld, in der Blindheit, die alles nach Preis und Kosten taxiert; sie erscheint in den Medien, die unaufhörlich fiktive Welten vorgaukeln und viele Lügen erzählen. Wir sind mittendrin in dieser Verblendung, wir sind sozialisierte Verblendung. Es ist sehr einfach, in unserer Alltagswelt gierig zu werden, auf Verlockungen des Konsums hereinzufallen, mehr Geld zu erstreben, sich gar nicht erst um Informationen über die Armut in der Welt oder auch nur das Elend in anderen Stadtteilen zu bemühen. „Ich habe selbst genug am Hut." – So meldet sich das Ego immer wieder zurück. Zwar durchschauen wir das auch immer wieder: nach der Lektüre eines Dharma-Buches, nach einem Vortrag eines wunderbaren Lehrers oder eben beim stillen Sitzen, wenn all dies für eine Weile von uns abfällt. Doch die Belehrungen, die Meditationserfahrungen außerhalb der verblendeten Alltagswelt reichen nicht bis in diese Welt hinein. Ihnen geht immer wieder die Puste aus.

Wirkliche Meditation geschieht also erst dann, wenn sie alles durchdringt. Dazu müssen wir unseren Schreinraum, die stille Ecke mit Kerze und Räucherstäbchen um eine große ‚Abteilung' ergänzen. Übrigens ist auch der Buddhismus historisch diesen Weg gegangen. Das sog. ‚große Fahrzeug' (Mahayana) hat sich mehr und mehr der Lebenswelt der Menschen zugewandt und Methoden entwickelt, wie man dort – mittendrin – gleichwohl den Dharma praktizieren kann. So wurden schrittweise, z.B. im Tantrismus, immer mehr Lebensbereiche als Praxisfelder für die Meditation mit einbezogen. Es scheint mir allerdings passender, hier nicht von ‚großem Fahrzeug', sondern von engagiertem Buddhismus zu sprechen. ‚Mahayana' ist engagierter Buddhismus.

Der Mittlere Weg

Was können wir für unsere heutige Situation daraus lernen? Wie kann man in dieser verrückten Welt sich so engagieren, dass dieses Engagement zugleich zur Praxis der Erkenntnis wird? Das ist gar nicht so schwer zu beantworten. Denn was gilt es eigentlich zu erkennen? Die Wahrheit, die auf dem Weg sich schrittweise offenbart, ist die gegenseitige Abhängigkeit aller Phänomene, die Leerheit des Ego und seiner Illusionen. Die ethische Praxis, die dieser Erkenntnis entspricht, nimmt deshalb eine doppelte Form an: eine kritische – die Illusionen des Alltags werden untersucht und durchschaut; und eine positive – mitfühlende Handlungen werden gefördert, bei uns selber und bei anderen.

Ich greife einen Schwerpunkt auf. Eine zentrale Rolle für all unsere alltäglichen Probleme und Sorgen spielt die Art, wie wir Wirtschaft betreiben. Es ist sicher keine Übertreibung zu sagen, dass die meisten Nöte und Probleme der Menschen, bis hinauf zu den größeren Einheiten – Organisationen (wie Unternehmen), Städte, Regionen und Staaten –, aus unserer Art zu wirtschaften erwachsen. Ich kann das an dieser Stelle nicht ausführlich darstellen, nur so viel: Weil wir unsere gegenseitige Abhängigkeit über das Geld abwickeln, darin alles rechnen und deshalb nach immer mehr Geld streben, bewegen wir uns in einer institutionalisierten Verblendung. Sie lässt sich nicht mit Sitzkissen und Räucherstäbchen beseitigen. Diese Verblendung muss vor allem erst einmal erkannt und durchschaut werden. Leider liefern uns die tradierten Lehren dazu nur sehr wenig Material. Hier muss der engagierte Buddhismus kreativ werden. Eine Form analytischer Meditation besteht darin, all die vielen – auch scheinbar wissenschaftlichen – Begründungen für unsere Weise zu wirtschaften in ihren Denkfehlern zu durchschauen, mit dem Mut, sie zu kritisieren. Denn ohne diese Kritik bleibt der engagierte Buddhismus blind. Wirkliches Mitgefühl muss zum Wissen werden.

Das ist gar nicht so schwer. Denn die herrschende Ökonomie beruht wie jede andere menschliche Handlung auf einer bestimmten Motivation. Es ist die egoistische Geldgier. Sie wird im Wettbewerb, im Wachstumsziel (nur eine Tarnkappe für immer mehr Geld), im Erfolgsstreben, im ängstlichen Blick auf die Karriere usw. alltäglich reproduziert. Wer an dieser Motivation nichts verändert, wer nicht durchschaut, dass das, was uns die Umwelt unaufhörlich zuzurufen scheint, der Ruf nach dem Mehr, nach dem Schneller, nach dem Besser ist, um dabei andere zu überholen, der fällt immer wieder auf die Alltagsverblendung herein.

