Lachen in schwierigen Zeiten kann helfen, den Ernst und Druck aus der Situation zu nehmen. „Humor“ (lat.) heißt ursprünglich „Feuchtigkeit“, auch „Saft“. Erstaunlich ist, dass Humor bis zum 19. Jahrhundert gar nichts mit dem Lachen zu tun hatte.
Vielmehr war die Medizin von ihren Anfängen bei den Griechen bis ins 18. Jahrhundert eine Humoralmedizin, also eine „Säftelehre“. Vier Säfte, nämlich Blut, Schleim, schwarze und gelbe Galle, so glaubte man, bestimmen in ihren Mischungen die menschlichen Charaktere und die Krankheiten. Zum Beispiel dominiere bei dem Sanguiniker das Blut, „sanguis“, er galt als lebendig, beim Melancholiker dagegen die schwarze Galle. Erst als die aufgeklärte Medizin den menschlichen Körper nicht mehr als etwas innerlich Fließendes wahrnahm, sondern maschinenartig, wurde die alte Auffassung „lächerlich“.
So näherte sich der Terminus „Humor“ dem Lachen, bis die Verbindung das heutige Verständnis von „Humor“ erreichte. Denn Humor versteht man ganz allgemein als ausgeprägten Sinn fürs Lachen. Ein humorvoller Mensch lacht gern, ist dem Komischen zugeneigt, er macht und hört gern Witze.
Humor ist nicht Resignation, sondern Trotz.
Das Gegenteil von Humor ist „Ernst“. Der „Ernstfall“ ist der Krieg, die Ausnahmesituation, wo es um Leben und Tod geht. Wie mächtig auch dann das Lachen noch sein kann, zeigt folgende Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg, die ein russischer Autor erzählt: Zwei Aufklärungstrupps zogen einen Waldweg entlang und trafen an einer Wegbiegung aufeinander. Sofort sprangen alle Soldaten beider Parteien in die sich gegenüberliegenden Straßengräben, bis auf einen jungen deutschen Soldaten, der in den falschen Graben sprang: allgemeines Gelächter bei den Deutschen wie den Sowjets. Danach konnten sie nicht mehr aufeinander schießen und zogen in gegensätzliche Richtungen weiter.
Die Ausnahmesituation, die seit mehr als einem Jahr herrscht, drückt auf den Humor, auf die Stimmung wie eine sich senkende Zimmerdecke oder wie Mehltau, der sich auf Pflanzen legt. Menschen sagen jetzt häufiger als früher: „Ich halte es nicht mehr aus.“ Wer nahe daran ist, so etwas zu sagen, der probiere es einmal mit: „Ich halte es noch nicht aus.“ Was so viel heißt wie: „Aber in drei Tagen, da schaffe ich es.“ Dieser Satz ist humorvoll. „Denn Humor ist nicht resigniert, er ist trotzig“, sagt einmal Sigmund Freud vom Humor, er bedeute den Triumph des Lustprinzips, das sich gegen die Ungunst der realen Verhältnisse zu behaupten vermag.
Verglichen mit den Ernstfällen der Kriege, die viele Familienvorfahren und die ältere Bevölkerung durchleiden mussten, oder den Verhältnissen, die heute in manchen Teilen der Welt, etwa Syrien oder Jemen, herrschen, ist die Ausnahmesituation jetzt hier in Europa ziemlich milde. Aber es ist seit 1945 das erste Mal, dass eine allgemeine Ungewissheit ertragen werden muss. Natürlich hatten es die hungernden Menschen in der deutschen Trümmerlandschaft 1945 viel schwerer, aber sie konnten einigermaßen sicher sein, dass es gewiss besser werden würde. Heute sind sich nur die Wissenschaftler in der Diagnose einig, schon bei der Therapie sind sie und alle anderen uneins, da auf keinerlei Erfahrung im Umgang mit Pandemien zurückgegriffen werden kann. Das Neue und besonders Schwierige ist das Ertragen dieser Ungewissheit. Es hat keinen Sinn, diese Unsicherheit zu leugnen, indem man anderen, besonders den professionellen Politkern Schuld zuweist und sich darauf fixiert, „die da oben“ zu kritisieren. Der Beobachtung nach machen es sich die Medien und auch die Komiker, Satiriker oder Witzezeichner in dieser Hinsicht im Moment oft etwas zu leicht. In der jetzigen Lage muss auch die professionelle Politik mit wirklich vorhandener Ungewissheit umgehen.
Gerade dann, um Ungewissheit zu ertragen, wenn man „im Ernst“ mit der Vernunft nicht mehr weiterweiß, dann ist der Humor als letzte humane Instanz gefragt.
Der beste jüdische Witz, den ich kenne, ist dieser:
Sterbende Gattin: „Ich kann das Geheimnis nicht mit ins Grab nehmen. Ich gestehe: Der Isaak ist nicht von dir.“
„Unsinn! Von wem soll er denn sein?“
„Von unserem Prokuristen Hirschfeld.“
„Ich glaube kein Wort davon. Ein so schöner Mensch wie Hirschfeld und ein Menuwel [Ekel] wie du?“
„Ich habe ihm 2.000 Rubel gegeben.“
„Wie ist das möglich? Woher hast du das Geld gehabt?“
„Aus der Ladenkasse.“
„Na also, doch mein Kind!“
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 116: „Leben, lieben, lachen"
Zweifellos ist der Tod eines geliebten Menschen ein Ernstfall. Damit kann keiner vernünftig umgehen. Dann dieses Geständnis, das das ganze Leben des Ehemannes zu einer Lüge zu machen droht. Wie soll er sich verhalten? Zeigt er Gefühle, geht alles schief: Sie beichtet, er erbleicht, verliert vielleicht die Fassung, sie stirbt. Oder er kann ihr gerade noch verzeihen, aber nicht ehrlicherweise, eher aus Mitleid mit der Sterbenden, zum Schein, denn zur Verarbeitung des Schocks der Untreue bräuchte der Mann etwas länger, als die Frau zum Sterben braucht. Deutlich zeigt sich hier, was Freud die Ersparnis von Gefühlen im Humor nennt. Die ruppige, ignorante Kürze des Ehemanns ist das komische Mittel, diese schwierige Situation zu bewältigen. Es ist Liebe und tiefes Gefühl, das ihm diese Coolness an der Oberfläche ermöglicht, sodass die Frau in Frieden sterben kann. Hier zeigt einer, wie man mit Schock und Ungewissheit umgeht. Und wer weiß: Vielleicht hat die Frau ihren Mann ja sogar belogen, um ihm den Abschied zu erleichtern?
Prof. Dr. Rainer Stollmann, war bis 2012 Prof. für Kulturwissenschaft an der Universität Bremen und ist bekannt als Lachforscher.
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