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Leben

Was Psychotherapie und Buddhismus verbindet – eine Geschichte über die goldene Mitte.

In unserer Gesellschaft gibt es einen Hang zum Perfektionismus, wobei ein gesunder Perfektionismus nicht schlecht sein muss. Problematisch ist ein übertriebenes Streben nach Vollkommenheit. Wer alles zu hundert Prozent richtig machen möchte, steht unter permanentem Stress und verliert die Lebensfreude. Solche Menschen halten sich erst für liebenswert, wenn sie keine Fehler machen. Ein übertriebener Perfektionismus kann sich auch negativ auf das spirituelle Leben auswirken, wie folgende Geschichte zeigt.

Eine Frau ging zur Psychotherapie, weil sie Schlafprobleme hatte. Sie lag oft stundenlang wach und konnte sich nicht entspannen. Beruflich musste sie viel leisten und sprang für andere ein. Zweimal in der Woche ging sie zu einer Meditationsgruppe. Doch auch dort konnte sie nicht zur Ruhe kommen. Denn sie wollte alles richtig machen. Sie fragte sich: Nehme ich beim Sitzen die richtige Körperhaltung ein? Atme ich nicht zu laut? Mache ich in der Gehmeditation keine zu großen Schritte? Als sie in einem Zentrum an einer Übungswoche teilnahm, war sie stets darauf bedacht, alle Regeln zu erfüllen. Einmal hatte sie die ganze Nacht nicht geschlafen. Obwohl sie so müde war, machte sie am nächsten Tag alle Programmpunkte mit. Denn sie hatte Angst, dass sie negativ auffallen könnte.

Psychotherapie

In der Therapie war sie zu Beginn voller Selbstvorwürfe. Sie meinte, dass sie viel falsch gemacht habe. Die Frau war in Schwarz-Weiß-Denken gefangen: Entweder bin ich perfekt oder eine Versagerin. Sie erzählte, dass sie aus einem streng protestantischen Elternhaus stammte. Sie wurde von ihren Eltern nur anerkannt und geliebt, wenn sie ihre Pflichten erfüllte. Vergehen wurden bestraft. Sie wurde von ihren Eltern erzogen, pflichtbewusst und hart zu arbeiten. Nur am Sonntag war Entspannung angesagt. Belohnung gab es selten. Wer unter der Woche alles richtig machte, bekam am Sonntag eine Süßigkeit als Nachspeise. Gott wurde in erster Linie als strafender, aber gerechter Richter gesehen. Auch wenn die Frau als Erwachsene den Buddhismus sympathischer fand, nahm sie die Härte und Strenge aus der Kindheit mit. Sie fühlte sich in einer Meditationsgruppe mit strengen Regeln wohl. In der Therapie ging es darum, sich langsam von den rigorosen Glaubenssätzen ihrer Herkunftsfamilie zu lösen und ihren eigenen Weg zu gehen.


Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 116: „Leben, lieben, lachen"

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Sie lernte, Fehler zu akzeptieren, auf sich selbst zu hören und ihren Gefühlen zu vertrauen. Gleichzeitig ließ sie Begegnungen und Ereignisse zu, die mit einem angenehmen Lebensgefühl verbunden waren. Dabei half ihr die buddhistische Haltung des mittleren Wegs. Demnach soll Buddha zunächst auch eine strenge Askese praktiziert haben. Doch er begriff, dass dies nicht viel bringt. Er kam zur Einsicht, dass zwischen extremer Askese und übertriebenem Genuss der mittlere Weg der bessere sei.

Christian Höller ist Psychotherapeut und Coach in Wien. Er ist zur Verschwiegenheit verpflichtet und darf über keine realen Therapiesitzungen berichten. Er erzählt in dieser Kolumne fiktive Situationen aus dem psychotherapeutischen Alltag.

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Christian Höller

Christian Höller

Christian Höller, MSc., ist akademisch ausgebildeter Psychotherapeut und Coach in Wien. Seine Fachrichtung ist Integrative Therapie. Seine Praxis befindet sich im vierten Bezirk. Er ist unter anderem spezialiert auf folgende Themen: Achtsamkeit, Spiritualität, Krisen, Burn-out, Lebensbegleitungen...
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