 

Wenn man jedoch die Auffassung fördert, dass Buddhismus nur ein Mittel ist, dass die Motive der Handelnden Privatsache seien, dann ist man auf dem falschen Weg.

 

Zwar mag jemand, der das stille Sitzen übt, in diesem Ich-Zirkus vielleicht etwas effektiver funktionieren – es gibt ja durchaus die Auffassung, die im Streben nach Gewinn nichts Arges erkennen kann und die Meditation dafür sogar als Mittel betrachtet. Doch mit dem Weg des Buddha hat das wenig zu schaffen. Der Buddha war ein Revolutionär. Er hat das Kastensystem bekämpft, die Opferkulte seiner Zeit kritisiert, Frauen gleichberechtigt den Weg als Nonne eröffnet, er hat die militärische Gewalt der Herrscher nachdrücklich kritisiert und auch damals schon die Geldgier als eine wesentliche Quelle des Leidens identifiziert. Heute herrschen noch andere Denkformen. Die Verblendung ist sehr kreativ und hat sich gewandelt. Deshalb wird auch die Praxis des Engagements eine andere sein. Wie gesagt: Vor allem die Ökonomie spielt hier eine dominierende Rolle. Der engagierte Buddhismus mausert sich deshalb unvermeidlich auch zu einer Kritik der herrschenden Ökonomie und zur Entwicklung von alternativen Lebensformen, die sich schrittweise aus der Geldmühle des Alltags lösen.

Mir scheint, dass nichts dem Geist der buddhistischen Meditation – in dem umfassenden Sinn verstanden, wie ich das zu skizzieren versucht habe – mehr widersprechen würde, als darin einfach ein alternatives Produkt auf dem Markt zu sehen, womöglich nur eine psychologische Technik. Wie schon gesagt: Es gibt immer viele korrekte Antworten auf jede Frage. Und es ist sicher nichts Verwerfliches darin, wenn jemand die Meditation einfach als Entspannungstechnik benutzt und daraus Kraft zieht. Wenn man jedoch die Auffassung fördert, dass Buddhismus nur ein Mittel ist, dass die Motive der Handelnden Privatsache seien, dann ist man auf dem falschen Weg. Meditation ist Arbeit mit unserer Motivation, mit unserer, d.h. auch mit der sozialen Form dieser Motivation – der Geldgier, dem Machtstreben, dem Wettbewerbsdenken, dem Erfolgsstreben und den tausend Eitelkeiten der Selbstdarstellung im Wahn der Konsum- und Medienwelten. Etwas Entspannung auf dem Sitzkissen, dann wieder die ganze Wucht des alltäglichen Unsinns, der es immer wieder schafft, unseren Geist zu kontaminieren – das ist zu wenig. Deshalb sollten wir daran arbeiten, engagiert, geduldig, friedlich und in enger Zusammenarbeit mit anderen Gruppen und Denkschulen auch der großen, der kollektiven Verblendung schrittweise die täuschende Macht zu entziehen.

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Dr. Karl-Heinz Brodbeck

Dr. Karl-Heinz Brodbeck

Prof. em. Dr. Karl-Heinz Brodbeck war bis 2014 Professor für Wirtschaftswissenschaften an der FH Würzburg und der Hochschule für Politik, München. Er ist Dharma-Praktizierender seit über 40 Jahren, beeinflusst vor allem durch Theorie und Praxis des Mādhyamaka-Systems. Zahlreiche Publikationen,...
Kommentare  
# Uwe Meisenbacher 2016-11-17 19:42
Hallo Herr Brodbeck,

Ihr Artikel beinhaltet eine sehr gut gemachte Analyse über die gegenwärtig unheilsame praktizierte Ökonomie und deren Wirkungen auf unsere Gesellschaft.

Mit freundlichen, aberglaubensfreien, buddhistischen Grüßen
Uwe Meisenbacher
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# Michael P. Ammel 2017-01-09 10:29
Wenn man nicht weiss wo man sich befindet, weil man den Kontakt zu seinem Innersten verloren hat oder der Dialog mit dem eigenen Ich nicht klappt, so findet man auch nur sehr schwierig einen mittleren Weg. Ich denke das funktioniert nur mit einer inneren Balance, fuer die man etwas tun sollte, dabei ist es egal wie man sich diesem Zustand, z.B. mit verschiednen Formen der Meditation naehert.
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# Schnorbach 2017-01-09 21:56
Ja wirklich gute Analyse, hab heute Abend die Leute in der ZEN-Gruppe auf den Artikel aufmerksam gemacht und einige Passagen zitiert.
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# Smithd393 2017-04-06 23:06
Der mittlere weg ist doch immer die beste lösung meiner meinung nach :)
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# franz 2017-04-07 12:20
schön zu lesen, das andere so denken wie ich! Danke für den Beitrag!
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# Pharmk28 2017-04-08 18:30
Ich kann nur zustimmen!
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# Lama 2017-04-12 18:58
Brodbeck ist einer meiner lieblingsautoren :)
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