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Leben

Mit dem Auge des Dharma die Wirtschaft betrachten – dem widmet sich Kai Romhardt, Gründer des „Netzwerks Achtsame Wirtschaft“.

Achtsame Wirtschaft, was ist das?

Kai Romhardt: Wir nehmen das ganze Dharma, die Lehre Buddhas, als Basis, um uns die Wirtschaft anzuschauen. Wir betrachten die grundlegenden Prozesse, wie unsere Arbeit, unseren Umgang mit Geld, unseren Konsum, die Art und Weise, wie wir in Austauschbeziehungen agieren und wie wir in wirtschaftlichen Zusammenhängen kommunizieren. Auch schauen wir, wie Unternehmen organisiert sind. Welche Werte sind wichtig oder etwa, wie nachhaltig sind die Prozesse aufgestellt. Uns geht es darum, nicht nur einen Aspekt, wie die Achtsamkeit, aus dem Dharma zu entnehmen und im Kontext von Ökonomie anzuwenden, sondern alles, etwa Weisheit, Mitgefühl, Mitfreude, liebevolle Güte, heranzuziehen. Wir scheuen uns auch nicht, unser persönliches Leiden zu berühren und die schwierigen Dinge zu teilen, um an ihnen zu wachsen.

Was sind die ersten Schritte auf diesem Weg?

Sich der Achtsamkeits-, Meditations- und Dharma-Praxis zu widmen und diese dann auch im Alltag anzuwenden. Es gilt zu schauen, in welchem Geisteszustand arbeite und konsumiere ich? Was ist meine tiefe Motivation? Was erwarte ich von meinem wirtschaftlichen Tun? Was treibt mich an? Selbstreflexion und Ehrlichkeit sind da sehr nützlich. Meine Erfahrung zeigt, dass viele, wenn sie mit der Praxis beginnen, merken, dass sie noch den vorherrschenden Glücksversprechen unserer Gesellschaft erliegen. Dass ein aufregender Urlaub, viel Geld, ein schönes Haus, ein toller Job oder andere äußere Lebensbedingungen quasi automatisch zu Glück führen. Die Werbung, die wir täglich sehen, suggeriert uns das ja ständig. Dieses Glücksversprechen steht jedoch auf sehr wackligen Beinen. Und dann gibt es einen Punkt im Leben, da wird uns das bewusst. Das führt dann zu Frustration.

Was würden Sie jemandem raten, der an diesem Punkt angekommen ist?

Es hängt immer sehr von der Person ab. Den meisten Menschen dämmert an dieser Stelle schon, dass die klassischen Glücksversprechen wie Reichtum oder angenehme Sinneseindrücke nicht nachhaltig wirken. Dadurch entsteht eine Offenheit, sich der eigenen Innenwelt zuzuwenden. Ein wichtiger Schritt ist dann eine regelmäßige Praxis zu etablieren und eine Tradition zu finden, in der man sich verankern kann, mit einem Lehrer oder einer Lehrerin, die uns inspiriert. Über den persönlichen Aspekt hinaus, ist es wichtig, auch unsere Ökonomie, in die wir alle in irgendeiner Weise eingebunden sind, tiefer zu betrachten. Deshalb bieten wir vom „Netzwerk Achtsame Wirtschaft“ eigene Retreats an.

WirtschaftFoto © Eriver Hijano

Wie schaut es in großen Firmen aus?

Das ist sehr unterschiedlich und hängt davon ab, wie kapitalmarktgetrieben ein Unternehmen ist. Da existieren große Unterschiede. Und: Ein Großunternehmen besteht aus vielen Einzelpersonen. Auf manchen Ebenen kann man fast immer etwas machen, auch in großen Firmen. Da entstehen etwa Meditationsgruppen, oder man kann zur achtsamen Kommunikation beitragen. Kleine heilsame Gemeinschaften und Teams können sich überall bilden.

Kann so ein langfristiger Wandel in der Wirtschaft entstehen?

