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Leben

Anhaltende Diskriminierungen führen dazu, dass queere Menschen häufiger psychisch krank werden.

Bei queeren Menschen besteht ein deutlich höheres Risiko, eine psychische Erkrankung wie Depressionen oder Angststörungen zu bekommen. Dies zeigt eine Studie der Universität Bielefeld und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), die vor Kurzem veröffentlicht wurde. Der Erhebung zufolge wurde in Deutschland bei 26 Prozent der queeren (schwulen, lesbischen, bisexuellen, transsexuellen) Menschen schon einmal eine depressive Erkrankung diagnostiziert. Das ist wesentlich mehr als bei heterosexuellen Menschen, bei denen die Quote bei zehn Prozent liegt. Von Schlafstörungen sind queere Menschen doppelt so oft und von einem Burn-out fast dreimal so stark betroffen. Wobei es innerhalb der queeren Menschen große Unterschiede gibt. So leiden etwa Transgender besonders häufig unter psychischen Erkrankungen. 39 Prozent von ihnen litten bereits einmal an einer Angststörung.

„Schwuchtel“ zum Beispiel gehört noch immer zu den meistverbreiteten Schimpfwörtern auf den Schulhöfen.

Der Studie zufolge treten bei queeren Menschen nicht nur psychische Beschwerden, sondern auch bestimmte körperliche Erkrankungen häufiger auf. Beispiele dafür sind Herzerkrankungen und Migräne, die bei queeren Menschen nahezu doppelt so häufig vorkommen wie bei Heterosexuellen. Die Ergebnisse seien alarmierend und zeigten, welche „tiefer gehenden psychischen und körperlichen Auswirkungen“ anhaltende Diskriminierungen haben können, schreiben die Studienautor*innen. Krank machen kann unter anderem auch die Einsamkeit. In der Untersuchung gaben fünfzehn Prozent der queeren Menschen an, dass ihnen die Gesellschaft anderer Personen oft fehlt, was etwa doppelt so hoch wie in der heterosexuellen Bevölkerung ist. David Kasprowski, einer der Studienautor*innen, geht davon aus, dass die Gefühle der Isolation unter LBSTQIA+Menschen während der Coronapandemie weiter zugenommen haben.

In den Medien und in Talkshows seien queere Personen oft als Paradiesvögel oder als Zirkusclowns dargestellt worden.

Zwar verbesserten sich in den vergangenen Jahrzehnten die gesetzlichen Rahmenbedingungen für queere Menschen in vielen westlichen Ländern, doch es ist erschütternd, mit welchen Anfeindungen und Diskriminierungen gerade junge Menschen hier konfrontiert sind. „Schwuchtel“ zum Beispiel gehört noch immer zu den meistverbreiteten Schimpfwörtern auf den Schulhöfen.

Wie steinig der Weg zur Selbstakzeptanz und Selbstliebe verlaufen kann, zeigt das Beispiel von Jolina Mennen. Die 1992 in Bremen geborene Person ist eine der bekanntesten Trans-YouTuberinnen im deutschsprachigen Raum. Sie wurde in der Schule von ihren Mitschüler*innen verbal und körperlich attackiert. „Ich war die Schwuchtel, das Mädchen. Immer und überall“, erzählt sie im jüngst erschienenen Buch „Coming-out“. Hier erzählen LBSTQIA+ Personen, wie sie schwierige Phasen überwunden und gelernt haben, sich selbst zu akzeptieren. Bei Mennen war die Diskriminierung besonders schlimm. Sie schildert, dass das Mobbing in der Schule zum Alltag gehörte. „Das ging über vier oder fünf Jahre so. Irgendwann habe ich die Beleidigungen nicht mehr gehört, und von den Eltern und Lehrer*innen ist auch niemand eingeschritten.“ Sie habe, so Mennen, gelernt, mit den Angriffen zu leben. Mennen findet es schade, dass sie in ihrer Kindheit und in ihrer Jugend keine Transgender gekannt hat, die ihr ein Vorbild hätten sein können. In den Medien und in Talkshows seien queere Personen oft als Paradiesvögel oder als Zirkusclowns dargestellt worden. „Hätte ich damals, als ich fünf oder sechs war, ein Positivbeispiel für einen Transgender gehabt, wäre ich vielleicht zu meiner Mutter gegangen und hätte gesagt: ‚Mama, so will ich auch sein‘“, erzählt Mennen. Als Jugendliche besuchte sie Partys und hatte viel Sex. „Ich habe alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war.“ Sie habe ihren Körper so sehr gehasst. „Ich wollte, dass zumindest andere ihn liebten.“ Die Wende geschah, als sie sich selbst angenommen hat.

