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Leben

Warum wir unzufrieden sind und uns selbst das Leben schwermachen, erklärt der deutsche Soziologe und Glücksforscher Prof. Dr. Alfred Bellebaum. 

Wie würden Sie Glück und Zufriedenheit unterscheiden?

Es gibt keine allgemeingültige Differenzierung, aber ich würde es so beschreiben: Glück ist im idealtypischen Sinne ein überschwängliches Gefühl, frei von Reflexion. Stellen Sie sich einen Olympiagewinner auf dem Siegerpodest vor – er reflektiert nicht, er ist einfach nur emotional glücklich. Zufriedenheit ist dagegen rational. Die Reflexion und der Einsatz des Verstandes stehen hierbei im Mittelpunkt. Glück und Zufriedenheit treten aber sehr oft gemeinsam auf – eine Differenzierung macht daher wenig Sinn.

Gibt es eine neurologische Unterscheidung zwischen Glück und Zufriedenheit?

Es gibt allgemein bekannte neurologische Erkenntnisse über Glück, allerdings nicht über Zufriedenheit. Für den Glückszustand sind die Gehirnbotenstoffe ausschlaggebend – besonders Dopamin –, und zwar ausgehend vom limbischen Teil des Gehirns. Man kann diesen Zustand durch sogenannte ‚Glückspillen' künstlich hervorrufen. Die Gehirnforschung als Naturwissenschaft kann jedoch nicht erklären, woher ein bestimmtes Glücks- oder Zufriedenheitsziel und die Mittel dazu kommen. Dies erfahren wir aus den Kulturwissenschaften, der Soziologie.

Wie legen wir unsere Ziele fest, um zufrieden zu werden?

Universale Ziele und Mittel, diese zu verwirklichen, gibt es nicht. Allerdings gibt es kulturspezifische Allgemeinheiten. Hierbei tauchen immer die sozialen Beziehungen auf: Liebe, Freundschaft, Glück und Gesundheit. Darüber hinaus gibt es aber unzählig viele Verschiedenheiten. Wenn man das Beispiel des Buddha heranzieht: Ihm schwebte etwas anderes vor, nämlich der Eintritt ins Nirwana, als jemandem, der sich als letztes Ziel einen Erlebnisurlaub in der Südsee wünscht. In den christlichen Religionen wird das Leben nach dem Tod im Paradies angestrebt.

Der Ausdruck ‚Glück' wird im Deutschen ja unterschiedlich verwendet. Wie würden Sie ihn deuten?

Bei uns wird der Ausdruck ‚Glück' sehr oberflächlich verwendet: Das paradiesische Glück ist etwas anderes, als wenn jemand einen Lottogewinn macht.

Wie sehr sind unsere Vorstellungen von Zufriedenheit und Glück an materielle Rahmenbedingungen gebunden?

Der materielle Wohlstand hat in den letzten 30 bis 40 Jahren in unserer Gesellschaft generell zugenommen. Glück und Zufriedenheit sind allerdings nicht im gleichen Maße gestiegen. Dieses Phänomen ist oft zu beobachten: Sobald Menschen ein bestimmtes Ziel erreicht haben, übt dieses keinen Reiz mehr auf sie aus. Gleich werden wieder Energien freigesetzt und man möchte schon wieder etwas Neues.

Das Phänomen der Unzufriedenheit scheint in unserer Wohlstandsgesellschaft allerdings eher eine Volkskrankheit zu sein. Woher kommt das?

Auch ich selbst erlebe dieses Gefühl fast täglich. Wenn ich etwa im Supermarkt an der Wurst- und Käsetheke stehe: Es ist doch eigentlich unfassbar, dass wir heute zwischen 50 verschiedenen Sorten auswählen können. Dieser Überfluss hängt einem schon zum Hals heraus. Es ist das Gefühl von Sättigung, gepaart mit Überdruss und Langeweile. Mit diesem Phänomen hat sich auch die Philosophie beschäftigt: Was man erreicht hat, rutscht in den Hintergrund und es übt keinen Reiz mehr aus. Man sucht nach etwas Neuem und dieses Neue kann in manchen Fällen auch der Verzicht auf übermäßigen Konsum sein und Menschen pilgern plötzlich an Wochenenden in Klöster oder gehen zu Psychologen.

Wie erklären Sie die gesellschaftlichen Unterschiede bei der Vorstellung von Zufriedenheit?

Wir können nie von einer identischen Zufriedenheits- oder Glücksvorstellung aller Menschen ausgehen. Dieses Thema ist mehrdimensional, viele Wissenschaften beschäftigen sich damit und viele Faktoren tragen dazu bei. Ein Faktor ist die Ökonomie, andererseits können wir auch Gesellschaften beobachten, die trotz Armut verhältnismäßig glücklich sind. Dies hat etwas mit Religion und vor allem mit dem Jenseitsglauben zu tun, der einem wenig Grund lässt, das Glück auf Erden zu suchen. Es gibt sehr wohl kulturelle Unterschiede. Indien ist ein interessantes Beispiel, der Großteil der Menschen ist sehr arm und trotzdem zufrieden. Das hinduistische Kastensystem trägt viel dazu bei, aber auch eine tiefe buddhistische Grundeinstellung. Schlechtes Karma wird hingenommen und das Leben sollte großteils danach ausgerichtet sein, sich zu bemühen, ein besseres Karma zu erlangen. Wenn man daran glaubt, hat man kaum Anlass, sich darüber aufzuregen, warum man so wenig hat.