Ich denke, man muss dabei beachten, was mit Achtsamkeit gemeint ist. Ist es die Achtsamkeit, von der Buddha spricht und die mir am Herzen liegt? Diese ist eingebettet im edlen achtfachen Pfad und hat eine klare Auffassung von ethischem Verhalten. Ist diese Art von Achtsamkeit gemeint oder nehmen die Menschen den Begriff der Achtsamkeit in den Mund und meinen etwas anderes wie Entspannung oder Resilienz? Wollen sie das Leiden wegdrücken, statt hinzuschauen, nur damit man besser durchhält? Wir Buddhisten sind eine kleine Gruppe innerhalb der Gesellschaft. Wir sollten uns nicht überschätzen – aber auch nicht unterschätzen. Ich vertraue sehr auf die Dharma-Praxis und Samen, die wir mit ihr säen können. Wir sollten dies von Herzen machen, entschlossen, nicht missionarisch und nicht anklagend, sondern mit Freude und Inspiration.

Viele meinen, alle Großunternehmen sind von Gier getrieben und handeln unethisch. 

Ich glaube nicht, dass man das so schwarz-weiß sehen sollte. Meine eigenen Erfahrungen bestätigen diese Annahme auch nicht. Ich kenne mittelständische Unternehmer mit großem Herz. Sie bemühen sich, gute Arbeitsplätze zu schaffen und sinnvolle Produkte zu machen. Ich denke, es ist auch die Herausforderung an die buddhistische Gemeinschaft, es sich nicht zu einfach zu machen mit solchen Zuschreibungen: Klein ist ethisch und groß ist unethisch, oder wer viel Geld verdient, ist automatisch böse.

Wirtschaft

Geld ist nicht automatisch etwas Schlechtes?

Nach meiner Auffassung gibt es warmes und kaltes Geld. Auf dem Papier ist Geld nur eine Zahl. Erst durch unser Handeln und unsere geistige Einstellung bekommt es eine Richtung. Wenn ich einem Obdachlosen fünf Euro gebe und in dem Moment mit Metta da bin, ihn als Menschen sehe, ihm in die Augen schaue und ihm vom Herzen wünsche, dass er glücklich ist, dann ist es warmes Geld. Die gleiche Handlung mit der Intention, nur schnell aus dieser vielleicht als unangenehm empfundenen Situation hinauszukommen, hat eine gänzlich andere Qualität. Warmes Geld baut eine heilsame, positive Beziehung zum Menschen auf, dem ich das Geld gebe. Kaltes Geld ist berechnend und instrumentalisiert.

Wie ist es mit Produkten?

Hier ist es ähnlich. Es ist oft eine Frage der geistigen Einstellung, welche Produkte man kauft. Nicht nur Themen, wie Wert, Arbeitsbedingungen oder Nachhaltigkeit spielen eine Rolle. Häufig denken wir nicht ausreichend darüber nach, was wir kaufen. Und dann kann es sein, dass wir mit unserem Konsum kalte Prozesse unterstützen. Durch die grüne Bewegung in den letzten Jahrzehnten ist viel passiert. Es gibt ein größeres Bewusstsein und mehr Information zu Produkten. Gleichzeitig gibt es immer noch viele Herausforderungen. Und es besteht das Problem, dass nachhaltiger, ethischer Konsum für manche schlicht zu teuer, zu aufwendig oder zu unbequem ist. Wenn wir sagen, eigentlich sollten alle nachhaltige Produkte kaufen, müssen wir uns auch überlegen, über welche Einkommensgruppen wir sprechen. In der buddhistischen Szene sind viele eher auf der privilegierten Seite und verfügen über mehr Einkommen als andere.

Wie kamen Sie zum Thema einer achtsamen Wirtschaft?

Ich habe einen klassischen Wirtschaftsweg durchlaufen, mit einem wirtschaftlichen Studium sowie einer Promotion. Ich war als Unternehmensberater tätig. Nach den klassischen Maßstäben war ich recht erfolgreich. Mit Anfang dreißig, als ich in der internationalen Unternehmensberatung tätig war, merkte ich jedoch, dass ich nicht glücklich war. Ich bin in ein ziemliches Loch gefallen und habe mich völlig neu orientieren müssen.

