Erfahrungen einer lesbischen nichtbinären Frau im christlichen und buddhistischen Kontext in Europa, Asien und Australien.
Als lesbische nichtbinäre Frau passte ich schon während meines Studiums der evangelischen Theologie nicht in die gewünschte weiße, hetero, Cisgender-Schublade. Später auch nicht. Ich habe meine Erfahrungen sowohl mit der christlichen als auch mit der buddhistischen Seite gemacht. Meine Erlebnisse zeigen, dass das Verhältnis von Religionen zu diesem Thema immer noch mehr als schwierig ist.
Der Dalai Lama sprach sich 1997 gegen die Diskriminierung von LBSTQIA+ aus. Dieses sei ein Fehlverhalten der gesamten Gesellschaft. In der tibetisch-buddhistischen Geschichte, so der Dalai Lama, fehlte diese Form der Akzeptanz lange Zeit. Nach Tsongkhapa (1357–1419), der als Gründervater der Richtung des tibetischen Buddhismus gilt, der auch der Dalai Lama angehört, sei Sex zwischen Männern verboten, jedoch nicht zwischen Frauen. Es wurde nur auf die Männer geschaut. Und so war hetero- und homosexueller Oral- und Analverkehr verboten. Jedoch verbot Tsongkhapa einem verheirateten Mann nicht, die Dienste Prostituierter zu nutzen, und erlaubte heterosexuellen Männern bis zu fünf Orgasmen pro Nacht – egal, was die Frau dazu meint. Sie war nicht im Blick, genauso wenig wie sexueller Missbrauch von Kindern.
Das zeigt, dass Menschen immer von ihrer Zeit, Kultur und Gesellschaft geprägt sind. Buddhist*innen machen hier keine Ausnahme. Speziell buddhistische Konvertit*innen in Deutschland besitzen meiner Ansicht nach hin und wieder einen moralischen Rigorismus, der mich eher an christliche Vorstellungen erinnert und dem ich in Asien nicht begegnet bin. Tibetisch-buddhistische Nonnen und nichtordinierte Buddhist*innen in Asien verhielten sich mir gegenüber anders als Deutsche – egal, ob die sich nun christlich oder buddhistisch definierten.
Ich setzte meine Baseballkappe auf und rappte: „Be happy and gay!“
Während meines Studiums der Evangelischen Theologie wurde mir vonseiten des damaligen Oberkirchenrats unterstellt, ich würde bei den von mir organisierten Tagungen zur feministischen Theologie lesbische Orgien feiern. In manchem buddhistischen Zentrum in Deutschland musste ich mir ähnlich absurde Dinge anhören. Ein Beispiel war die Antwort auf mein Outing von einer Konvertitin, die auch buddhistische Nonne war: Das sei gerade in Mode und sicherlich nur eine Phase. Das gebe sich. Diese Reaktion hat jedoch sicher mehr mit christlich-abendländischer Kultur und Moral zu tun als mit Buddhismus.
Während meiner Zeit in tibetisch-buddhistischen Klöstern in Asien, speziell im Himachal Pradesh in Indien, aber auch in Ladakh und in Südindien, habe ich ganz andere Erfahrungen gemacht. Die tibetisch-buddhistischen Nonnen, die mich als Nichtordinierte aufnahmen, als gehöre ich dazu, und mit denen ich leben durfte, haben mein Outing entspannt gewürdigt – wie Buddha. Sie ließen jedes Mal, wenn ich wieder nach Hause flog, meiner inzwischen verstorbenen Frau Grüße ausrichten. Auch im langjährigen Briefverkehr wurden diese Grüße nie vergessen.
Auf meine Frage, wie mit weiblicher Homosexualität im Kloster umgegangen werde, wurde offen geantwortet: Nach dem „Vinaya“, den buddhistischen Ordensregeln, gehe es bei der Entscheidung für ein Klosterleben um Verzicht auf sexuelle Aktivität. Jedoch seien Menschen körperliche, sexuelle Wesen. Daher sei die Sexualität im Kloster nicht beendet. Wenn Ordinierte die Regel des Gelübdes, auf Sex zu verzichten, nicht einhalten, wäre im Mönchskloster die Folge der Rauswurf aus dem Kloster. Im Nonnenkloster jedoch reiche es, dies zu bekennen. Dazu müsse man z. B. extra Mantras sprechen sowie das Fehlverhalten in Zukunft zu unterlassen. Das gelte aber nur für Ordinierte, nicht für Lai*innen.
