Was unterscheidet Gleichmut von Gleichgültigkeit? Kürzlich geriet ich mal wieder in einen Stau. Meine Frau und ich waren auf dem Weg zu einem wichtigen Termin.
Wir waren schon spät dran, und meine Frau regte sich ziemlich auf. Ich versuchte, gelassen zu bleiben, was mir überraschend gut gelang. Sonst bin ich eher derjenige, der sich in solchen Situationen ärgert. Ich kann Wartesituationen nicht gut aushalten, und wenn ich dann auch noch Termine habe, werde ich erst recht nervös. Es half mir, mich auf meinen Atem zu konzentrieren. Meine Frau war über meine Ruhe sichtlich irritiert. Sie warf mir Gleichgültigkeit vor. Es sei mir wohl egal, dass wir zu spät kommen würden. Das führt mich zu meiner Frage: Wie grenzt man eigentlich Gleichmut von Gleichgültigkeit ab? Ist das nicht im Grunde dasselbe?
Horst Winter
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Lieber Horst, Gleichmut heißt, wie das Wort bereits sagt, gleichen Mut für jede Erfahrung. Das Bild des tibetischen Meisters Dilgo Khyentse Rinpoche drückt es kurz und treffend aus: „Der große weite Himmel fühlt sich nicht bedroht von Blitz und Donner und nicht geschmeichelt vom Regenbogen.“ Das heißt, Gleichmut ist ein Geisteszustand, der in Kontakt ist mit der gegenwärtigen Erfahrung, sie erlebt, sie spürt, sich jedoch nicht bedroht fühlt, wenn sie unangenehm ist, und nicht geschmeichelt, wenn sie angenehm ist. Dies ist möglich, wenn wir erkennen, dass die Erfahrungen, welche wir machen, aus Ursachen und Bedingungen entstanden sind. Was wir bereits erleben, können wir nicht ändern. Wie wir damit umgehen, macht jedoch einen großen Unterschied.
Gleichgültigkeit hingegen ist eine Form von Aversion, dies bedeutet, ein Nicht-in-Kontakt-sein-Wollen oder -Können mit einer Erfahrung.
Eine Frage bezüglich des geschilderten Erlebnisses: Wärst du schneller beim wichtigen Termin angekommen, wenn du dich aufgeregt hättest?
Wenn unser Geist gelassen bleiben kann, statt bei unerwünschten Erfahrungen in die unmittelbare Reaktion des Ärgers gehen zu müssen, dann ist mehr innere Freiheit da, um weise Entscheidungen treffen zu können. Gefangen in Aversion oder Verlangen, sehen wir nur einen kleinen Ausschnitt einer Situation. Mit Gelassenheit sehen wir das große Bild, was in diesem Fall heißt: Sich aufzuregen nützt nichts. Ich muss die bereits unangenehme Situation des Zuspätkommens nicht auch noch durch Aufregung verschlimmern. Wenn jedoch etwas hätte gemacht werden können, um die Situation zu retten, dann wäre dies selbstverständlich getan worden. Gleichmut heißt nicht Passivität, heißt nicht, alles ertragen zu müssen. Sie bietet jedoch die innere Geräumigkeit des weisen Unterscheidungsvermögens.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 118: „Zufriedenheit"
Ursula Flückiger praktiziert Vipassana Meditation seit 1980, wirkt seit 1990 als Meditationslehrerin, ist Mitbegründerin des Meditationszentrums Beatenberg in der Schweiz sowie Co-Autorin von „Mahamudra & Vipassana“.
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