Was läuft in unserer Gesellschaft falsch?

Es gibt bei uns ein bemerkenswertes Ausmaß an Unzufriedenheit, dabei ging es uns noch nie so gut wie heute. Bei uns gibt es eine modische Haltung der permanenten Meckerei, man nennt das Missvergnügen. Aber worüber soll man sich sonst noch unterhalten? In Deutschland hatten wir neulich einen wirtschaftlichen Aufschwung und fast alle haben sich darüber gefreut, nur die Intellektuellen fingen in den Medien sofort an zu zweifeln, ob dieser Aufschwung denn wirklich positiv sei. Sie hätten einfach sagen können: „Wir freuen uns!"

Sollte Zufriedenheit das Ziel der Menschen sein?

Das ist schwierig. Sagen Sie einmal einem Hartz-IV-Empfänger, dass er froh und zufrieden sein soll. Ich denke prinzipiell, dass es für den Großteil der Menschen gar nicht möglich ist, vollkommene, dauerhafte Zufriedenheit zu erlangen. Die Menschen können ihren Handlungsspielraum unterschiedlich nützen, meistens werden sie allerdings nicht den Zustand der Zufriedenheit erreichen. Die katholische Theologie hatte große Probleme, weil die Menschen im Zuge der Säkularisierung ihr Recht auf Glück in diesem Leben einforderten und wenn die Menschheit die Erwartungen und die Hoffnung auf Erlösung aufgibt, dann ist die Essenz des Glaubens nichtig.

Der Philosoph Immanuel Kant sagte, im Leben absolut zufrieden zu sein, wäre tatenlose Ruhe und Stillstand der Triebfedern oder Abstumpfung der Empfindungen und der damit verknüpften Tätigkeit.

Was halten Sie von Glücksratgebern?

Den Idealratschlag gibt es nicht, ich habe zumindest keinen. Die Glücksratgeber, die ich aus Frauenzeitschriften kenne, sind teilweise tatsächlich sehr seriöse Ausführungen. Für unsinnig halte ich allerdings die Tests, anhand derer man sich seinen persönlichen Wert über die eigene Zufriedenheit ausrechnen kann.

Gibt es einen Ratschlag von Ihnen, wie man Zufriedenheit erlangen kann?

Durch die Bekämpfung seiner Affekte wird man wohl kaum Zufriedenheit erreichen. Ich denke, die Menschen sollten lernen, genügsamer zu werden, um einen anderen Zugang zur Zufriedenheit zu erlangen. Die steigenden Ansprüche müssten reduziert werden, unsere Gesellschaft tendiert allerdings zum Gegenteil.

 

PROF. DR . AL FRED BELLE BAUM, geboren 1931, ist Professor für Soziologie an der Universität Koblenz-Landau (em.) und Honorarprofessor an der Universität Bonn. Er gilt als deutscher Pionier der Glücksforschung und gründete 1990 das Institut für Glücksforschung in Vallendar bei Koblenz. Bellebaum ist Autor zahlreicher Publikationen; sein neuestes Buch mit dem Titel ‚Glück hat viele Gesichter: Annäherungen an eine gekonnte Lebensführung' erschien 2010.
 
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Valerie Prassl

Valerie Prassl

Valerie Prassl ist Journalistin und Online-Kommunikationsspezialistin. Valerie absolvierte ihr Bachelorstudium in Politikwissenschaften an der Universität Wien und arbeitete als freie Mitarbeiterin für das Wochenmagazin profil. Nach ihrem Masterstudium in Journalismus an der Columbia University in...
Kommentare  
# Michael P. Ammel 2016-07-11 11:55
An der Gluecksformel haben sich schon viele Leute versucht. Da sie sehr individuell ist und sein muss, da wir alle mit sehr unterschiedlichen Biografien, selbst wenn wir aus einem Kulturraum kommen, durch die Gegend laufen, ist das nicht verwunderlich. Nur mit Biochemie wir man dem Thema nicht gerecht. Die Selbstreflexion hat da wohl eine grosse Bedeutung, solange wir sie von Bewertungen frei halten koennen, denn nur dann bewegen wir uns in die Richtung uns wirklich selbst zu moegen. Eine Voraussetzung fuer ein Mitgefuehl unseren Mitmenschen gegenueber. Wir sind nun mal soziale Wesen und daraus schliesse ich, dass so mehr Harmonie zwischen uns herrscht, umso hoeher ist die Wahrscheinlichkeit, gluecklich zu sein. Ich denke Zufriedenheit und Glueck wechselwirken miteinander und veraendern sich auf unserer Reise durch das Leben. Insofern bedarf das Glueck einer offenen und empathischen Geisteshaltung, die es zulaesst.
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# VenkataramaSarma Kum 2016-07-11 11:56
Unzufriedenheit ist der erste Schritt zum .Wohlstand. Zufriedenheit ist der. erste Schritt zum Gluck
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# Helmut Meyer 2016-07-11 11:56
Sehr lesenswert!
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