Mein Outing war ebenso kein Hinderungsgrund, mich als „mae ji“ – „Ordinierte auf Zeit“ – im thailändischen Theravada zu ordinieren. Venerable Dhammananda, ehemals Prof. Dr. Chatsumarn Kabilsingh, Thammasat University, Bangkok, respektierte meine Ordination auf Zeit. Dass ich zu Hause mit meiner Frau lebte, gehörte zu meinem Leben als Laiin.
Seit 1988 bin ich Mitglied des internationalen buddhistischen Frauennetzwerks „Sakyadhita“. Das Netzwerk wurde 1987 für Frauen, ja für alle Menschen, also auch für Männer, egal welcher Hautfarbe, Kultur, Religion, Sexualität und Gender, gegründet. Seit 2008 initiiere und leite ich dort Workshops zu LBSTQIA+. Der erste Workshop fand in Vietnam statt, musste aber umbenannt werden, um das Thema innerhalb einer Konferenz überhaupt zu ermöglichen und die Teilnehmer*innen vor Verfolgung zu schützen. Nicht nur ich war aufgeregt und unsicher. Der Workshop, wie die gesamte Konferenz, stand unter Beobachtung der Militärpolizei, die schwer bewaffnet Präsenz zeigte. Zu meiner Überraschung traute sich nur eine Handvoll Westler*innen, am Workshop teilzunehmen, jedoch mehr als fünfzig vietnamesische Nonnen aus zwei verschiedenen Klöstern mit ihren Äbtissinnen. Um die bedrohliche Situation etwas aufzulockern, setzte ich meine Baseballkappe auf und rappte: „Be happy and gay!“ Nach dem Workshop wurde ich von der Vietnamesisch-Übersetzerin hergerufen. Ich dachte, nun würde ich der Militärpolizei übergeben werden, doch das Gegenteil war der Fall. Zwei Äbtissinnen wollten sich bei mir bedanken, dass ich über das Thema Sexualität und speziell LBSTQIA+ so offen und mit Humor gesprochen hätte. Sie baten mich um den Text des Rap, damit sie ihn für ihre Klöster übersetzen konnten. Im Kloster gäbe es Gesprächsbedarf, doch das Thema wäre sehr schwierig. Mein Rap jedoch entspanne die Menschen. So wurde mir bewusst, dass Humor ein Türöffner ist.
Im Jahr 2015 konnte ich auf der 14. Sakyadhita-Konferenz eine Podiumsdiskussion zu „Diversity and Multiculturalism“ organisieren. Auf der Sakyadhita-Konferenz in Australien 2019 hatten wir jedoch einige Probleme. Mein Workshop, der für viele Menschen oft das erste Mal die Möglichkeit bietet, offen zu reden, sollte in der Lounge eines Hotels – wenig diskret – stattfinden. Nach meiner Beschwerde wurde der Workshop mitten im australischen Winter, mit nur einer Fackel zum Wärmen, in ein Zelt ausquartiert. Nachdem wir halb erfroren waren und uns um die einzige Fackel scharten, waren aber alle so selbstbewusst, dass wir wieder zurück in die Lounge gingen. Einige erlaubten sogar ein Foto.
In den letzten Jahren beobachte ich leider eine Verengung mit neuen Vorurteilen, die auch politisch zu greifen ist. Sie richtet sich gegen all jene, die nicht in die weiße Hetero-Cisgender-Schublade passen. Aber es gibt auch Lichtblicke: So entstanden in letzter Zeit etwa in Deutschland Gruppen wie „Buddhismus unter dem Regenbogen“, unterstützt durch die Deutsche Buddhistische Union, und weltweit weitere Rainbow LBSTQIA+ Sanghas, die dem verengenden Trend entgegenwirken wollen.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung Special №. 1: „Buddhismus unter dem Regenbogen"
Meine Erfahrungen mit Vorurteilen haben mich dazu bewogen, die „1st International Queer Buddhist Conference“ zu planen. Sie musste allerdings wegen der Pandemie zunächst verschoben werden. Und nun wird sie baldmöglichst online stattfinden.
Die Konferenz hat einen politisch engagierten Fokus. Es steht lesbische Sichtbarkeit im Vordergrund. So soll Frauen der Rücken gestärkt werden. Es ist Zeit, dass Frauen nicht mehr auf „Le deuxième Sexe“, „das zweite, das geringere Geschlecht“ reduziert werden, wie Simone de Beauvoir es nannte. Es ist Zeit, dass die Liebe einer Frau zu einer anderen Frau nicht mehr als etwas Geringeres angesehen wird.
Dr. Rotraut Jampa Wurst, Lerncoachin und Beraterin in eigener Praxis: www.drwurst.de, Dharma-Rapperin und Künstlerin.
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