nayphimsex

Leben

Zen-Mönch Sergej Washin Tsarenko liebt seine Hafenstadt Odessa und harrt auch im Krieg hier aus. Um ein Zeichen für das Leben zu setzen, pflanzt er Bäume und sorgt mit einer Gruppe engagierter Freiwilliger für sie.

„Die Bäume brauchen viel Aufmerksamkeit,“ schildert Sergej Washin Tsarenko, der sich auch in der Zeit des Ukraine-Kriegs in der Nichtregierungsorganisation Green Coast Project in Odessa engagiert, „vor allem wenn sie noch ganz klein sind. Wasser ist ihre Nahrung und wir sind dafür zuständig, sie zu versorgen.“ Er spricht von den Bäumen, als wären es seine Kinder. Das Projekt, vor sieben Jahren von Natalia Khryschenyuk ins Leben gerufen, sei wichtig für sein Herz und seine spirituelle Praxis: „Bäume zu pflanzen ist eine friedliche Handlung, wir sollten Gutes tun und nichts zerstören.“

„Wir sind für den Frieden und setzen mit unserem Projekt ein starkes Zeichen.“

In den letzten Jahren haben sich die Freiwilligen ein- bis zweimal pro Woche getroffen und etwa 1.500 Bäume in Odessa gepflanzt. Einige Bäume sterben zwar, aber viele überleben und schmücken nun die Küste. Ihre Wurzeln halten die Erde zusammen und machen sie gesund, außerdem spenden Bäume Sauerstoff, und das sei gut für Odessa und die Welt. „Wir sind für den Frieden und setzen mit unserem Projekt ein starkes Zeichen, im Alltag sowie in Zeiten des Kriegs. Natürlich kann ich es nachvollziehen, dass einige zu den Waffen greifen. Aber ich könnte das nicht, das wäre nicht im Einklang mit meiner Praxis. Ich pflanze lieber Bäume“, sagt Sergej.

Bäume

Zen-Mönch Sergej Washin Tsarenko pflanzt Bäume an der Küstenpromenade in Odessa © Sinah Radovanovic

Entlang der Promenade patrouillieren ukrainische Soldaten, und neben den Bäumchen gibt es einige Schützengräben. Der Krieg und die friedliche Realität vermischen sich. Das Meeresrauschen, spielende Kinder am Strand und ein volles Café lassen die Gewalt weit weg erscheinen. Doch dann: ein Flugzeug am Himmel, daraufhin zwei laute Knalle. „Ah, das ist nur die ukrainische Abwehr, die haben sicherlich etwas abgeschossen“, erklärt Sergej. Wahrscheinlich geben die Bäume und seine Zen-Praxis ihm die nötige Erdung in diesen Situationen.

„Natürlich hat der Krieg uns verändert. Ich merke, dass ich nervöser bin und manchmal Schlafprobleme habe. Die Menschen haben ein dünneres Fell und werden schneller wütend.“ Das ist kein Wunder bei täglichem Sirenenalarm, Lebensgefahr, zerrissenen Familien, Arbeitslosigkeit und Bombenangriffen.

Am Abend gibt es einen russischen Raketenangriff, der ein Einkaufszentrum zerstört. Bilanz: ein Toter und mehrere Verletzte. Auch zehn Kilometer vom Zentrum des Einschlags entfernt hört man einen dumpfen, lauten Knall und spürt die Erde beben. Alltag in Odessa. Trotz des Kriegs trifft man sich, geht spazieren, arbeitet, wenn man noch Arbeit hat.

Sergej hatte einen Laden und ist nun auf den Onlineverkauf umgestiegen, was sich deutlich weniger rentiert. Natalia hat wie viele andere ihren Job verloren. „Wir versuchen zu überleben, irgendwie geht es“, meint er nachdenklich. Das Engagement innerhalb der NGO scheint noch wichtiger als zuvor, denn sie bilden eine Gemeinschaft, die sich unterstützt und Zeit miteinander teilt.

Im harten Kern arbeiten fünfzehn Leute. Umliegende Strandcafés kooperieren mit ihnen, wenn sie Wasser für die Bäume brauchen. Befreundete Freiwillige aus anderen Initiativen packen hin und wieder mit an. Es ist ein gut verwurzeltes, lokales Projekt. „Das Schöne ist, dass diese Baby-Bäume irgendwann groß und stark sein werden – sie werden diesen Krieg überdauern. Sie sind ein wichtiges Friedenssymbol in dieser Zeit“, meint Sergej mit einem großen, vertrauenswürdigen Lächeln.

Bäume

Natalia Khryschenyuk gründete die Nichtregierungsorganisation Green Coast Project © Sergey Peredra

Im Frühherbst 2022 wirkt Sergej gelassen und erzählt freudig, die Menschen würden nach Odessa zurückkehren. „Die Stadt füllt sich wieder, Läden machen auf, die Menschen scheinen sich an diesen Kriegszustand gewöhnt zu haben.“ Vielleicht sei es nächsten Sommer vorüber, vielleicht ziehe sich dieser Krieg aber noch Jahre hin. Prognosen seien schwer zu machen, daher sei es wichtig, mit der Zen-Praxis fortzufahren.

„Ich biete nun wieder gemeinsame Zazen-Zeiten an. Es sind neue Gesichter in unserer Gruppe, ich glaube, wir haben Potenzial. Man sollte einfach weiter praktizieren, unabhängig davon, ob Krieg ist oder nicht.“ Im November werde sich Sergej wieder dem Bäumepflanzen widmen. Das Projekt sei leise gewachsen und helfe ihm immer wieder, eine emotionale Balance zu finden.

„Wissenschaftler haben herausgefunden, dass es in der Erde etwas gibt, was den Körper heilt. Insofern ist der Kontakt mit den Bäumen wirklich eine gute Sache.“ Nichts könne die Gruppe davon abhalten, Bäume zu pflanzen und sich um sie zu kümmern. „Bäume sind unsere Lehrer und ich versuche ihnen mit dem Zen-Geist zu begegnen. Wenn ich Zazen mache, pflanze ich einen Baum und wenn ich einen Baum pflanze, mache ich Zazen“, beschreibt Sergej seine Praxis. Der Kontakt mit der Natur und eine spirituelle Praxis sind sichtlich ein Heilmittel, um dem Chaos des Kriegs zu begegnen.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 122: „Resilienz"

Bildschirmfoto 2022 11 14 um 11.16.21


Sinah Radovanovic studierte Philosophie und Psychologie an der Uni Hamburg und widmet sich nun der Musik. Reisen zählt zu ihrer Leidenschaft: Palästina, Libanon, die Zentralafrikanische Republik, Kamerun, Indien, Japan, um nur einige Reiseziele zu nennen. Sie praktiziert Soto-Zen seit 2015.

Bild Header © Pixabay

Kommentar schreiben

Gemeinsam machen wir den Unterschied Unterstutze uns jetzt 1