Diskriminierungen

Wenn sich queere Menschen in der Öffentlichkeit zeigen, gehen sie teilweise ein Risiko ein. So erzählt der 31-jährige schwule Politiker und stellvertretende SPD-Bundesvorsitzender Kevin Kühnert im Buch „Coming-out“, dass er aus Angst vor Anfeindungen nicht händchenhaltend durch Berliner Straßen geht.

Mit jedem Kuss, mit jeder Berührung setzen sich queere Menschen Blicken, Kommentaren und möglichen Angriffen aus.

„Wenn man zwanzig Paare sieht, die Händchen halten und ein homosexuelles Paar darunter ist, merken sich alle das homosexuelle Paar.“ Mit jedem Kuss, mit jeder Berührung setzen sich queere Menschen Blicken, Kommentaren und möglichen Angriffen aus. Von Diskriminierungserfahrungen berichtet auch der junge schwule Mann Julius Thesing in seinem Buch „You don‘t look gay“. „Ich will kein Mitleid haben, ich will beschreiben, sensibel machen“, so Thesing. Als er sich einmal in einen Zug setzte, dauerte es nur 23 Sekunden, bis er den ersten Schwulenwitz hörte. Homophobie verstecke sich, schreibt Thesing, im Alltag oft hinter unbedachten Phrasen wie „Du siehst ja gar nicht schwul aus“ oder „Mit Schwuchtel meine ich ja nicht dich“. Umso wichtiger sind für queere Menschen Räume und Treffpunkte, wo sie sich sicher fühlen und sich mit anderen queeren Personen austauschen können. Allerdings gehen LBSTQIA+ Personen oft nicht gerade freundlich miteinander um. Besonders hart ist die Ausgrenzung in schwulen Internetplattformen, wie Thesing schreibt. In einem Onlineprofil betonte ein Mann, dass er „keine Tucken, keine Fetten, keine Asiaten“ treffen möchte. Ein anderer Mann will „keine Femininen und keine Schwarzen“. Thesing stellt sich die Frage, wie dies bei den Betroffenen ankommt: „Wie muss sich das für die Menschen anfühlen, die schon von der heteronormativen Gesellschaft nicht akzeptiert werden, wenn sie innerhalb der eigenen Community ausgegrenzt und diskriminiert werden?“

Diskriminierungen gibt es auch bei Dating-Apps

Viele Dating-Apps hatten lange Zeit sogar Ethnienfilter, mit denen bestimmte Menschengruppen aussortiert werden konnten. Einer Umfrage in Großbritannien zufolge machten 81 Prozent der Männer aus Südostasien und 75 Prozent der schwarzen Männer in der schwulen Community Erfahrungen mit Rassismus. Auch Transgender und nichtbinäre Personen werden immer wieder von anderen queeren Menschen ausgegrenzt. Psycholog*innen nennen als Grund für die Diskriminierung unter anderem die verinnerlichte Homophobie. Allerdings ist hier der Begriff „Homophobie“ irreführend. Schließlich geht es um keine Angst vor queeren Menschen, sondern um eine antihomosexuelle Einstellung, auch „Homonegativität“ genannt. Diese führt zu Diskriminierung bis hin zur Gewalt gegen LBSTQIA+ Personen. Beim Konzept der verinnerlichten Homophobie handelt es sich um einen Feind von innen, wie der Psychologe Udo Rauchfleisch in einem Interview erklärt. Denn queere Menschen wachsen in einer Gesellschaft auf, in der sie immer wieder mit homophoben Äußerungen konfrontiert sind. Die Diskriminierung „verinnerlichen sie auch mehr oder weniger“, sagt Rauchfleisch.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung Special №. 1: „Buddhismus unter dem Regenbogen"

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Dies führe dazu, dass queere Menschen „schließlich sogar negative Bilder von sich selbst, also als Lesben und Schwule haben. Diese internalisierte Homophobie wirkt dann wie ein Feind von innen.“ Die verinnerlichte Homophobie kann sich dahin gehend auswirken, dass queere Menschen sich selbst und andere hassen. Die Befreiung geschieht, wenn sie sich selbst akzeptieren und lernen, sich und andere zu lieben.

Christian Höller ist Psychotherapeut und hat eine Praxis in Wien.

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Christian Höller

Christian Höller

Christian Höller, MSc., ist akademisch ausgebildeter Psychotherapeut und Coach in Wien. Seine Fachrichtung ist Integrative Therapie. Seine Praxis befindet sich im vierten Bezirk. Er ist unter anderem spezialiert auf folgende Themen: Achtsamkeit, Spiritualität, Krisen, Burn-out, Lebensbegleitungen...
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