Was passierte in dieser Orientierungsphase?

Ich habe die buddhistische Praxis in der Tradition von Thich Nhat Hanh kennengelernt und bin immer wieder für längere Zeit nach Plum Village gefahren. Schlussendlich bin ich im Jahr 2001 für zwei Jahre hingezogen. Zwei Jahre zuvor hatte ich in Plum Village am ersten Businessretreat teilgenommen. Thich Nhat Hanh teilte mit einem Kreis von achtzig Geschäftsleuten, was der Buddhismus der Wirtschaft zu sagen hat und wie Achtsamkeit unsere Art des Wirtschaftens positiv verwandeln kann. Es hat mich sehr berührt, mit welcher Entschlossenheit und Ernsthaftigkeit er gelehrt hat, dass Unternehmen Heilsames in die Gesellschaft einbringen können.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 119: „Zukunft gestalten"'

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Wie ging es danach weiter?

Das Thema Achtsamkeit in der Wirtschaft wurde für mich zum Ausgangspunkt, meine eigene Praxis und mein wirtschaftliches Wissen zu verbinden. Ich habe zunächst ein paar Bücher dazu geschrieben und dann 2004 das „Netzwerk Achtsame Wirtschaft“ gegründet. Mir war immer wichtig, nicht abstrakt über buddhistische Ökonomie zu sprechen, sondern anhand von ganz konkreten Beispielen zu zeigen, wie es gehen könnte, etwa mit Mindful-CoWorking.

Was ist Mindful-CoWorking?

Wir kommen in einer kleinen Gruppe zur Arbeit an unseren persönlichen Projekten zusammen und halten die Achtsamkeit während des gesamten Arbeitstages hoch. Morgens beginnen wir mit einer Meditation. Dann folgt ein Austausch. Da wird besprochen, an welchen Themen wir konkret arbeiten wollen und auf welche heilsamen oder unheilsamen Arbeitsgewohnheiten wir hierbei besonders achten wollen. Im Anschluss wird 3,5 Stunden im Schweigen gearbeitet. In der Mitte des Tisches steht eine Glocke. Jeder kann die anderen damit zu einer kurzen Atempause einladen. Das Mittagessen findet in Stille statt. Jeder bringt etwas dafür mit. Darauf folgt ein kleiner Spaziergang. Die Hälfte des Spaziergangs ist Gehmeditation. Im Anschluss widmet man sich wieder der Arbeit. Den Abschluss bilden ein Austausch und eine weitere Meditation. Die gemeinschaftliche, konzentrierte Energie ist sehr unterstützend. Einen Arbeitstag in so einer Verbundenheit zu erleben, ist wunderbar.

Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft?

Das „Netzwerk Achtsame Wirtschaft“ darf weiter wachsen. Seit 1,5 Jahren sind wir dabei, uns zu internationalisieren. Davor waren wir nur im deutschsprachigen Raum mit vertreten. Jetzt gibt es Übersetzungen von wichtigen Schriften, Übungsmaterialien und Büchern auf Englisch und Italienisch. Wir haben erstmals englischsprachige Retreats organisiert. Die wird es in Zukunft sicherlich häufiger geben. Ich wünsche mir, dass wir alle unsere Praxis lebendig halten und eine Gemeinschaft finden, in der wir uns entwickeln können. Dass wir mit offenem Geist und Herzen auf wirtschaftliche Prozesse schauen und uns fragen, was würde der Buddha tun?

Dr. Kai Romhardt, ist Initiator des Netzwerks Achtsame Wirtschaft e. V., Autor, Unternehmensberater und Dharmacharya in der Tradition von Thich Nhat Hanh. www.achtsame-wirtschaft.de, www.romhardt.de

Bild Teaser & Header © Pixabay

Ester Platzer

Ester Platzer

Ester Platzer, 1979, lebt in Wien und ist Mitglied der Chefredaktion bei Ursache\Wirkung. Davor lebte und arbeitete sie viele Jahre in Ostafrika. Ester absolvierte ihr Magisterstudium in internationaler Entwicklung an der Universität Wien.
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